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# taz.de -- BGH-Urteil zu ehemaligem SS-Mann: Willig, gehorsam, schuldig
> Oskar Gröning war ein Rädchen in der Maschinerie des Nationalsozialismus.
> Er machte sich wegen Beihilfe zum Massenmord strafbar.
Bild: Oskar Gröning erwarten vier Jahre Freiheitsstrafe
Freiburg taz | SS-Mannschaften in Auschwitz haben sich generell wegen
Beihilfe zum Massenmord strafbar gemacht. Dies entschied jetzt der
Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Montag veröffentlichten
Grundsatzbeschluss. Er bestätigte dabei die Verurteilung des früheren
SS-Mannes Oskar Gröning, der in dem KZ überwiegend als Buchhalter tätig
war.
Gröning, damals ein überzeugter Nationalsozialist, trat 1940 freiwillig in
die SS ein und arbeitet ab September 1942 in der „Häftlingsgeldverwaltung“
von Auschwitz. Dort sortierte er das Geld der Ermordeten, verbuchte es und
brachte es nach Berlin. Seine Arbeit im KZ war ihm wichtig, weil er so
nicht an die Front musste. Dabei wusste er, dass Juden im industriellen
Stil ermordet wurden.
Konkret warf die Justiz Gröning eine Mitwirkung an der „Ungarn-Aktion“ vor.
Von Mai bis Juli 1943 wurden rund 430. 000 Juden aus dem eben besetzten
Ungarn in 141 Güterzügen nach Auschwitz-Birkenau gebracht. An der dortigen
Rampe wurden sie selektiert, die „Arbeitsfähigen“ kamen zur „Vernichtung
durch Arbeit“ ins Arbeitslager. Mehr als 80 Prozent der Neuankömmlinge aber
wurden sofort in Gaskammern getötet, die Leichen anschließend im
Krematorium verbrannt.
Im Juli 2015 verurteilte das Landgericht Lüneburg den damals 94-jährigen
Gröning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren. Der legte Revision ein. Nun hat der 3.
BGH-Strafsenat das Urteil in vollem Umfang bestätigt. Dabei verzichtete das
Gericht auf eine mündliche Verhandlung, wohl um das Verfahren zu
beschleunigen. Denn wäre Gröning vor einer BGH-Entscheidung gestorben, wäre
das Verfahren ohne rechtskräftiges Urteil beendet gewesen.
## Beihilfe in doppelter Hinsicht
Der BGH entwickelte in seiner Entscheidung keine neue Rechtsprechung,
sondern wandte die „allgemeinen Grundsätze“ an. Danach ist jede Handlung
als Beihilfe strafbar, die den Erfolg des Haupttäters fördert oder
erleichtert. Bei einem hoch arbeitsteilig durchgeführten staatlichen
Massenmord genüge es für die Annahme einer Beihilfe, so der BGH, wenn
zumindest einem der Täter geholfen wurde. Die konnten dabei die Personen
sein, die den Massenmord angeordnet und vorbereitet haben – aber auch
solche, die ihn dann im Rahmen einer Hierarchie ausführten.
Gröning habe nach diesen Grundsätzen in doppelter Hinsicht Beihilfe
geleistet. Zum einen hatte er zugegeben, während der Ungarn-Aktion drei Mal
selbst Dienst an der Rampe geleistet zu haben. Dabei hatte er das Gepäck
der Neuankömmlinge bewacht. So half er, die Arglosigkeit der Opfer
aufrechtzuerhalten, die nichts von ihrer bevorstehenden Ermordung wussten.
Da er in Uniform und mit Pistole an der Rampe stand, war er auch Teil einer
Drohkulisse, die jeden Gedanken an Flucht und Widerstand im Keim erstickte.
Damit habe er den SS-Wachmannschaften unmittelbar beim Morden geholfen.
Neben den drei Rampendiensten wurde Gröning aber auch seine „allgemeine
Dienstausübung“ in Auschwitz vorgeworfen. Diese habe die Führungspersonen
in Staat und SS unterstützt. Zwar hätten diese Gröning nicht persönlich
gekannt, doch sie wussten, „dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie
auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen
besetzt waren“. Der entscheidende Satz der BGH-Entscheidung lautet: „Nur
weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte industrielle
Tötungsmaschinerie mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung
stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber überhaupt in der Lage,
die Ungarn-Aktion anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen
zu lassen.“ Somit haben sich die SS-Mannschaften von Auschwitz-Birkenau
generell der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht.
## Die Ruhe ist vorbei
Das klang 1969 noch anders. Damals hatte der BGH im Fall des
Lagerzahnarztes von Auschwitz, Willi Schatz, Straffreiheit verlangt, soweit
das Morden nicht „konkret gefördert“ wurde. Im aktuellen Beschluss
kritisierte der BGH das fast 50 Jahre alte Schatz-Urteil nicht. Jenes habe
eine andere Frage behandelt, weshalb man nun auch nicht davon abweiche.
Vermutlich ging es bei dieser Einschätzung ebenfalls um eine Beschleunigung
des Verfahrens, weil nun sofort entschieden werden konnte und nicht der
Große Strafsenat des BGH angerufen werden musste.
Das BGH-Urteil von 1969 hatte allerdings dazu geführt, dass die
Auschwitz-Wachmannschaften jahrzehntelang in Ruhe gelassen wurden. Erst als
das Landgericht München 2011 den Ukrainer John Demjanjuk allgemein für
seine Tätigkeit im Vernichtungslager Sobibor verurteilte, kam wieder
Bewegung in die Justiz. Nun wurde auch gegen die wenigen noch lebenden,
heute greisen SS-Leute von Auschwitz ermittelt. Das Demjanjuk-Urteil konnte
allerdings nicht rechtskräftig werden, weil der Angeklagte kurz nach dem
Münchener Urteil starb.
Um so wichtiger ist nun die BGH-Entscheidung im Fall Gröning. Die Vertreter
der Nebenklage begrüßten den Beschluss. Endlich sei klar: „Auschwitz war
ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte.“
(Az.: 3 StR 49/16)
28 Nov 2016
## AUTOREN
Christian Rath
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