| # taz.de -- Neues Buch des BE-Intendanten: Peymann und wie er die Welt sieht | |
| > Claus Peymanns letzte Spielzeit als Intendant am Berliner Ensemble geht | |
| > zu Ende. Sein Buch „Mord und Totschlag“ ist ein Abschiedsgeschenk. | |
| Bild: Es geht ihm immer ums Ganze, dabei aber bleibt Claus Peymann manchmal ste… | |
| Wenn man schon Theater macht, dann wenigstens so, als ginge es dabei jeden | |
| Moment um „Mord und Totschlag“. Diese Haltung zum Beruf hat Claus Peymann | |
| über den Kreis seiner Anhänger hinaus Respekt verschafft. Mit 540 reich | |
| bebilderten Seiten, durchweg in apartem Theater-Schwarz-Weiß, bietet er | |
| unter diesem Titel in seinem neuen Buch vielen vieles: autobiografische | |
| Selbsterkundung, Rechtfertigungsschrift des eigenen Weges und | |
| Anklageschrift gegen den Geist der Zeit. | |
| Im Grunde ist es eine stark erweiterte Ausgabe jener enzyklopädischen | |
| Programmbücher, die stets im klassizistisch angehauchten Layout zu Peymanns | |
| Premieren aufgelegt wurden. Keine Diskurswüsten, die die heilige Handlung | |
| und sinnstiftende Wandlung der Bühne konzeptuell vorwegnahmen, eher | |
| respektvolle Annäherungen daran im Zitieren benachbarter Kulturgüter, die | |
| dem geneigten Publikum Gelegenheit gaben, seine kanonische Bildung nach den | |
| Erfordernissen des jeweils verhandelten Dichterwortes anzupassen. | |
| Der Satz erinnert an Zeiten, in denen man Manuskripte noch in den Satz gab | |
| – oder zumindest von Heerscharen emsiger und durchweg in Schwarz | |
| gekleideter Dramaturgieassistentinnen am Montagetisch hat kleben lassen. | |
| Der Titel ist ein Scherz von Thomas Bernhard. Zu Beginn seiner | |
| Burgtheaterdirektion 1986 weigerte Peymann sich, die rot-weiß-rote Fahne | |
| über dem Haus aufzuziehen. Bernhard empfahl in freudiger Erwartung die | |
| Aufschrift „Mord und Totschlag“. Man entschied sich dann doch für | |
| „Burgtheater“ in schwarzer Schrift auf weißem Grund. Bernhard wurde | |
| trotzdem nicht enttäuscht. | |
| ## Wo Peymann war, war vorn | |
| Gelegentlich scheint in der Lektüre die Atmosphäre von Pressekonferenzen | |
| auf, wie sie Peymann gegen Ende des vergangenen Jahrtausends vorzugsweise | |
| am Burgtheater abhielt. Es ging ums Ganze, ums Theater, gegen die | |
| Philister, gegen den Staat, welcher von Ersteren in skandalöser Weise | |
| beherrscht ist. Oft verrannte er sich, bis er mit dem stets frisch | |
| gestärkten Tüchlein die Stirn tupfte. | |
| Immer wieder gelang es Hermann Beil im letzten Moment, ihn mit ein, zwei | |
| knappen Formulierungen von der Seite herauszuhauen. Wo Peymann war, war | |
| vorne, war Aufklärung, war Staatsaffäre, auch wenn dann nicht alles so heiß | |
| gegessen wie gekocht wurde. In der Sphäre kultureller Repräsentation war | |
| der Macht immer nur symbolisch entgegenzutreten. So entschieden die Kunst | |
| auch opponierte, war sie gefangen in der Simulation. | |
| Im Berliner Posthistoire haben sich die Dinge eher abgeflacht. Das | |
| Tim-Renner-Bashing war ein müder Abklatsch Wiener Invektiven, die | |
| Solidarität mit dem Antipoden Castorf schien mehr zu nehmen als zu geben. | |
| Ein im Buch abgedrucktes Gespräch mit dem respektvoll wie vergeblich sich | |
| mühenden René Pollesch zeigt jäh, wie der rebellische Geist früher | |
| Handke-Uraufführungen („Publikumsbeschimpfung“ 1966, „Kaspar“ 1968 in | |
| Frankfurt/Main) einem trotzigen Beharren auf die vermeintlich | |
| unveränderlichen Grundsätze des Theaters weicht, dem alles Neue gleich | |
| schlecht ist: die Emanzipation des Theaters von der Literatur, Elfriede | |
| Jelineks „Textflächen“ und jegliche Selbstbefragung des Theaters über sei… | |
| Mittel und seine Organisationsformen. | |
| ## Hadern als Reflex | |
| Das Hadern mit Dingen wie Postdramatik bleibt letztlich nur | |
| kulturkritischer Reflex. Unter Peymanns Führung ist es bislang kaum | |
| gelungen, eine neuen Generation von Theatermachern zu zeitgenössischen | |
| Entwürfen für ein, wenn man so will, „Theater-Theater“ anzuregen, dass den | |
| kritisierten konzeptuellen Formen überzeugend entgegentritt. | |
| Eine respektvolle Lektüre des Buchs ist dann auch die, es immer wieder auch | |
| gegen die Intention des Verfasser zu lesen. Man erfährt so weit mehr als | |
| nur etwas über den Wandel der Formen und der Inhalte in mehr als einem | |
| halben Jahrhundert Theaterpraxis. Den biografischen Faden entlang spitzt | |
| sich der Wandel der Legitimationsdiskurse und politischen | |
| In-Dienst-Stellungen, die das deutschsprachige Theater nach dem Zweiten | |
| Weltkrieg durchlaufen hat, erhellend zu. | |
| Im Studententheater an der Hamburger Universität Anfang der 1960er Jahre | |
| Brecht oder Hans Henny Jahnn zu inszenieren, war fortschrittlich. Aber | |
| letztlich ist die Haltung der jungen Wilden, zu denen Peymann gehörte, | |
| nicht weniger Werte postulierend gewesen als die des Establishments. | |
| Man teilte den Glauben an Sinnstiftung durch Literatur und im Grunde | |
| denselben bildungsbürgerlichen Horizont. Der Kampf galt nicht den | |
| Mechanismen der Repräsentation, sondern der Erweiterung des | |
| Repräsentationsraums um die Elemente, die die Restauration in der | |
| unmittelbaren Nachkriegszeit ausgeblendet hatte. | |
| ## Der bildungsbürgerliche Horizont des Wilden | |
| Viele, die später eine Rolle spielen, waren Gefährten schon in der | |
| Studentenzeit, Peter Rühmkorf etwa. Noch die Anekdoten vermitteln eine | |
| Ahnung, wie dünn und fragil die Basis war, aus der sich die intellektuelle | |
| Reorganisation der alten Bundesrepublik bis zum Ende der 1960er Jahre | |
| speiste. Peymans Erinnerung an seine Zeit als Schauspieldirektor am | |
| Staatstheater Stuttgart (1974–79) zeugt vom blanken Hass einer | |
| Tätergeneration gegen die Nachgeborenen noch in diesen Jahren. Die simple | |
| humanistische Geste, 100 D-Mark für den Zahnersatz der inhaftierten Gudrun | |
| Ensslin zu spenden, kostete Peymann den Posten. | |
| Seine Burgtheaterdirektion (1986–99) erscheint nach dem Abkühlen der | |
| zeitbedingten Konflikte als von oben verordnete Vernunft im Geiste eines | |
| verspäteten aufgeklärten Absolutismus. Führende sozialdemokratische | |
| Bildungspolitiker hatten den streitbaren Deutschen dazu eingesetzt, den | |
| wichtigsten Repräsentationsort der Republik mit etwas Westwind zu | |
| reformieren und die alten verkommenen wie überkommenen Eliten | |
| wegzusprengen. Thomas Bernhards spätes Wüten gegen die Sozialdemokratie | |
| schien diese Instrumentalisierung der Kunst früh zu ahnen. | |
| Peymann und die Theaterleute seiner Generation sind zuletzt Opfer des | |
| eigenen Erfolgs. Ihre Hegemonie im Theater bestreiten auch die Vertreter | |
| neuer Formen und Formate gerade nicht. Zugleich ist Theater nicht mehr der | |
| Ort, an dem politische Herrschaft sich ihre Legitimität beglaubigen lässt. | |
| Das lässt sich als Verlust lesen, aber auch als ein Moment von Freiheit. | |
| 27 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Mattheiß | |
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