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# taz.de -- Gentrifizierung befürchtet: Pachtpreise steigen spektakulär
> Bei auslaufenden Erbpachtverträgen steigen die zu zahlenden Mietzinsen um
> das bis zu 80-fache. Lübeck streitet nun über einen sozialverträglichen
> Übergang.
Bild: Hochburg: Lübeck ist die Kommune, die die meisten Erbpachtverträge verg…
HAMBURG taz | In Lübeck gibt es Streit darüber, wie mit den explodierenden
Pachtzinsen für Erbbaurechtsgrundstücke umgegangen werden soll. Einige
Pächter protestieren gegen die Erhöhung. Sie befürchten, dass sich einige
von ihnen den in Zukunft sehr viel höheren Zins nicht mehr leisten können
und von Wohlhabenden verdrängt werden. „Erreicht wird eine Vertreibung der
eingesessenen Bevölkerung und eine Zerstörung der Sozialstruktur“,
kritisieren die Pächter.
Lübeck ist nach eigenen Angaben die Kommune, die bundesweit am meisten
Erbbaurechte vergeben hat. Darunter versteht man eine auf mehrere
Jahrzehnte angelegte Pacht eines Grundstücks, die vererbt und verkauft
werden kann. Diese Möglichkeit wurde geschaffen, um auch weniger
Wohlhabenden die Möglichkeit zu geben, sich ein Häuschen zu bauen.
Allein in den kommenden 20 Jahren laufen in Lübeck 890 solcher Verträge aus
– mit unerquicklichen Folgen für die Pächter. Sie haben uralte Verträge, in
denen sich der Pachtpreis am Bodenpreis der Vorkriegszeit orientiert. Der
ist in den vergangen 80 Jahren jedoch stark gestiegen, in einem
Extrembeispiel aus dem Stadtteil St. Jürgen von umgerechnet knapp drei Euro
pro Quadratmeter auf fast 200 Euro.
Bei einer Vertragsverlängerung steigt die zu zahlende Pacht, weil der
Bodenwert auf der Basis heutiger Bodenpreise festgelegt wird. Bei einem
durchschnittlichen 600-Quadratmeter-Grundstück wären künftig 4.800 statt
bisher 72 Euro Pacht im Jahr zu bezahlen.
Abgesehen davon, dass der Anstieg spektakulär aussieht, liegt das Problem
im Zuschnitt der Grundstücke. „Wir haben relativ viele sehr große
Grundstücke von mehr als 1.000 Quadratmetern“, sagt SPD-Fraktionschef Jan
Lindenau. Die Grundstücke zu teilen, sei meist nicht möglich, weil die
Häuser sich zur Straße hin über die gesamte Grundstücksbreite erstreckten.
Für den hinteren Teil könnte keine Zufahrt geschaffen werden.
Auch am Pachtzinssatz, der das Verhältnis zwischen Bodenwert und Höhe oder
Pacht bestimmt, lasse sich nicht drehen. „Ein Prozent würde von der
Kommunalaufsicht nicht genehmigt“, sagt Lindenau. Diese bestehe darauf,
dass sich der Zinssatz an dem anderer Großstädte orientiere, und der liege
nicht unter vier Prozent.
Die Lübecker Bürgerschaft hat einen Vorschlag der SPD beschlossen, der
versucht, soziale Härten zu vermeiden. Dieser setzt den Grundstückswert
etwas niedriger an als zunächst geplant und sieht Rabatte vor. So wird die
Pacht für jedes Kind um 20 Prozent verringert.
Zugleich soll die zu zahlende Pacht aber mit den Verbraucherpreisen
wachsen. Damit vermeidet die notorisch klamme Stadt Lübeck Einnahmeverluste
und so starke Preissprünge wie zurzeit – und schmälert den damit
verbundenen Unmut.
Lindenau zufolge erörtert die Lübecker Bürgerschaft verschiedene Wege, wie
der jetzt anstehende Übergang noch abgefedert werden könnte. Zum Beispiel
könnte die Stadt einzelne Grundstücke kaufen, um über diese die Zufahrt zu
abzuteilenden rückwärtigen Baugrundstücken zu schaffen.
„Ich sehe im Moment den größeren Hebel nicht im Zins, sondern in der
Bewertung der Grundstücke“, sagt Lindenau. Die Grundstücke seien vor
Jahrzehnten so groß geschnitten worden, dass sich die Siedler aus den
Gärten selbst versorgen konnten. Diese großen Gärten werden heute nicht
mehr gebraucht, schlagen aber beim Erbbauzins voll zu Buche. Lindenau
schlägt deshalb vor, das Bauland und das Gartenland im Grundbuch getrennt
auszuweisen, wodurch sich auch der Wert ändern würde. Das sei zwar
aufwendig, aber bei 99-jährigen Pachten könnte sich das lohnen.
17 Nov 2016
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Stadtentwicklung
Lübeck
Bürgerschaft
Siedler
Lübeck
Kunstwerk
Brandanschlag
Rechtsextremismus
Flüchtlinge
Schwerpunkt Rassismus
Luftverkehr
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