| # taz.de -- 250. Geburtstag von Jane Austen: Wenn Paare zueinanderfinden | |
| > Das Romance-Genre boomt und beruft sich auf Jane Austen als Ahnherrin. Zu | |
| > Recht? Auftakt einer Reihe zum 250. Geburtstag der britischen Autorin. | |
| Bild: Liebe auf den ersten Blick? Mr. Darcy und Elizabeth B. starten den „Ene… | |
| Boy meets Girl, die Formel ist einfach: Zwei Menschen begegnen sich, sie | |
| stolpern und ringen, verändern sich dabei, doch am Ende finden sie | |
| zueinander. Ein Erzählrezept, das zuverlässig funktioniert. Das, | |
| wahrscheinlich auch dieser Einfachheit wegen, überall zu entdecken ist. | |
| Besonders in den Büchern auf der „BookTok-Bestseller“-Liste, auf den | |
| New-Adult-Tischen in den Buchhandlungen, in Reihen wie Ana Huangs „Twisted | |
| Dreams“ oder in Caroline Wahls Erfolgsromanen „22 Bahnen“ und „Windstä… | |
| 17“. | |
| Wer heute einen New-Adult-Roman oder eine Romance-Novel aufschlägt, | |
| begegnet einer entfernten Verwandten jener Geschichten, die Jane Austen vor | |
| mehr als 200 Jahren zu schreiben begann. Viele Autorinnen des Genres sehen | |
| in Austen deshalb die Erfinderin des „Enemies to Lovers“-Topos und die | |
| Patronin ihrer romantisch verstrickten Heldinnen. [1][Romance boomt] und | |
| das Genre scheint auf den ersten Blick nichts anderes zu tun, als eine alte | |
| Formel zu erneuern. | |
| Doch so sehr sich die Branche auf sie beruft, als hätte Austen schon damals | |
| den Grundstein zur heutigen Feel-Good-Literatur gelegt: Diese Verehrung ist | |
| oft vereinfachend naiv. Austen als bloße Romantikerin zu lesen, mag bequem | |
| sein, richtig ist es nicht. [2][H. G. Wells] nannte Austen einst einen | |
| bezaubernden Schmetterling „ohne jedes Mark“. Ein Missverständnis, aus dem | |
| sich die moderne Romance gern bedient. Denn Austen ist ein Skalpell. Es | |
| stimmt, zwischen ihrem Werk und den Romance-Novels gibt es | |
| Berührungspunkte. Aber eben auch tiefe Gräben. | |
| ## Das Erbe und die Klasse | |
| Das Happy End gehört in beide Welten, meint aber Unterschiedliches. Wenn | |
| das [3][Paar zueinanderfindet,] ist es bei Austen ein ökonomischer und | |
| sozialer Grundpfeiler, der Frauen überhaupt erst Handlungsspielraum | |
| verschafft. In einer Zeit, in der unverheiratete Damen nach geltendem Recht | |
| nicht einmal eine eigene Wohnung haben oder alleine reisen durften. Die | |
| Hochzeit ist die soziale Grundwährung der Lower Gentry, des Landadels, zu | |
| dem Austen selbst gehörte. | |
| Das Erbproblem – in [4][Stolz und Vorurteil] personifiziert durch Mr. | |
| Collins, der, kommen die Töchter nicht unter die Haube, das Bennet-Anwesen | |
| erbt – ist zentrales Motiv einer Klasse, deren Töchter buchstäblich in die | |
| Zukunft einheiraten mussten. | |
| In der modernen Romance dagegen dient die Beziehung, die Heirat, eher der | |
| inneren Heilung, weniger der sozialen Sicherung. Dass der Love Interest | |
| meist beinahe zufällig Millionär, Erbe, Neurochirurg oder hochbezahlter | |
| Profisportler ist, erscheint als geduldeter Bonus, nicht als | |
| Existenzsicherung. Reichtum ist hier ein ästhetischer Effekt, Geld | |
| existiert als Versprechen von Sorglosigkeit, aber es wird fast schamhaft | |
| verleugnet. Die Heldin ist, ganz nebenbei, stets naiv distanziert gegenüber | |
| Vermögen, so als müsse sich die Romance ihrer eigenen Luxusfantasie | |
| entschuldigen. Austen hingegen benennt Zahlen: [5][Mr. Darcys 10.000 Pfund] | |
| jährlich markieren seinen gesellschaftlichen Rang präzise. | |
| Und was passiert, findet das gebeutelte Paar zusammen? In der Romance ist | |
| das klar: Sex, endlich. Die Szenen sind ausführlich, explizit, dienen als | |
| dramaturgische Spannungsachse. Austen dagegen schreibt sexuelles Begehren | |
| ausschließlich durch dessen Abwesenheit, in Andeutung, verschobenen Blicken | |
| oder in gesellschaftlichen Ritualen. Austen war keine prüde Autorin, doch | |
| ihre Erotik entsteht in der sozialen Choreografie, nicht im Schlafzimmer. | |
| ## Die Leerstellen der Beschreibung | |
| Raum lässt Austen auch in der Beschreibung ihrer Figuren. Über Mr. Darcy | |
| erfahren wir im Grunde nur drei Worte: tall, dark and handsome. Mehr | |
| braucht Austen nicht. Ihre Figuren entstehen aus Verhalten, nicht aus | |
| Körperdetails, aus Moral, nicht aus Makellosigkeit. Ganz anders die heutige | |
| Romance: Der „Love Interest“ wird als visuelles Gesamtkunstwerk | |
| ausgeleuchtet, mit Sixpack, eisblauen Augen und verwuschelter Frisur. | |
| Nichts bleibt der Vorstellung überlassen. Romanhelden folgen meist | |
| normierten Schönheitsidealen, illustriert wie aus dem Katalog; manche | |
| Bücher liefern sogar Postkarten der Protagonisten mit, sogenannte | |
| „Character Cards“. | |
| Wo Austen Leerstellen lässt, liefert Romance visuelle Totalität. | |
| Deutungsspielraum brauchen die zeitgenössischen Romance-Erzählungen nicht, | |
| sie setzten auf maximalen Detailrealismus, einer der Gründe, der sie so | |
| hindernislos lesbar macht. | |
| Romance-Autorinnen betonen gern, dass der beliebte „Enemies to | |
| Lovers“-Trope eigentlich auf „Stolz und Vorurteil“ zurückgeht. Was Austen | |
| zwischen Darcy und Elizabeth beschreibt, ist kein Hass, sondern ein | |
| kompliziertes soziales Gefüge: Klassendistanz, verletzte Eitelkeiten – | |
| Stolz und Vorurteil eben. Romance macht aus der Paar-Findung eine | |
| Dramaturgie, während Austen dagegen eine subtile Charakterstudie und eine | |
| scharfe Gesellschaftsanalyse zu Papier brachte. | |
| Und Austen ist unbarmherzig, ihre Figuren prüft sie ständig und verurteilt | |
| sie scharf. Mary Bennet etwa macht die Kultautorin zur tragischen Fußnote: | |
| Mary bleibt unverheiratet, zum Leben bei der alten Mutter verdammt. Ein | |
| Schicksal, das Austen aus nächster Nähe kannte. Sie selbst, siebtes von | |
| acht Kindern, nie verheiratet, trotz Verehrern und Heiratsangebot. Ihre | |
| Romane wissen, wovon sie schweigen. | |
| ## Das reine Herz der Heldinnen | |
| Die Moral in den romantischen Romanen folgt einer anderen, weicheren | |
| Funktion. Ihre Heldinnen müssen ein reines Herz besitzen, sich im Kern | |
| niemals falsch verhalten, während ihre Helden missverstandene Männer mit | |
| guten Absichten sind, deren grobes Benehmen zuverlässig durch | |
| Kindheitstraumata oder Familienwunden psychologisiert wird. Moral ist | |
| weniger Kritik als Belohnungslogik: Wer nur gut genug bleibt, bekommt am | |
| Ende den gutaussehenden, reichen, verletzten Mann. | |
| Der Ursprung der jüngsten New-Adult-Welle, die frühen 2020er Jahre, waren | |
| geprägt von den Auswirkungen der Coronapandemie, es entstand eine neue | |
| Leselust, vorangetrieben vom Stillstand des öffentlichen Lebens und eines | |
| neuen digitalen Nähe-Distanz-Verhältnisses. Eine Zeit, ideal als Brutstätte | |
| eskapistischer, tröstender Erzählungen von Selbstfindung, Heilung und der | |
| Gewissheit, dass Liebe rettet. | |
| Austen arbeitete ebenfalls in einer Ära drastischer Verwerfungen, im | |
| Schatten des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, der napoleonischen | |
| Kriege des Königreichs und der Französischen Revolution. Während Romance | |
| Konflikte meist auf das Innenleben ihrer Figuren verengt, schrieb Austen | |
| über Beziehungen in einer Welt, die bedroht war. „[6][Mansfield Park]“ | |
| entsteht, während sie militärische Traktate über die Schwächen der | |
| britischen Verteidigung studiert. | |
| Das spiegelt sich in den Texten, sie sind bevölkert von militärischem | |
| Personal. Doch Austen schrieb nicht als Eskapismus. Dieses Bewusstsein für | |
| die Zerbrechlichkeit der Welt fehlt in vielen zeitgenössischen Romance- und | |
| New-Adult-Romanen, die Krisen auf Paarebene beschränken. | |
| ## Zuneigung gehört zur Partnerwahl | |
| Literaturhistorisch muss Austen aber noch aus einem anderen Grund ernst | |
| genommen werden: Sie ist die erste Autorin, die weibliche romantische Liebe | |
| als legitimes Kriterium der Ehe verhandelt. Austen nimmt weibliches | |
| Empfinden ernst, ohne es zu sentimentalisieren. Ihre Heldinnen sind | |
| selbstständige Akteurinnen, keine Empfängerinnen von Heiratsangeboten. Dass | |
| Zuneigung und Respekt zur Partnerwahl gehören dürfen, ist um 1800 | |
| revolutionär. | |
| Natürlich ist Romance ein weites Feld. Einige der Bücher sind diverser und | |
| queerer, als seine Bestseller erahnen lassen. Doch der Mainstream bleibt | |
| häufig ein Rückzug in alte Märchenmuster, in denen politische Realitäten | |
| kaum vorkommen. Austen dagegen ist politisch, subtil, trotzdem konsequent. | |
| Ihr Horizont bleibt die Gesellschaft, nicht das Paar. | |
| Dass [7][die Serie Bridgerton], dass zahllose Regency-Romance-Reihen, | |
| dass die florierende Austen-Fan-Fiction-Ökosphäre existieren, zeigt: Austen | |
| wurde von der Popkultur nicht nur vereinnahmt, sondern vervielfacht. Weg | |
| von Analyse, hin zu Gefühl und Körper. Sie verstärken den romantischen | |
| Aspekt, während das gesellschaftliche Kalkül verdampft. | |
| Vielleicht ist das der größte Unterschied: Romance will verführen. Austen | |
| will entlarven. | |
| 7 Dec 2025 | |
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