| # taz.de -- Thomas Bernhard-Stück in Hamburg: Im Gelächter untergegangen | |
| > Kein Platz für ruhige Töne und Gegenwartsbezüge: Am Schauspielhaus | |
| > inszeniert Herbert Fritsch Thomas Bernhards „Die Jagdgesellschaft“ als | |
| > Komödie. | |
| Bild: Immerzu schießen und streiten: Lautstark ist es auf der Bühne | |
| Andauernder Schneefall vor blauem Hintergrund auf der einen Seite, auf der | |
| anderen Bäume, die längst jeden Rest ihrer einstigen Frische verloren | |
| haben. Bedrohlich wirkt das Bühnenbild im Hamburger Schauspielhaus und | |
| darin bewegt sich eine Figur des Verfalls. Den linken Arm hat der General | |
| [1][in Thomas Bernhards Theaterstück „Die Jagdgesellschaft“] schon vor | |
| Jahrzehnten in Stalingrad verloren. Sein größter Stolz, ein gigantisches | |
| Gut im Wald, ist von Borkenkäfern zerfressen. Und ohne zunächst von ihr zu | |
| wissen, leidet er unter einer tödlichen Krankheit. Immerhin: Der Graue | |
| Star, heißt es, verhindert, dass er den Niedergang erblicken muss. Aber | |
| bald kommen Zweifel auf: Kann er wirklich nicht sehen oder will er nicht? | |
| Um den General herum versammelt sich eine illustre Gesellschaft: seine | |
| Ehefrau, die sich damit rühmt, eine „Mauer des Schweigens“ um ihn errichtet | |
| zu haben; zwei Minister, die seinen Rücktritt erwarten; ein Prinz und eine | |
| Prinzessin sowie Angestellte und schließlich ein Schriftsteller, der über | |
| das Elend des Daseins philosophiert. | |
| „Die Jagdgesellschaft“, 1974 im Wiener Burgtheater uraufgeführt, ist heute | |
| eines der weniger bekannten Werke Thomas Bernhards. Skandale wie bei dessen | |
| „Heldenplatz“ (1988) oder dem grandiosen Prosa-Monolog „Holzfällen – E… | |
| Erregung“ (1984) gab es nicht. Dabei hielt der Österreicher selbst das | |
| Stück für eines seiner gelungensten und der Dramatiker Carl Zuckmayer sah | |
| in ihm „die Dichte eines Strindberg’schen Kammerspiels“ erreicht. | |
| Herbert Fritschs Inszenierung [2][orientiert sich eng am Text der Vorlage]. | |
| Wie er aber hier vorgetragen wird, verwandelt das Stück in eine nahezu | |
| absurd wirkende Komödie: Der Schriftsteller streift neurotisch über die | |
| Bühne, ständig lacht die Frau Generalin grell, hysterisch rennen Figuren | |
| durch das Bühnenbild, zuweilen wirkt deren Stolpern schon slapstickhaft. | |
| Und wenn der Schriftsteller im letzten Akt Bernhards Worte mit piepsiger | |
| Stimme vorträgt, scheint es, als wolle man all die pessimistischen Aussagen | |
| des Österreichers der Lächerlichkeit preisgeben. | |
| Natürlich kann man „Die Jagdgesellschaft“ als Komödie lesen. Aber muss es | |
| solch ein schallendes Gelächter sein? Keinen Augenblick der Stille gönnt | |
| Fritsch. Einmal spricht Bernhards Schriftsteller von „einem solchen Wald, | |
| in welchem alles, nur keine Ruhe ist“. Und so hält es auch die | |
| Inszenierung: Zwei Stunden lang lacht, schreit und schießt die | |
| Jagdgesellschaft ohne Unterlass. Kurz innezuhalten? Unmöglich, | |
| ununterbrochen erklingt Klavierbegleitung. | |
| Und völlig unerklärlich bleibt ein Eingriff Fritsch. Warum etwa lässt er | |
| Prinz und Prinzessin nicht Österreicherin und Österreicher sein wie im | |
| Bernhard’schen Text? Ersteren besetzt Fritsch mit der Japanerin Sachiko | |
| Hara, die mit weiß geschminktem Gesicht in einem Kimono auftritt, um dann | |
| Grimassen zu ziehen und mit erkennbarem Akzent zu sprechen. Eine ähnliche | |
| Darstellung wurde für die Prinzessin gewählt. Erzählerisch wird der | |
| Auftritt dieser beiden Figuren, die einer Karikatur entsprungen sein | |
| könnten, nicht weiter erklärt. Eine gewollte Provokation in Hinblick auf | |
| aktuelle Political-Correctness-Diskurse? Dies ist jedenfalls nicht die Art | |
| von Unkorrektheit, mit der Bernhard zeitlebens Aufsehen erregte. | |
| Und es ist schade, [3][dass Fritsch wie auch in früheren Stücken alle | |
| Bezüge auf Gegenwärtiges nicht aufgreift]. Dabei wirkt Bernhards Text | |
| gerade in einer Zeit, in der der russische Präsident Putin die Geschichte | |
| umschreibt und Fifa-Chef Infantino die Fußball-WM in Katar als beste aller | |
| Zeiten ankündigt, ziemlich aktuell. Es gibt sie schließlich nach wie vor, | |
| auch 50 Jahre nach der Uraufführung der Jagdgesellschaft: die alten | |
| Generäle, die nicht erkennen wollen, dass ihre Umwelt sich verändert hat. | |
| Das Reizvolle an Bernhards Text liegt dabei darin, dass er gar nicht eine | |
| bestimmte Gruppe oder gar eine alte Elite vorführen möchte. Sein General | |
| mag ignorant und unfähig sein, sich der neuen Realität anzupassen. | |
| Doch das gilt auch für uns Zuschauende: Letztlich, so erklärt es der | |
| Schriftsteller im Stück, konstruieren wir uns doch alle unsere Lebenslügen: | |
| „Ununterbrochen reden wir über etwas Unwirkliches / damit wir es ertragen / | |
| aushalten / weil wir unsere Existenz zu einem Unterhaltungsmechanismus / | |
| gemacht haben“. Viele solcher Gedankengänge, die in Thomas Bernhards | |
| „Jagdgesellschaft“ angelegt sind, gehen in Fritschs lautstarker | |
| Inszenierung, die lang anhaltenden Applaus beim Publikum hervorrief, leider | |
| unter. | |
| 10 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.schauspielhaus.de/de_DE/stuecke/die-jagdgesellschaft.1309368 | |
| [2] https://www.suhrkamptheater.de/stueck/thomas-bernhard-die-jagdgesellschaft-… | |
| [3] /Auszeichnung-fuer-Herbert-Fritsch/!5404013 | |
| ## AUTOREN | |
| Lenard Brar Manthey Rojas | |
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| Claus Peymann | |
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