| # taz.de -- Neun Muslime über Rechtspopulismus: Weg hier? Und wenn ja, wohin? | |
| > Junge Muslime fühlen sich in Deutschland immer mehr ausgeschlossen. | |
| > Schuld sind die AfD und die Debatte um den Islam. Aber deshalb gehen? | |
| Bild: Es wird kalt in Deutschland | |
| ## Keine Alternative | |
| Ich habe mir darüber Gedanken gemacht, auszuwandern, wenn das politische | |
| Klima nicht mehr auszuhalten ist. Wann genau diese Grenze erreicht ist, | |
| weiß ich nicht. Jedenfalls lande ich beim Durchspielen meiner Optionen in | |
| einer Sackgasse. Ich bin ursprünglich Palästinenserin, kann aber schlecht | |
| nach Palästina zurück. Früher war England eine Alternative – seit dem | |
| Brexit ist diese Option schwierig. Dann habe ich an Kanada gedacht, weil es | |
| als Paradebeispiel eines Einwanderungslands gepriesen wird, aber ich habe | |
| leider null Verbindung zu diesem Land. | |
| Es gibt also nicht viele Möglichkeiten für mich – keine Alternative für | |
| Inas sozusagen. Ich bin ja auch Deutsche und sehe Deutschland als eine | |
| Heimat an. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, habe deutsche Schulen | |
| besucht und gehe hier zur Uni. Ich finde es schlimm, dass ich mir überhaupt | |
| darüber Gedanken machen muss, das Land zu verlassen. Das wiederum lässt bei | |
| mir Zweifel an meiner Zugehörigkeit zu Deutschland aufkommen. Denn diese | |
| Gedanken betreffen nicht alle Menschen, sondern nur die Gruppe der Personen | |
| mit Migrationshintergrund oder Menschen, die nicht „deutsch“ aussehen. | |
| (Inas, 25, studiert öffentliche Verwaltung in Berlin) | |
| ## Wir sind ein Teil des Ganzen | |
| Als die AfD ihre ersten Erfolge feierte, kamen mir manchmal | |
| Auswanderungsgedanken. Heute glaube ich, dass die alternativen Parteien und | |
| wir selbst als Mehrheitsgesellschaft für deren Wahlerfolge verantwortlich | |
| sind. Die AfD ist nur erfolgreich, weil sie vermeintlich einfache Antworten | |
| auf komplexe Fragen hat. Die meisten politischen Parteien sind nicht in der | |
| Lage, die komplexen Fragen verständlich zu erklären und gleichzeitig für | |
| sinnvolle Lösungen zu sorgen. Als deutscher Muslim verspüre ich Scham und | |
| Wut, dass solche Menschen bei politischen Entscheidungen mitpokern dürfen. | |
| Auf der anderen Seite sehe ich eine große Herausforderung für uns Muslime, | |
| mehr politische Beteiligung einzufordern, der Mehrheitsgesellschaft | |
| aufzuzeigen, dass wir ein Teil des Ganzen sind und welche Konsequenz es | |
| hat, Muslime nicht zu Deutschland zu zählen. Wir versäumen es, mit den | |
| Menschen offensiv in den Dialog zu gehen. Klar, viele Rassisten sind ins | |
| Tageslicht gerückt, aber nicht alle sind Rassisten – und genau von diesen | |
| Menschen spreche ich, Menschen, denen man die Angst nehmen kann. Ich | |
| vertraue auf den deutschen Rechtsstaat, der Fremdenfeindlichkeit ahndet. | |
| (Yasir, 28, arbeitet als Informatiker in Berlin) | |
| ## Ich bleibe und leiste damit Widerstand | |
| Auswandern? Damit der Traum eines reinen, weißen, deutschen Volkes in | |
| Erfüllung geht? Den Gefallen will ich weder Petry noch Seehofer tun. Mit | |
| meinem Körper im öffentlichen Raum leiste ich Widerstand. Ich muss aber | |
| sagen: Mit jeder Stimme, die die AfD gewinnt, fühle ich mich fremder im | |
| eigenen Land. Ich blicke mit Besorgnis auf die Wahlergebnisse der | |
| Rechtspopulisten. Petry und ihre völkische Anhängerschaft testen die | |
| Grenzen des Sagbaren aus, sie führen vor, wie erfolgreich Stimmenfang im | |
| rechten Spektrum sein kann. | |
| Daher die zunehmenden Eskalationen der CSU mit einem Zuwanderungspapier, | |
| das offen Rassismus propagiert und im Namen eines christlichen | |
| Abendland-Mythos schwarze Menschen und People of Color zu ewigen | |
| Eindringlingen erklärt. Ich habe einige Jahre in Wien gelebt und auch dort | |
| mit Sorge auf die FPÖ geblickt. Die AfD kopiert deren Erfolgsrezept. Wenn | |
| das so weitergeht und die Mitte der Gesellschaft weiter Ventile für ihren | |
| Antisemitismus und Rassismus findet, dann brauchen wir uns über zunehmende | |
| Angriffe auf Geflüchtete und all jene, die nicht das Privileg weißer Haut, | |
| blonder Haare und blauer Augen haben, nicht zu wundern. (Ozan Keskinkilic, | |
| 27, studiert Internationale Beziehungen in Berlin) | |
| ## Wütend und traurig | |
| Manchmal habe ich die Fantasie, Deutschland zu verlassen. Ich träume dann | |
| meist davon, in ein englischsprachiges Land zu ziehen, vielleicht nach | |
| England. Über die sozialen Medien habe ich den Eindruck bekommen, dass es | |
| dort weniger Rassismus und ein stärkeres Miteinander gibt. In Deutschland | |
| verschlechtert sich die Situation gerade sehr. | |
| Ich finde es traurig, dass ich überhaupt darüber nachdenke, Deutschland zu | |
| verlassen. Immerhin ist Deutschland mein Zuhause. Es gibt kein anderes Land | |
| auf dieser Welt, in dem ich mich so gut auskenne. In Marokko, der Heimat | |
| meiner Eltern, fühle ich mich eher fremd. Manchmal erlebe ich auch | |
| Solidarität von Leuten, die gegen die AfD sind. Das ist super. Aber allein | |
| die Tatsache, dass ich mich dazu gedrängt fühle, über Auswanderung | |
| nachzudenken, macht mich wütend und traurig zugleich. (Chaymae Khelladi, | |
| 22, studiert Pädagogik und Islamisch-Religiöse Studien in Erlangen) | |
| ## Ich würde Brezn und Obazdn vermissen | |
| Der Rechtsruck in all den Diskussionen hat mich schon häufiger zu der Frage | |
| gebracht: Warum soll ich in einem Land leben, das mich wie ein unmündiges, | |
| potenziell verhaltensauffälliges Kind behandelt? Bestimmt gibt es ein Land, | |
| das lediglich nach meiner Qualifikation fragt und sich in den Rest meines | |
| Lebens nicht einmischt. Der Wahlerfolg der AfD ist eine offizielle | |
| Bestätigung, dass eine wachsende Gruppe von Menschen mich hier nicht will. | |
| Für mich kämen mehrere Länder infrage: Kanada, die Türkei oder die | |
| Golfstaaten. Alle machen es Neuankömmlingen leicht und wüssten meine | |
| berufliche Qualifikation zu schätzen. Ich habe schon mal im Ausland | |
| gearbeitet: Man geht mit einem mulmigen Gefühl, man vermisst die Heimat, | |
| Familie und Freunde. Auch Brezn und Obazdn würde ich vermissen. Aber lieber | |
| bin ich Ausländerin im Ausland als Ausländerin in meiner Heimat. (Nour, 25, | |
| Erzieherin in München) | |
| ## Heimat ist wie Familie | |
| Dass rechts zur Normalität wird, gibt Anlass zur Sorge, aber auswandern | |
| will und werde ich nicht. Jetzt erst recht nicht, denn Heimat ist wie | |
| Familie. In der Familie erlebt man schöne und weniger schöne Dinge | |
| gemeinsam. Und wenn etwas schiefläuft, dann muss man anpacken. In unserem | |
| Land läuft gerade so einiges daneben, und ich bleibe, um mit anzupacken. | |
| Ich möchte trotzdem nicht verschweigen, dass der öffentliche Diskurs des | |
| letzten Jahrzehnts, ein Diskurs, der nahezu keine Grenze unüberschritten | |
| ließ, mich – zumindest mental – fast über die Grenzen der Republik gebrac… | |
| hat. | |
| Verwundert verfolgte ich, wie eindeutiger Rassismus relativiert und | |
| beschönigt zur Primetime in die Haushalte übertragen, als Sachbuch verkauft | |
| und als Köder bei der Jagd um Wählerstimmen zum Einsatz kommt. Spürbar | |
| ändert sich das gesellschaftliche Klima. Ist das ein Land, in dem ich leben | |
| will? Zur größten Verunsicherung führte die Aufdeckung des NSU-Skandals. | |
| Staatliche Institutionen versagen auf der ganzen Spur – ein schwerwiegender | |
| Vertrauensbruch. Und nun zieht die AfD in Landesparlamente ein. Eine | |
| Randerscheinung etabliert sich nach und nach in der Parteienlandschaft. | |
| (Mehdi Chahrour, 28, studiert Rechtswissenschaften und ist Unternehmer in | |
| Berlin) | |
| ## Ich will nicht auswandern müssen | |
| Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits denke ich: Wenn muslimische | |
| Freundinnen, die Kopftuch tragen, auf offener Straße angepöbelt werden, | |
| bloß wegen ihres Aussehens, dann habe ich nicht mehr viel übrig für dieses | |
| Land. In solchen Momenten würde gerne in ein Land auswandern, wo jeder und | |
| jede unabhängig von Farbe, Herkunft und Religion nebeneinander leben kann. | |
| Vielleicht wäre Kanada eine Option. Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, | |
| dass in dem Land, in das ich auswandere, viel in Bildung investiert wird, | |
| damit man Gefühle wie unnötigen Nationalstolz oder Überlegenheitsgefühle | |
| von vornherein verhindert. | |
| Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert immer noch mit Rassismus zu | |
| kämpfen haben. Dabei meine ich nicht nur den Rechtsextremismus, sondern | |
| auch Rassismus innerhalb der Muslime oder Rassismus von „Ausländern“. | |
| Gleichzeitig will ich aber nicht auswandern müssen. Auch ich bin | |
| Deutschland. Ich fühle mich trotz meines türkischen Migrationshintergrunds | |
| hier zu Hause. Letztlich denke ich, wir sollten alle im Land bleiben und | |
| die Probleme an ihren Wurzeln beheben. Man darf es einfach nicht so weit | |
| kommen lassen. (Burcu, 24, studiert Kommunikationsforschung in Erfurt) | |
| ## Wann ist es genug? | |
| Deutschland ist mein Zuhause. Zu Hause sollte man sich wohlfühlen. Aber im | |
| Moment fühle ich mich nicht wohl. Das Klima in Deutschland ist | |
| beängstigend, und es wird leider nicht besser. Im Gegenteil. Es gibt da | |
| draußen Menschen, die mich nicht mögen und mich nicht haben möchten, nur | |
| weil ich Muslima bin. Das Land, das mich großgezogen hat, gibt mir nicht | |
| die gleichen Chancen wie anderen. Zwar will ich diese Phase gemeinsam mit | |
| Deutschland durchstehen, damit wir als Gesamtgesellschaft lernen und | |
| wachsen können. Die Frage ist nur: Wann ist es genug? Wenn die AfD im | |
| Bundestag sitzt? Wenn man nicht mehr ohne Angst auf die Straße gehen kann? | |
| Ich weiß es nicht. | |
| Manchmal denke ich darüber nach, ob es mir woanders besser gefallen würde, | |
| ob ich mich woanders wohler fühlen würde. Vielleicht würde ich in die | |
| Türkei auswandern, weil ich die Sprache spreche. Ich könnte dort als | |
| Anwältin arbeiten. Oder ich studiere noch mal und mache einen Master. Ob | |
| ich für immer dort leben könnte, ist eine andere Frage. Die Türkei hat ihre | |
| eigenen Probleme. Aber zumindest muss ich dort keine Angst haben und mich | |
| nicht ständig beweisen. (Tuğba Uyanık, 24, studiert Jura in Hamburg) | |
| ## Ich sehe mich als Multiplikator | |
| Deutschland ist demografisch gesehen auf Vielfalt angewiesen. Wenn ich | |
| auswandere, dann lediglich aus beruflichen Gründen. Der Wahlerfolg der AfD | |
| sollte viele Deutsche, mit und ohne Migrationshintergrund, dazu animieren, | |
| stärker für und miteinander zu agieren. Ich wünsche mir ein Einheitsgefühl, | |
| unabhängig von Religion, Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit. | |
| In Staaten wie Singapur oder Kanada herrscht ein ganz anderes Wir-Gefühl. | |
| Man sollte in Kontakt treten, auch mit AfD-Wählern – ich sehe mich hier als | |
| Multiplikator, der eine politische, wirtschaftliche und sprachliche | |
| Brückenfunktion einnehmen kann. Deshalb möchte ich Deutschland in diesen | |
| Zeiten ungern verlassen. (Yavuz Dogan, 26, studiert | |
| Wirtschaftsingenieurwesen in Bochum) | |
| 22 Sep 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Dunja Ramadan | |
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