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# taz.de -- Schlechte Bildungschancen für Geflüchtete: Zu lange unter sich
> Weil Folgeunterkünfte nicht fertig sind, können rund 900 Kinder in
> Erstaufnahmen nicht zur Schule gehen. Behörde will das jetzt für ältere
> Kinder ändern
Bild: Bekommen bisher nur wenig Unterricht: Flüchtlingskinder
Hamburg taz | Sie waren mit ihren Familien zum Teil seit zwei Jahren auf
der Flucht. Sie leben nun in beengten Wohncontainern zwischen Stockbetten.
Und sie kennen seit Januar nur ihre Unterkunft, wo vormittags ein wenig
Unterricht stattfindet, in der Stellinger Erstaufnahme Vogt-Kölln-Straße
nur für zwei oder drei Stunden am Tag. Dabei sprechen die Kinder schon
Deutsch und würden gern in die Schule gehen.
Rund 1.870 Kinder, darunter 900 Schüler, leben mit ihren Eltern schon
länger als sechs Monate in provisorischen Erstaufnahmen (EA). Sie gelten
als „überresident“, wie es im Amtsdeutsch heißt, weil ihr Schutzstatus
anerkannt ist und sie längst in eine Folgeunterkunft mit mehr Platz hätten
ziehen sollen – oder in eine Wohnung. Und von dort, so der alte Plan der
Behörde, sollten sie in eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK)
gehen, um Deutsch zu lernen, und später dann in eine richtige Schulklasse.
„Ich kenne die Familien“, sagt der pensionierte Lehrer Hans Dall, der an
der Vogt-Kölln-Straße den Eltern ehrenamtlich Deutschkurse gibt. „Die
Kinder kommen oft dazu, weil deren Lerngruppe schon schnell vorbei ist.“
Zurzeit gibt es in den rund 30 EAs der Stadt 102 solcher Lerngruppen.
Üblicherweise soll es pro Woche 25 bis 30 Unterrichtsstunden geben. Doch an
der Vogt-Kölln-Straße waren es bisher viel weniger, das räumt auch die
Schulbehörde ein.
Die elf- bis 14-Jährigen zum Beispiel lernen nur von 10.40 Uhr bis 13.10
Uhr. Je anderthalb Stunden Deutsch und Mathe, in einem kleinen Raum, in den
nicht einmal Tische zum Schreiben passen, berichtet Dall.
Er findet das „pädagogisch unsinnig“ und hat sich schon in den Sommerferien
an die Behörden gewandt. Das Schulsystem der Stadt für geflüchtete Kinder
habe zwei Stufen, erhielt er zur Antwort. Der Übergang in eine wohnortnahe
Schule sei erst geplant, wenn die Familien „in eine dauerhafte Unterkunft“
umzögen. An der Vogt-Kölln-Straße finde Unterricht aus organisatorisch und
personellen Gründen leider nur verringert statt. Man bemühe sich um eine
„Ausweitung“, versprach die Behörde Dall.
Nun sind schon Herbstferien, doch geändert hat sich nichts. Die Behörde
verspricht allerdings einen neuen Kurs. Dass so viele Kinder noch nicht in
die IVK-Klassen oder Regelklassen gingen, „ist eine Situation, die uns auch
nicht gefällt“, sagt Uta Köhne, die zuständige Abteilungsleiterin bei der
Schulbehörde. Eine Ursache sei, dass sich die Fertigstellung der
Folgeunterkünfte verzögere.
Man beginne deshalb, Schüler der Sekundarstufe I – also zwischen zehn und
15 Jahren – auch schon an eine IVK-Klasse zu geben, wenn sie noch in einer
Erstaufnahme wohnen. Dazu gab es vor den Herbstferien ein Treffen mit
Schulleitungen. „Wir bemühen uns, im Sinne der Kinder, so abgestimmt wie
möglich zu handeln“, sagt Köhne. Auch suche man Schulen, die
verkehrsgünstig liegen, um den Kindern bei einem Umzug den Schulwechsel zu
ersparen. Teilweise sprächen die Kinder so gut deutsch, dass sie gleich in
die Regelklasse gehen könnten.
Wenn die älteren Schüler umgeschult seien, werde man den Raum nutzen, um
das Angebot für die Grundschüler auszubauen. Die sollen weiter in den
Unterkünften lernen.
Er verstehe, dass nicht alles aus dem Stand funktioniere, sagt Ex-Lehrer
Hans Dall. Aber es müsse für die Kinder schnell gehen. „Das ist eine Frage
des politischen Willens und von großer Wichtigkeit für die Integration.“
28 Oct 2016
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Minderjährige Geflüchtete
Bildung
Unterricht
Wohnungssuche
Erstaufnahme
Schwerpunkt Flucht
Inklusion
Kultusministerkonferenz
Integration
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
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