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# taz.de -- Gentrifizierung in Kolumbien: Verbrannte Erde
> Erst fraß ein Feuer ihr Viertel El Oasis, dann riegelten Polizisten die
> Trümmer ab. Medellín, einst Drogenstadt, ändert sich. Viele fürchten
> Verdrängung.
Bild: El Oasis, El Morro und Medellin-Zentrum: Zukunft, Gegenwart und Vergangen…
Medellin taz | Schwarze Asche überall. Ruinenmauern nur dort, wo
Backsteinhäuser standen. Die meisten waren aus Holz. Ein Hund streunt über
diesen verbrannten Hügel im Herzen Medellíns. Ein Topf blinkt aus dem
Schwarz hervor. Kinder spielen Fangen. Dies war einmal El Oasis, eine
Siedlung im Stadtteil Moravia. Dann kam das Feuer. Und nach dem Feuer kamen
Militärpolizisten.
Gleich am Tag nach dem Brand haben sie die Gegend umstellt. Bewaffnet mit
Maschinengewehren. Zu plündern gab es da schon nichts mehr. Die Polizisten
sollen verhindern, dass die Menschen zurückkehren und El Oasis wieder
aufbauen. Das diene deren Sicherheit, sagt einer der Uniformierten.
Cristían ist trotzdem zurück gekommen, er lässt sich nicht vertreiben. Er
ist 33 Jahre alt, trägt ein gelbes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe und ein
verkehrt herum aufgesetztes Cap. Sonst ist ihm nichts geblieben. Er deutet
auf eine Stelle auf der verkohlten Fläche, sagt: „Dahinten stand mein
Haus.“
Als das Feuer kam an einem Tag im August, war Cristían gerade in der Uni.
18. August, 10 Uhr morgens. Cristían rannte, in ein paar Minuten war er in
El Oasis. Zu spät, rasend schnell vertilgten die Flammen alles. „Wusch“,
sagt Cristían und wischt mit den Armen von rechts nach links. „Aber das
Wichtigste ist immer die Familie. Das allererste, was zählt. Und so hab
ich's auch gemacht. Ich bin raus und hab allen anderen geholfen. Meine
Familie – das sind all diese Leute hier.“
Seine Augen leuchten, als er erzählt. Sein ganzer Besitz ist verbrannt,
sagt er. Aber alle seine Freunde, Verwandte und Nachbarn leben. Niemand ist
im Feuer umgekommen. Aber 323 Familien sind nun obdachlos. Viele hat die
Stadt in einer Schule untergebracht. Es gibt aber auch jene, die ein paar
Sachen retten konnten und nun unter der Brücke am Fuß des Hügels nächtigen.
Bei ihnen ist Cristían nun, er hat einen großen Topf mit Suppe für alle
aufgesetzt. „Ahí vamos“, „Weiter geht's“, sagt Cristían am Suppenfeue…
glaubt fest, dass sie bald alle wieder ein Dach über dem Kopf haben werden.
Cristían ist einer der „lideres sociales“, ein Mensch, der seinen Nachbarn
als Vorbild und Führer gilt. In Medellín hat jedes Viertel seine Lideres,
sie vermitteln zwischen Stadtverwaltung, Polizei, Militär und
Drogenkartellen auf der einen Seite und den Bewohnern einer Gegend auf der
anderen. Regelmäßig sitzen die Lideres zusammen.
Allerdings wird niemand als Lider geboren. Man wird zu ihm in jenem Moment,
in dem die Gemeinschaft einen als Lider anerkennt. Aus dem Flammenmeer im
Stadtteil Moravia sind einige Leute als neue Lideres hervorgegangen. Sie
hatten im Moment größter Gefahr Verantwortung übernommen.
## Die Nachbarn aus El Morro mussten schon gehen
Nun aber liegt vor ihnen eine neue, womöglich noch größere Herausforderung.
Medellíns Verwaltung will den zentral gelegenen Stadtteil Moravia von Grund
auf verändern, schon seit Jahren. Siedlungen wie El Oasis, die von ihren
Einwohnern illegal erbaut worden sind, sollen Parks weichen. Die
Begründung: Die Siedlungen befänden sich in gefährdeten Zonen. Eine Gefahr
sind Erdrutsche, eine andere Gift im Boden. In jenen Gegenden aber wohnen
manche schon seit Jahrzehnten.
Die Leute von El Morro, dem Hügel neben El Oasis, mussten schon gehen. El
Morro war einst eine der größten Müllkippen der Stadt gewesen. Als erstes
hatten sich dort Recycler niedergelassen. Auch El Morro bestand
hauptsächlich aus Holzhäusern. Strom und Wasser gab es nicht vom Staat,
also zapften die Bewohner selbst Leitungen an. Auch in El Morro brannte es
regelmäßig. Heute ist der Hügel, auf dem sich die Häuser einst dicht an
dicht quetschten, leer und grün. Auf seiner Spitze steht eine Skulptur.
Einige haben El Morro freiwillig verlassen, als ihnen legale Wohnungen am
Stadtrand in Aussicht gestellt worden waren. Die anderen brachte die
Polizei fort. In ihren neuen Hochhäusern wohnten die Leute von El Morro
zwar legal und komfortabler als zuvor. Aber ihnen fehlte doch das
Heimatviertel, die Nachbarn, die Familie. Einige kamen deshalb zurück und
bauten am Rand des nun grünen El Morro. Andere ließen sich in El Oasis
nieder.
Die staatliche Universidad Nacional de Colombia hat ein neues Moravia
entworfen, im Auftrag der Stadt Medellín. Ein Innovations-Distrikt soll
entstehen, neben anderem. Hochhäuser mit dickem Zementfundament, das sie
gegen das Gift der ehemaligen Müllhalde abschirmt. Und Parks, wie eben auf
der Fläche des heutigen El Oasis.
## Manchen gilt Medellín als Vorzeigeprojekt Lateinamerikas
Medellín, die ehemalige Hauptstadt der Drogenbanden, hat sich eine
Runderneuerung verordnet. Eines der besten Nahverkehrssysteme
Lateinamerikas verbindet heute Zentrum und Peripherie. Die Stadt fördert
Sport, Kultur und Sozialprojekte. Seit dem Tod des Kokainkönigs Pablo
Escobar und den Friedensprozessen mit der linken FARC und den rechten
Paramilitärs sinkt die Mordrate drastisch. Das Wall Street Journal führte
Medellín 2012 in einem oft bemühten Ranking als innovativste Stadt der
Welt. Manchen gilt Medellín als das Vorzeigeprojekt Lateinamerikas.
Carlos aus Moravia gehört nicht zu ihnen. Er ist 60 Jahre alt, zerzaustes
Haar, Falten, eine Krücke, eine Adidasmütze mit überklebtem Logo. Er sagt:
„Leute, die bezahlen, kommen. Leute, die nicht bezahlen, gehen.“ Auch
Carlos ist ein Líder social. Er fühlt sich verantwortlich für seine
Nachbarn. „Ein Zuhause mit Würde baut man mit der Hand und ohne Erlaubnis“,
findet Carlos. Der Satz prangt auch auf einem Plakat über den verbrannten
Trümmern.
Moravia hat den Ruf eines widerständigen Viertels, erkämpft in Jahrzehnten.
Carlos sitzt vor einem Zelt, in dem die Abgebrannten nun nächtigen, und
erzählt: „Moravia wurde von Menschen gegründet, die vor den bewaffneten
Konflikten im Land geflohen sind.“ Später zogen auch andere auf die
damalige Müllkippe. Aus Moravia wurde eines der am dichtsten besiedelten
Viertel Lateinamerikas. Es dauerte nicht lange, bis der bewaffnete Konflikt
auch dorthin kam.
Zunächst kontrollierten Guerillas die Gegend, sie hießen ELN oder M-19.
Dann kamen die Drogenbanden Pablo Escobars. Als der Gangster in den
80er-Jahren Wahlkampf machte, baute er ein Flutlicht für den Fußballplatz
und Häuser für die Bewohner. Noch heute trägt so mancher in Moravia das
Portrait des Drogenbosses auf dem T-Shirt. Nach Escobar kam die FARC, dann
die Paramilitärs mit ihren Säuberungsaktionen. Carlos zeigt auf seinen
verletzten Fuß. „Das waren die Paramilitärs“, sagt er.
Ein Mädchen setzt sich zu Carlos auf die Sesselkante. „Sie hat eine
Nähmaschine zu Hause und verdient damit ihr Geld. Wir können uns selber
helfen“, sagt Carlos stolz. Der Staat war immer weit weg von Moravia –
bevor er seine Militärpolizisten schickte. Das Sagen auf den Straßen aber
hat das Drogenkartell Oficina de Envigado, erzählt Carlos.
## Carlos will El Oasis verteidigen – dem Ruf Moravias zu Ehren
Dass sich der Staat mit seinen Polizisten hier auf einmal engagiert, macht
viele misstrauisch. Den 18-jährigen Esteban zum Beispiel, der mit anderen
Studierenden die Gesundheitsversorgung der Abgebrannten übernommen hat.
Esteban ist nicht aus Moravia, das verrät auch sein gebügelte Hemd, das er
in die Hose gesteckt hat. Das Feuer hat er von seinem Haus aus gesehen.
„Wir haben uns hier schon immer gegenseitig geholfen“, sagt Esteban
trotzdem. Auch er ist bei den Menschen unter der Brücke.
Schon einmal hatte El Oasis gebrannt, das war 2007. Damals kamen die Leute
danach zurück. Der Stararchitekt Rogelio Salmona baute ein Kulturzentrum
ins Herz von Moravia. Es gab kostenlose Bildung und Kulturveranstaltungen,
berühmte Musiker traten dort auf. Nebenan entstand ein schicker neuer
Kindergarten. Das alles zieht Menschen aus ganz Medellín an. Für die Leute
in Moravia heißt das: Ihre Mieten steigen. Der Staat als Akteur der
Gentrifizierung.
Dieses mal wird die Rückkehr schwierig. Noch lange nach dem Brand harren
die Leute von El Oasis unter der Brücke aus. Die Stadt bietet ihnen
Übergangswohnungen für drei Monate an. Findet sich bis dahin keine Lösung,
sollen die Mietverträge noch einmal um neun Monate verlängert werden.
Für die Leute von El Oasis aber ist klar: Eine echte Lösung kann nur ihre
Rückkehr sein. Neue Häuser in ihrem Viertel. Cristían sagt schmunzelnd:
„Ein Turm für die ganze Gemeinschaft, hier in der Nähe. Das wäre in
Ordnung.“ Die Stadt sagt, für die alten Bewohner sei kein Platz mehr.
Carlos sagt: „Ich trage die Revolution im Herzen.“ Er will den Hügel El
Oasis verteidigen. Dem widerständigen Ruf von Moravia zu Ehren.
16 Sep 2017
## AUTOREN
Fabian Grieger
## TAGS
Kolumbien
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Juan Manuel Santos
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