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# taz.de -- Friedensnobelpreis 2016: Kolumbiens Präsident Santos geehrt
> Der Friedensnobelpreis geht an den kolumbianischen Präsidenten Juan
> Manuel Santos. Er erhält ihn für seine Anstrengung, den Bürgerkrieg im
> Land zu beenden.
Bild: Ausgezeichnet: Juan Manuel Santos
Berlin taz | Es ist eine gute Entscheidung des Norwegischen
Nobelpreiskomitees, den Friedensnobelpreis 2016 an Kolumbiens Präsidenten
Juan Manuel Santos zu vergeben. Er steht für die Hoffnung, den 52 Jahre
dauernden Konflikt zwischen dem kolumbianischen Staat und der
linksgerichteten Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) zu
beenden. 220.000 Menschen starben im Bürgerkrieg auf beiden Seiten, rund 6
Millionen wurden vertrieben.
Es ist außerdem eine gute Entscheidung, dass Santos den Preis allein
bekommt. Ein Doppelpreis an Santos und den Führer der Farc-Guerilla,
Rodrigo Londoño Echeverri alias Timoschenko, nach dem Vorbild Südafrikas,
wo sich 1993 Willem de Klerk und Nelson Mandela den Preis teilten, wurde
vorab diskutiert.
Sie wäre aber nur dann möglich gewesen, wenn bei der Volksabstimmung am
vergangenen Wochenende eine Mehrheit Ja zu dem Abkommen gesagt hätte. In
diesem Fall wäre der Nobelpreis eine Anerkennung dafür gewesen, dass beide
Seiten über ihren Schatten gesprungen sind.
Nun aber geht es darum, bei der Rettung eines am Rande des Abgrunds
stehenden Friedensprozesses zu helfen. Für die Neinsager hätte eine
Doppelauszeichnung den Preis desavouiert und wirkungslos gemacht. Und
selbst für viele unter den Opfern des Konflikts, die am vergangenen Sonntag
das Friedensabkommen mit ihrer Stimme unterstützt haben, ist Timoschenko
niemand, der einen Preis verdient.
## Gräueltaten des Krieges anerkennen
Sicher, eigentlich gilt das für Santos genauso. Bevor er zum
Friedenspräsidenten wurde, war er immerhin von 2006 bis 2009
Verteidigungsminister in der Regierung von Álvaro Uribe. In einer Zeit, als
mit dessen Strategie der sogenannten Seguridad Democrática eine
Militäroffensive gegen die Farc die nächste jagte und gleichzeitig der
Skandal der sogenannten Falsos Positivos seinen Höhepunkt erreichte: In
Tausenden von Fällen brachte das Militär damals Zivilisten um, steckte sie
nachträglich in Uniformen und erklärte sie zu getöteten Guerilleros. Santos
wurde dafür nie zur Verantwortung gezogen.
Aber: Zum Frieden finden heißt eben auch, die Gräueltaten des Krieges
anzuerkennen und beenden zu wollen. Wenn nur über Frieden verhandeln
könnte, wer am Krieg nicht beteiligt war, wären Friedensprozesse unmöglich.
Der Nobelpreis versucht, einen Prozess zu unterstützen, der im Gange und
höchst verwundbar ist. Kolumbien ist in den letzten fünf Jahrzehnten nie so
nah am Ende des Bürgerkriegs gewesen wie jetzt. Die Zeit, die nach dem Nein
noch bleibt, um den Friedensprozess weiterzuführen, ist begrenzt. Der
Friedensnobelpreis für Juan Manuel Santos signalisiert, dass die Welt
hinschaut und die Kolumbianer unterstützen will.
Denn einen Frieden zu torpedieren ist leichter, als ihn herzustellen. Die
politische Kraft des Uribismo, also der von Expräsident Álvaro Uribe
angeführten rechtskonservativen Partei des Centro Democratico und ihrer
Alliierten, lehnte die Friedensverhandlungen von Beginn an ab. Sie kämpfte
für ein Nein bei der Volksabstimmung. Der Nobelpreis für Juan Manuel Santos
ist für sie eine politische Ohrfeige.
## „Diese ehrenvolle Auszeichnung ist nicht für mich“
Ein Doppelpreis für Santos und Timoschenko hätte es ihnen zu leicht
gemacht, den Nobelpreis empört abzulehnen – oder Santos noch heftiger der
politischen Kumpanei mit der Guerilla zu bezichtigen.
Jetzt aber sah sich selbst Alvaro Uribe gezwungen, seinem Erzfeind Santos
per Twitter zum Nobelpreis zu gratulieren – wenn auch mit dem ätzenden
Zusatz, er wünsche sich Santos’ Führung bei der Änderung der
„demokratiefeindlichen Abkommen“. Santos selbst schrieb: „Diese ehrenvolle
Auszeichnung ist nicht für mich, sie ist für alle Opfer des Konflikts.
Gemeinsam verdienen wir uns den wichtigsten Preis von allen: DEN FRIEDEN.“
In der Begründung für die Preisvergabe heißt es: „Das Norwegische
Nobelkomitee unterstreicht die Bedeutung der Tatsache, dass Präsident
Santos jetzt alle Parteien zu einem breit angelegten nationalen Dialog zum
Friedensprozess einlädt. Selbst jene, die gegen das Abkommen waren, haben
diesen Dialog begrüßt. Das Nobelkomitee hofft, dass alle Parteien ihre
Verantwortung wahrnehmen und konstruktiv an den bevorstehenden
Friedensgesprächen teilnehmen.“
Das wird schwer. Die Verantwortung dafür, den Friedensprozess weiter
fortzusetzen, liegt jetzt ganz aufseiten der Regierung. Santos muss
verhindern, dass Uribe und seine Anhänger Nachverhandlungen mit
unannehmbaren Bedingungen erzwingen und so den Prozess zum endgültigen
Scheitern bringen.
## Die Farc-Guerilla gratuliert
Gerade hat der Wahlkampfleiter der Neinkampagne in einem Interview
zugegeben, wie sehr Lügen und das Schüren von Ängsten Teil der Kampagne
waren und zum Erfolg geführt haben. Prompt streitet sich das Uribe-Lager
intern bis aufs Messer über diese Indiskretion, während einige prominente
Figuren auf Regierungsseite die Äußerungen zum Anlass nehmen, die
Ergebnisse des Referendums anzuzweifeln und zu überlegen, es noch einmal
abhalten zu lassen. Auch das dürfte wenig vertrauensbildend wirken.
Die Farc-Guerilla ihrerseits, die seit dem Referendum stets ihren Willen
betont hat, nicht erneut zu den Waffen zu greifen, gratulierte Santos
ebenfalls. Der einzige Preis, den sie wollten, sei ein gerechter Frieden,
schrieb die Führung auf Twitter. Die ersten Vorschläge aber, die von der
Uribe-Seite in den nationalen Dialog eingebracht wurden, kann die Guerilla
kaum akzeptieren, bauen sie doch auf eine einseitige Schwächung der Farc.
Man will, heißt es darin, allen einfachen Guerilleros Amnestie anbieten,
wenn sie ihre Waffen abgeben – aber nicht, wie im Abkommen vereinbart, im
Rahmen des von der UNO überwachten Demobilisierungsprozesses, sondern
individuell gegenüber der Armee. Das ist nicht verhandelter Frieden,
sondern Kapitulation.
Dahinter steht sehr offensichtlich die Idee, die ohnehin militärisch
geschwächte Farc zu spalten – und gegen versprengte Reste dann eben doch
einfach militärisch vorzugehen.
Der Nobelpreis bestärkt Präsident Santos darin, sein ganzes Gewicht
weiterhin in den Prozess zu stecken. Das heißt erst einmal kurzfristig: Er
wird alles dafür tun, dass, wenn er am 10. Dezember in Oslo den Nobelpreis
entgegennehmen will, in Kolumbien noch immer die Waffen schweigen. Bislang
ist der Waffenstillstand nur bis zum 31. Oktober verlängert.
7 Oct 2016
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
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