# taz.de -- Bundesregierung will privatisieren: Dobrindts vernebelter Coup | |
> Die Regierung plant eine Firma, mit der Autobahnen oder Schulen zu | |
> Anlageprodukten werden. Verschleiert wird der Schritt hinter viel | |
> Bürokratie. | |
Bild: Wieviel Geld kann man mit dem Bau von Autobahnen verdienen? | |
Diese Geschichte müsste als Kriminalfall erzählt werden. Ein Thriller, in | |
dem ein Kartell von Ministern und ihrer Bürokratie versucht, mit | |
Steuergeldern in Milliardenhöhe Renditewünsche von Konzernen zu bedienen. | |
Und private Konten zu füllen. Jene von Versicherungskonzernen, | |
Beraterfirmen, Banken und Kanzleien. Was schablonenhaft klingen mag, spielt | |
sich derzeit real ab – verborgen hinter drögen Gesetzesänderungen. | |
Gerade läuft der Schlussakt. Mitte Oktober verständigten sich die | |
Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundesregierung überraschend auf | |
neue Bund-Länder-Regeln. Ein Deal, erkauft mit 9,5 Milliarden jährlich, mit | |
denen der Bund vor allem den Widerstand der Länder gegen eine | |
zentralisierte Infrastrukturgesellschaft brechen konnte. Das ist das | |
Kernprojekt. Es ist eingebettet in eine Kaskade von Verfassungsänderungen, | |
die verschiedene Bereiche im Bund-Länder-Verhältnis betreffen. Am | |
Donnerstag traf sich die Runde der Ministerpräsidenten erneut mit der | |
Bundesregierung, schon nächste Woche wird das Gesetzesbündel vom Kabinett | |
verabschiedet. Rasch soll es gehen. | |
Für Bau, Betrieb und Erhalt der Autobahnen sollen künftig nicht mehr die | |
Länder, sondern eine bundeseigene GmbH verantwortlich sein. Diese neu | |
geschaffene Infrastrukturgesellschaft wird alle Kompetenzen zentral | |
bündeln, die zuvor auf Bund und Länder verteilt waren. Ihr wichtigstes Ziel | |
ist es, das deutsche Autobahnnetz in Form von „Öffentlich-Privaten | |
Partnerschaften“ (ÖPP) zu privatisieren. 13.000 Kilometer. Verantwortlich | |
für diesen Coup: Sigmar Gabriel, Alexander Dobrindt und Wolfgang Schäuble. | |
Und es geht nicht nur um Autobahnen, deren Wert Experten auf 300 Milliarden | |
taxieren, sondern auch um die Schulen. Sigmar Gabriel hat gerade Berater | |
der Firma PricewaterhouseCoopers mit einem entsprechenden Gutachten | |
beauftragt. Dort wird aufgezeigt, wie die „institutionellen Investoren“, | |
wie es heißt, „typische kommunale Infrastrukturvorhaben wie etwa die | |
Errichtung von Schulen und Kindergärten“ managen. All das wird das heute | |
beschlossene Gesetzespaket ermöglichen, das dann noch durch den Bundestag | |
muss. | |
## Der Dunst ministerialer Nebelmaschinen | |
Wieso ist es problematisch, wenn statt des Staats nun Konzerne die | |
Infrastruktur für dreißig Jahre übernehmen? Weil dies um ein Vielfaches | |
teurer wird – gestückelt über Jahrzehnte, vorbeigeschummelt am Haushalt und | |
versteckt hinter komplizierten Regelwerken, die parlamentarisch nicht mehr | |
kontrollierbar sind, weil sie unters Geschäftsgeheimnis fallen. Um dies zu | |
erreichen, ließ Gabriel die Infrastrukturgesellschaft designen. Das | |
bestätigen Experten, Politiker und Sachverständige. | |
Verschleiert wird dieses Unterfangen vom zähen Dunst ministerialer | |
Nebelmaschinen, die seit drei Jahren auf Hochtouren laufen. Es soll für die | |
Öffentlichkeit nicht offensichtlich werden, wie die Bundesregierung für | |
Investoren aus Infrastruktur Anlageprodukte fabriziert. Die Trickserei | |
versteckt sich in Details. So soll die neue Gesellschaft per definitionem | |
ohne Staatsgarantien auskommen. Obwohl sie zu 100 Prozent im Besitz des | |
Staates ist. Das führt dazu, dass ihre Bonität auf den Finanzmärkten sinkt. | |
Denn Staaten wie Deutschland genießen maximale Sicherheiten und damit | |
maximale Bonität. Staatliche Akteure zahlen deswegen die niedrigsten Zinsen | |
bei Kapitalbeschaffung. Durch den Trick, keine Staatsgarantien zu | |
gewährleisten, wird die Gesellschaft als nicht staatlich „fingiert“, wie | |
ein Experte sagt. Die Bonität sinkt und die Preise für die | |
Kapitalbeschaffung steigen. Ein Finanztrick. „Auf diese Weise entstehen | |
höhere Renditen für private Kapitalgeber“, sagt Holger Mühlenkamp, | |
Verwaltungswissenschaftler der Uni Speyer. Der Preis wird also künstlich in | |
die Höhe getrieben, bezahlt aus Steuergeldern. | |
Ein Geschäftsmodell – von der Bundesregierung für Konzerne maßgeschneidert. | |
Und auch praktisch für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Denn ohne | |
Staatsgarantien werden die Kosten der Infrastrukturgesellschaft außerhalb | |
des Haushalts verbucht. „Ein Ziel ist es, die Schuldenbremse zu umgehen“, | |
sagt Mühlenkamp. Der Verwaltungswissenschaftler äußert sich in der Regel | |
vorsichtig. Dennoch: „Offenbar haben sich hier Lobbies auf Kosten der | |
Steuerzahler und Autofahrer durchgesetzt. Das führt höchstwahrscheinlich zu | |
weiterer Vermögens- und Einkommensungleichheit. Das ist dann Umverteilung | |
von unten nach oben.“ | |
Der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, sagt: „Der Bund als | |
Eigentümer, und das Parlament dürfen ihre bestehenden Einfluss- und | |
Kontrollmöglichkeiten nicht aus der Hand geben – im Interesse des | |
Gemeinwohls. Das muss bei allen Überlegungen im Vordergrund stehen – und | |
nicht andere Interessen.“ Der Bundesrechnungshof legte gerade ein neues | |
Gutachten zur Infrastrukturgesellschaft vor. Es fällt negativ aus. | |
## Das Modell kostet mehr | |
Die Gesellschaft wird zudem nach Expertenmeinung zu einem Katalysator für | |
weitere ÖPP-Projekte werden. Auch dies ist ein Geschäftsmodell zum Nachteil | |
der Steuerzahler: Allein bei der Infrastruktur für Autobahnen kostet die | |
ÖPP-Variante 38 Prozent mehr, als wenn weiterhin der Staat bauen würde, wie | |
der Bundesrechnungshof moniert. | |
Verkehrsminister Alexander Dobrindt, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und | |
Finanzminister Wolfgang Schäuble sind nicht bereit, der Öffentlichkeit zu | |
sagen, worum es geht: Dass Steuerzahler mit den künstlich höheren Preisen | |
die Renditen von Konzernen bedienen sollen, und dass dieser Trick die | |
nützliche Fiktion der schwarzen Null aufrecht erhält. Der schnell | |
gefertigte Entwurf für die Grundgesetzänderungen liegt der taz vor. 114 | |
Seiten lang, Stand: 23. November 2016. Die Geschwindigkeit, mit der hier | |
vorgegangen wird, erstaunt auch Parteigenossen der SPD. Nach | |
taz-Informationen wurde das Vorhaben vor der Kabinettssitzung nicht einmal | |
mehr in der Fraktion besprochen. Unmut macht sich breit. | |
„Der Zeitdruck, der hier an den Tag gelegt wird, ist fatal“, sagt etwa | |
Michael Groß. Er ist Verkehr- und Infrastrukturexperte der SPD im | |
Bundestag. Denn: „Von der Bedeutung her ist das die Föderalismusreform | |
III.“ Also die Fortsetzung jenes Großvorhabens, das rund 10 Jahre dauerte | |
und die Beziehungen von Bund und Ländern gänzlich neu regelte. | |
Diese Föderalismusreform III wird durchgepeitscht. | |
Täuschte Sigmar Gabriel selbst seine Genossen, als er behauptete, die | |
Gefahr der Privatisierung sei gebannt, denn die Gesellschaft werde ja nicht | |
von Privaten betrieben? Auch hier sind die Details interessant. Holger | |
Mühlenkamp stellt fest: „An der Gesellschaft können sich private Anleger | |
zwar nicht als Miteigentümer beteiligen. Aber ihnen können über stille | |
Beteiligungen oder Genussscheine erhöhte Renditen verschafft werden“. Eine | |
hochkomplexe Trickserei. | |
## Negatives Gutachten | |
Ein aktuelles Gutachten von Forschern der TU Berlin und der Uni Frankfurt, | |
erstellt im Auftrag des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, | |
bestätigt, dass Privatisierungen dadurch keineswegs verhindert würden. Die | |
Grundgesetzänderung sei „aus der Perspektive der Maut- und Steuerzahler als | |
nachteilig einzustufen“, heißt es. | |
Der taz liegt ein Brief des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske an Minister | |
Dobrindt vom 28. November vor. Darin steht: „Wir weisen darauf hin, dass es | |
angesichts des extremen Zeitdrucks nicht möglich war, eine abschließende | |
und umfassende Stellungnahme auch nur mit Blick auf Teilbereiche des | |
Gesetzespakets erstellen zu können.“ | |
In einer Mail des Ministeriums heißt es lapidar: „Die kurze Frist bitte | |
ich, im Hinblick auf diese enge Terminlage zu entschuldigen.“ | |
Das Vorgehen des Bundesverkehrsministeriums hat System. Es täuscht und | |
narrt Abgeordnete des Bundes und der Länder; es behindert außerdem die | |
Presse ganz bewusst. Seit Juli fragt die taz nach einem Detail des | |
Vorhabens. Zunächst verschleppten Mitarbeiter die Antworten nur; | |
Pressereferent Ingo Strater reagiert inzwischen überhaupt nicht mehr auf | |
Anfragen oder Rückrufbitten. Er behauptet gar, Anfragen bereits beantwortet | |
zu haben. Wahrheitswidrig. | |
Dabei ist das Ministerium laut Grundgesetz verpflichtet, der Presse Fragen | |
zu beantworten. Umso mehr, wenn es um Änderungen des Grundgesetzes geht. | |
Selbst eine Beschwerde und Anfragen der taz bei Sebastian Hille, dem Leiter | |
der Pressestelle, bleiben unbeantwortet. | |
Dabei sind die Fragen relevant: Warum verheimlicht das Dobrindt-Ministerium | |
welche seiner Mitarbeiter mit externen Firmen kooperieren? Wieso kann das | |
Ministerium nicht sagen, wie viele Juristen es beschäftigt? Und wieso | |
vergibt es ohne jegliche Transparenz Aufträge freihändig an private | |
Kanzleien? Wieso darf die Öffentlichkeit nichts über die Kosten erfahren? | |
Kein Kommentar. | |
Angeblich ist das Gutachten zur Grundgesetzänderung noch nicht fertig. | |
Dabei entscheidet heute die Regierung über das komplette Gesetzespaket. | |
Doch schon im April hatte Dobrindts Parlamentarischer Staatssekretär in | |
einer Anhörung erklärt, dass die Grundgesetzänderung innerhalb der | |
Regierung bereits abgestimmt worden sei. Der Minister wünscht keine Fragen. | |
## Klarer Interessenskonflikt | |
Denn er hat die Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen beauftragt. Dort | |
arbeitet Dietrich Drömann, eine interessante Personalie. Er gilt als | |
ÖPP-Koryphäe. Drömann war es auch, der unter Gerhard Schröder das | |
„ÖPP-Beschleunigungsgesetz“ auf den Weg brachte. Damit erst konnten ÖPP in | |
Deutschland massenhaft ausgebaut werden. | |
Drömann arbeitete damals noch im Auftrag von Servatius Rechtsanwälte. Er | |
pflegt sehr gute Kontakte ins Ministerium, heißt es. Und ist spezialisiert | |
auf die Privatisierung von Autobahnen. Firmen wie die Kanzlei Graf von | |
Westphalen profitieren nun also von den Gesetzen, die sie hier unter | |
Ausschluss der Öffentlichkeit auf den Weg bringen. Ein klarer | |
Interessenskonflikt. | |
Eine Insiderin meint: „Das Verkehrsministerium vertritt nicht mehr die | |
Bevölkerung, sondern eine Lobby.“ Und Holger Mühlenkamp sagt: „Es handelt | |
sich um ein intransparentes und ineffizientes Vorhaben, bei dem der | |
Bevölkerung etwas vorgegaukelt wird.“ Und Michael Groß von der SPD ist | |
überzeugt: „Mit ÖPP höhlen wir unsere demokratischen Strukturen aus. Wir | |
misstrauen uns selbst und überlassen die Infrastruktur Interessen, die | |
nicht am Gemeinwohl orientiert sind.“ | |
9 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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