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# taz.de -- Platz der alten Synagoge in Freiburg: Erst sprengt der Nazi, jetzt …
> Beim Umbau des geschichtsträchtigen Ortes werden Fundamente der Synagoge
> gefunden. Die Stadt gibt sich überrascht und mauert.
Bild: Kunstprojekt zum Gedenken im Jahr 2002: Die roten Bänder zeichnen die Um…
Freiburg taz | Der Platz der alten Synagoge in Freiburg ist eine Baustelle.
Und mehr: Obwohl nur braune Erde, werden dort Spuren gesucht – von Terror,
und von Versöhnung. Deshalb kommen immer wieder Leute zum Platz. Sie wollen
begreifen. Auch greifen – Sandstein etwa, der zwischen den Fingern
zerbricht.
Fundamente der alten Synagoge – am 9. November 1938 von den Nazis
angezündet und gesprengt – wurden auf dem Platz gefunden.
Stadtverantwortliche taten so, als käme das unerwartet. „Freiburg halt“,
sagt einer, der am Bauzaun durch die Absperrfolie späht. Der Mann daneben
nickt: „Das weiß man doch, dass unter einer Synagoge Fundamente sind“. Er
trägt einen Kittel mit dem Logo der Freiburger Universität. Die
Kollegiengebäude KG I und KG II grenzen an den Platz. Auch die neue
Unibibliothek – ein Glasklotz, keine Ecke im Lot. Ein Dritter Mann am
Bauzaun sagt: „Wenn es ein Mahnmal gibt, dann braucht man doch kein neues
mehr drauf bauen. Aber es ist halt schon bezahlt.“ Das neue Mahnmal ist der
geplante Brunnen in den Umrissen der alten Synagoge.
Von den Panoramafenstern des KG II ist die Aussicht auf den Platz gut: Erde
und Schuttberge, abgetragener Asphalt, Betonmischer, Container, Paletten,
Granitblöcke. Arbeiter in Orange – einer schiebt eine Schubkarre, ein
anderer baggert.
Einzig die Einfassungen um drei Platanen geben Orientierung. Die
Baumscheiben sind groß. Nicht Rasen, Steinplatten sollen darauf gelegt
werden. Da, wo die Straßenbahn verlaufen soll, vor dem Stadttheater, sieht
die Umgestaltung fast fertig aus.
Der Platz steckt in der Halbwirklichkeit. 58 Jahre stand die jüdische
Synagoge. Bis die Nazis kamen. Nach dem Krieg war da, wo die Synagoge
stand, ein Parkplatz. Als man anfing, sich in der BRD der Vergangenheit zu
stellen, wurde er zu gemacht. Stattdessen wurde Rasen angelegt, Gras, das
darüber wächst.
## Alles wird platt gemacht
Seit bald fünfzehn Jahren, so die Pressesprecherin des Oberbürgermeisters,
werde nun geplant, was mit dem Platz werden soll. Freiburg soll
großstädtischer, der Platz eine Mitte werden. Wo die Synagoge stand, soll
das Wasserbecken hin. Allerdings gäbe es keine Baupläne von damals, sagt
sie, deshalb wisse man nicht genau, wo die Synagoge stand. „Das glaub ich
nicht, dass man das nicht weiß“, sagt Marlis Meckel, die viel
Erinnerungsarbeit in Freiburg macht. Egal, jetzt weiß man es. Man weiß:
Einige Fundamente sind dem Wasserbecken im Weg.
An einer Stelle ist der Bauzaun offen, weil Bagger rein fahren. Das nutzen
Leute, um aufs Gelände zu kommen. Ein Mann steht vor einer Grube. Einige
Stellen sind mit Plastikfolie abgedeckt. Ist das, wo die alte Synagoge war?
Er nickt. In der Erde stecken Stäbe, sie markieren den Grundriss. „Die
sollen das so lassen“, sagt der Mann, „aber wetten, es wird platt gemacht�…
Alles werde platt gemacht. „Freiburg halt – Green City für Snobs.“ Der M…
ist sauer, Dieter Salomon, den Oberbürgermeister von den Grünen, hält er
für einen Tut-nicht-gut, einen, der der Wirtschaft huldigt. Der Mann trägt
ein Lederkäppi, vorne ein Löwe aus Metall mit einem Ring durch die Nase.
Was das bedeutet? „Finden Sie's raus“, sagt er. Wie? „Geben Sie Judentum
und Löwe in die Suchmaschine im Netz.“ Ob er jüdisch sei. Das sei privat,
antwortet er.
Da komplimentiert ein Bauarbeiter die Leute, die verbotenerweise auf die
Baustelle gingen, wieder raus.
Dass man Fundamente findet, sei nicht erwartet worden, sagt der Leiter des
Tiefbauamtes Frank Uekermann. „Radarmessungen“ seien gemacht worden,
„Schlitzbohrungen“ – State of the Art im Denkmalschutz, nur Schutt fand
man, sagt er. Aber das käme vor, dass man sich irre.
Seit August wohl wisse man, dass da doch was ist. Aber erst als Studenten
Irina Katz, der Vorsitzenden der israelitischen Gemeinde von Freiburg,
Wochen später Fotos schickten, auf denen Grundmauern zu sehen waren, wurde
genickt: Ja, hm, doch, da sei was. Eine Sitzung wurde einberufen mit den
zwei jüdischen Gemeinden der Stadt. Man müsse die Steine abtragen, sonst –
es sind die Worte des Oberbürgermeisters – sprenge der Frost sie. „Vorher
sprengten die Nazis, jetzt sprengt die Kälte“, sagt eine Frau, die es
unmöglich findet, wie die Stadt sich verhält. Sie ist Psychoanalytikerin,
ihr fällt so eine Sprache auf.
## „Was machen die da? Sie werfen sie weg“
Die jüdischen Gemeinden baten, dass die Fundamente vor dem 9. November, dem
Jahrestag der Progromnacht, an dem des Holocaust gedacht wird, nicht
angetastet werden. Die Stadt hielt sich nicht daran und trug Fundamentreste
in der Woche davor ab. Sie würden sorgfältig herausgeholt, nummeriert und
gelagert. Nichts sei irreversibel, so der Leiter des Tiefbauamtes. Weil der
Sandstein so porös sei, müsse er sowieso konserviert werden, selbst wenn
man ihn später wieder in ein Mahnmal integriere.
Die jüdischen Gemeinden der Stadt hätten gern, dass die Fundamente sichtbar
sind. „Es ist das einzig Authentische unserer Geschichte“, sagt Francois
Blum, in Lyon lebender Nachfahre von Freiburger Juden, der zu Mahnwachen an
der Baustelle anreist. Er ist entsetzt ob der Unsensibiliät, mit der
vorgegangen wurde. Ein Video kursiert, aufgenommen vom Kollegiengebäude II
der Universität aus. Mit Spitzhacken wird auf die Steine eingehauen. Irina
Katz spricht aus dem Off: „Was machen die da?“ fragt sie immer wieder. Und
als Teile der Mauer auf einen Haufen geworfen werden, sagt sie, „sie werfen
sie weg“. Seit zwei Tagen weine sie nur. „Bis heute keine Entschuldigung“,
sagt sie bei einer Mahnwache Tage später vor dem Stadttheater.
Die Situation ist verfahren. Stadtverantwortliche argumentieren mit
Sachzwängen, sie müssen weiter bauen, sonst verfallen Fördergelder.
Mitglieder der jüdischen Gemeinden indes sagen immer wieder: Durch die
Fundamente sei eine neue Situation entstanden. Es müsse neu überlegt und
geplant werden. „Die jüdischen Gemeinden entscheiden nicht“, meint die
Pressesprecherin des Oberbürgermeisters am Telefon. Dann erschrickt sie
selbst über den Satz.
Auf der Gedenkveranstaltung am 9. November vor der neuen jüdischen Synagoge
unweit des Freiburger Münsters zitiert Gerda Stuchlik, die
Bildungsbürgermeisterin, Elie Wiesel, während es in Strömen regnete: „Das
Gegenteil von Erinnerung ist nicht Vergessen sondern Gleichgültigkeit“. Sie
sei zuversichtlich, dass Teile der Fundamente in ein erweitertes Mahnmal
integriert werden könnten.
„Die Wahrheit wird euch frei machen“ steht groß in Goldbuchstaben auf der
Fassade des Universitätsgebäudes KG I. Es steht direkt am Platz.
13 Nov 2016
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Synagoge
Pogrom
NS-Gedenken
Elie Wiesel
Judentum
Denkmalschutz
Sterne
Schwerpunkt Neonazis
Der 9. November
Judentum
NS-Gedenken
Judentum
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