# taz.de -- Jürgen Trittin zur grünen Syrienpolitik: „Sanktionen taugen nic… | |
> Die Grünen-Spitze fordert eine Flugverbotszone und Sanktionen gegen | |
> Syrien. Jürgen Trittin hält das für unverantwortlich. | |
Bild: Aleppo am ersten Tag der russischen Waffenruhe | |
taz: Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich am Donnerstag | |
dagegen entschieden, mit neuen Sanktionen gegen Russland zu drohen. | |
Zurecht? | |
Jürgen Trittin: Das kam zumindest nicht überraschend. Im Kanzleramt hatte | |
man schon in der vergangenen Woche daran gezweifelt, dass es innerhalb der | |
EU einen Konsens geben wird. Deswegen hatte ich auch mit Verwunderung die | |
Diskussion zur Kenntnis genommen, die in Deutschland darüber geführt wurde. | |
An dieser Diskussion hatten sich auch die Grünen beteiligt. Parteichef Cem | |
Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprachen sich für | |
Sanktionen aus. Lagen sie etwa falsch? | |
Sanktionen wirken nicht, wenn nur einzelne Staaten sie tragen. Und sie | |
wirken wenn langfristig. Den Menschen in Aleppo läuft aber die Zeit davon. | |
Wir brauchen schnell eine möglichst lange Unterbrechung der | |
Kampfhandlungen, um den Menschen humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Ich habe | |
ziemliche Zweifel daran, dass Sanktionen dazu taugen, dieses Ziel zu | |
erreichen. | |
Was dann? | |
Es gibt keine Alternative zu Verhandlungen mit denen, die dort militärisch | |
aktiv sind. Ja, darunter sind Leute, die Kriegsverbrechen begehen. Das ist | |
die bittere Herausforderung. Aber verantwortungsvolle Außenpolitik basiert | |
nicht allein auf berechtigter Empörung und schönen Forderungen. Am Ende ist | |
entscheidend, dass das Ziel erreicht wird. Deswegen ist die Haltung | |
richtig, die beispielsweise Frank-Walter Steinmeier an den Tag legt: Es war | |
klug, Russland durch Gespräche zu einer Unterbrechung der Kämpfe zu | |
bringen. Wir müssen mehr Makler als Mahner sein. | |
Cem Özdemir forderte auch, über militärische Maßnahmen nachzudenken – etwa | |
über eine Flugverbotszone. Lehnen Sie das ebenfalls ab? | |
Er findet es auch falsch, dass sich Deutschland nicht an der | |
Libyenintervention beteiligt hat. Die hat aber die Lösung der Syrienkrise | |
massiv erschwert. Wer jetzt eine Flugverbotszone für Syrien fordert, sollte | |
die Konsequenzen bedenken. Eine Flugverbotszone gegen Russland könnten nur | |
die Amerikaner durchsetzen. Das liefe also auf eine militärische | |
Konfrontation zwischen den USA und Russland raus. Daran haben beide Seiten | |
kein Interesse und das ist auch klug so. | |
Man muss Sanktionen oder Flugverbote ja nicht unbedingt durchsetzen. Schon | |
die bloße Drohung könnte Eindruck machen. | |
Eine Maßnahme, die man auf den Tisch legt, aber im Zweifel nicht | |
durchführen kann, ist keine Maßnahme. Die Amerikaner konzentrieren sich | |
derzeit auf die Schlacht um Mossul und haben kein Interesse an der | |
Durchsetzung einer Flugverbotszone in Syrien. Es ist unverantwortlich, | |
trotzdem damit zu drohen. | |
Und wie würde ein Außenminister Trittin darauf hinwirken, dass die Waffen | |
nicht nur für drei Tage ruhen, sondern langfristig? Reden und auf Russlands | |
Einsicht hoffen? | |
Eine Befriedung in Syrien wird es nur geben, wenn die Konfliktparteien | |
einen Konsens finden und es sich für keine Seite mehr lohnt, diesen Krieg | |
anzuheizen und fortzusetzen. Das heißt, die Interessen aller Akteure zu | |
berücksichtigen. | |
Welches Interesse soll Putin an so einem Konsens haben? | |
Er weiß, dass er diesen Konflikt militärisch nicht lösen kann. Aber er | |
reklamiert eine russische Rolle in der Region. Putin will keine Neuordnung | |
des Nahen Ostens ohne Russland. Dieses Ziel hat er weitgehend erreicht. | |
Zweitens will er seinen Militärstützpunkt in Latakia behalten, das hat er | |
auch erreicht. Drittens möchte er, dass in Syrien kein Regime installiert | |
wird, das sich gegen ihn richtet. | |
Cem Özdemir bezweifelt, dass Russland seine Interessen über einen | |
Verhandlungsfrieden erfüllen möchte. Im Gespräch mit Spiegel Online sagte | |
er, Putin wolle wie einst in Tschetschenien „einen Siegfrieden durchsetzen, | |
und jemanden installieren, der dort als Marionette regiert.“ | |
Keiner glaubt ernsthaft, dass man den Konflikt am Ende militärisch lösen | |
kann. Das sagt Ihnen der iranische wie der russische Außenminister. Was den | |
Konflikt am Laufen hält: die Akteure versprechen sich von militärischen | |
Aktivitäten einen Vorteil für die eigene Verhandlungsposition. Das | |
Hauptproblem ist die anhaltende Bombardierung der Zivilbevölkerung. Und | |
dass es keine saubere Trennung zwischen terroristischen Gruppierungen und | |
der gemäßigten Opposition gibt. Der UN-Vermittler Staffan de Mistura hat | |
vorgeschlagen, die Kämpfer der Al-Nusra-Front persönlich aus Aleppo | |
herauszugeleiten. Dieser Vorschlag ist mutig, moralisch und verantwortlich. | |
Ich hätte mir gewünscht, dass man solche Vorschläge unterstützt, statt mit | |
Sanktionsforderungen Schlagzeilen zu machen. | |
Innenpolitisch gilt die Außenpolitik für eine rot-rot-grüne Koalition als | |
größtes Hindernis. Wie es aussieht, liegen in Sachen Syrien aber zumindest | |
Sie persönlich auf einer Linie mit SPD und Linkspartei. | |
Mit der SPD ja, mit Oskar Lafontaine sicherlich nicht. | |
Dessen Einfluss in der Linkspartei ist so groß auch nicht mehr. | |
Wenn ich höre, die Amerikaner seien die eigentlichen Bösen in Syrien, kann | |
ich nur sagen: Die Situation in Syrien ist eher von der Abwesenheit der | |
Amerikaner geprägt als von ihrer Anwesenheit. Es gibt dort sehr viele Böse. | |
Ich bin auch nicht bereit, über russische Kriegsverbrechen zu schweigen. | |
Russlands Bombardement in Aleppo ist völkerrechtswidrig. Die Bombardierung | |
von Kurden durch die Türkei dort ebenfalls. Ich bin der Auffassung, dass | |
man Außenpolitik verantwortungsethisch gestalten sollte und da unterscheide | |
ich mich von Positionen wie der von Lafontaine und einigen anderen in der | |
Linkspartei. | |
22 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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