Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinofilm mit Tom Cruise: Im Tiefflug geschäftstüchtig
> Eine aberwitzige Karriere zwischen CIA und Pablo Escobar: Die in Teilen
> wahre Geschichte des Piloten Barry Seal kommt ins Kino.
Bild: Wollen sie Waffen oder Kokain? Tom Cruise als Dealer-Agent
Zwei Arten bieten sich an, um Doug Limas „Barry Seal“ anzuschauen: zum
einen als Tom-Cruise-Star-Vehikel. Dann sieht man eine überdrehte Satire,
die die kaum zu glaubende Geschichte des Piloten Barry Seal erzählt, der
sich Ende der 70er Jahre in seinem Job als Pilot der TWA langweilt und
daher dankend das Angebot annimmt, für die CIA zu arbeiten.
Im Tiefflug jagt er fortan über mittelamerikanische Länder von Nicaragua
über Panama bis Kolumbien, um Aufklärungsfotos von den Bewegungen
kommunistisch geprägter Befreiungsbewegungen zu machen, die von der
Sowjetunion unterstützt werden, was den USA in dieser letzten Phase des
Kalten Kriegs ein Dorn im Auge ist.
Die Geschichte bekommt eine ungeahnte Wendung, als Seal in Kolumbien von
Mitgliedern des aufstrebenden Medellín-Kartells dazu überredet wird – was
dank des Versprechens auf sehr viel Geld nicht schwerfällt –, bei seinen
Rückflügen in die Staaten Pakete des schneeweißen Wunderpulvers
mitzunehmen, das die Geschichte der 80er Jahre prägen sollte: Kokain.
Bald ist Seal ein wichtiger Teil des Aufstiegs von Pablo Escobar zum
mächtigsten Dealer aller Zeiten, doch die Geschichte wird noch absurder: In
Nicaragua haben die linken Sandinistas die Macht übernommen und werden nun
von den Contras bekämpft, die eine Politik im Sinne der USA zu verfolgen
versprechen. Sie direkt zu unterstützen lehnt der US-amerikanische Kongress
allerdings ab – die Erinnerungen an den Sumpf von Vietnam und die allzu
illegalen Übergriffe nach Kambodscha und Laos waren wohl doch noch zu
frisch –, doch der gerade gewählte Präsident Ronald Reagan verlangt von
seinen Geheimdienstlern dennoch die Unterstützung der Contras.
## Und immer wieder: nur in Amerika
Also wird Barry Seal zum Waffenschmuggler und liefert auf dem Hinflug
Ladungen des bei Befreiungsbewegungen jeglicher Couleur besonders beliebten
AK-47-Kalaschnikow-Gewehrs ab – erworben von den Israelis, die russische
Lieferungen an die PLO abgefangen haben –, während er auf dem Rückflug
weiterhin Koks in rauen Mengen schmuggelt.
All das und noch viel mehr erzählt Doug Liman als atemberaubenden
Abenteuerfilm, in dem Tom Cruise eine Rolle spielt, die er seit Mitte der
80er Jahre perfektioniert hat: den grinsenden Sonnyboy, der kaum begreifen
kann, in was er da geraten ist, der perfekt frisierte Schönling, der mit
breitem, weißestem Grinsen jedes Problem weglächelt. So aberwitzig scheint
diese Geschichte, dass man aus dem Kopfschütteln nicht rauskommt und immer
wieder denkt: nur in Amerika!
Das Aberwitzigste ist nun aber, dass diese Geschichte möglicherweise
tatsächlich wahr ist, zumindest in weiten Teilen. Und hier beginnt die
zweite Möglichkeit der Betrachtung von „Barry Seal“, der zwar als
brillanter, rasanter Unterhaltungsfilm funktioniert, aber auf vielfältige
Weise andeutet, wie die Welt unter der Oberfläche wohl tatsächlich
funktioniert.
Beginnt man nach den Figuren und Ereignissen im Netz zu forschen, stößt man
zunächst auf wenig. Ja, Barry Seal hat es gegeben, aber direkte
Verbindungen zur CIA werden wiederum nicht bestätigt, zumindest nicht
offiziell. Auch dass die kleine Ortschaft Mena, im südlichen Bundesstaat
Arkansas gelegen, von der CIA zu einem geheimen Zentrum von
Schmuggelaktivitäten und gar als Ausbildungszentrum für Contra-Rebellen
umfunktioniert wurde, wie im Film zu sehen, scheint nur ein Gerücht.
## Eine andere Verbindung ist unbestritten
Zumindest offizielle Untersuchungen widersprechen dieser Theorie
beziehungsweise dieser Verschwörungstheorie. Welchen Glauben man einer
internen CIA-Untersuchung über angebliche oder tatsächliche Machenschaften
der eigenen Behörde schenken will, sei dahingestellt, eine andere
Verbindung ist unbestritten: Während des Präsidentschaftswahlkampfs 1992,
als der Amtsinhaber George Bush sen. (übrigens ehemaliger CIA-Chef) gegen
Bill Clinton antrat, tauchte das Thema Mena immer wieder auf, denn Clinton
war in den 80er Jahren Gouverneur von Arkansas!
Im Film wird er erwähnt, in einer hübschen Szene, in der Barry Seal von so
ziemlich allen Strafverfolgungsbehörden gemeinsam – von der DEA über den
ATF bis zum FBI – der Generalstaatsanwältin vorgeführt wird, die sich ob
dieses großen Fangs schon die Hände reibt, nur um dann telefonisch von
ihrem Vorgesetzten Bill Clinton die Anweisung zu erhalten, Seal laufen zu
lassen. Das ist nun fraglos eine Szene, die nicht der Realität, sondern der
Fantasie des Drehbuchautors Gary Spinelli entsprungen ist, aber wer will es
ihm verdenken.
Die Grundlage von Spinellis Adaption ist Shaun Atwoods Sachbuch „American
Made“, der im Untertitel eine Frage stellt, die immer noch ungeklärt ist:
„Who killed Barry Seal? Pablo Escobar or George W. Bush“. Unbestritten ist,
dass Seal 1986 in Louisiana ermordet wurde, eine Gruppe Kolumbianer wurde
zwar für die Tat verurteilt, wenig überraschend, denn Pablo Escobar war
bekanntermaßen nicht zart besaitet und ließ lieber zu viele tatsächliche
oder angebliche Feinde verschwinden als zu wenig.
Und da Seal sich Mitte der 1980er Jahre aus Eigeninteresse als Kronzeuge
der Regierung angedient hatte, die zu diesem Zeitpunkt ihren ebenso
fragwürdigen wie weit publizierten War on Drugs gestartet hatte, wurde er
wenig überraschend zum Todfeind Escobars. Dass die CIA ihm dennoch keinen
Schutz zuwies, legt allerdings die Vermutung nah, dass die Geheimdienstler
es nicht unbedingt bedauerten, dass ein möglicherweise unliebsamer Zeuge
zum ewigen Schweigen gebracht wurde.
Ein wahrer Sumpf aus Korruption und Geheimdienstaktivitäten, offizieller
und klandestiner Politik offenbart sich, wenn man den vielfältigen Themen
nachgeht, die in „Barry Seal“ angerissen werden. An der Oberfläche mag
„Barry Seal“ eine absurde Satire sein, dürfte in Wirklichkeit jedoch wohl
eher ein Dokudrama über eine absurde Realität sein, auch, aber beileibe
nicht nur in Amerika.
7 Sep 2017
## AUTOREN
Michael Meyns
## TAGS
Tom Cruise
Filmrezension
CIA
Pablo Escobar
Filmkritik
Tom Cruise
Koka
Kokain
Kolumbien
Japanischer Film
Kolumbien
Neu im Kino
Reiseland Kolumbien
Tom Cruise
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filmkritik zu „Mission: Impossible 7“: Tom Cruise als Tom Cruise
Im neuen „Mission: Impossible“ sieht man wohl den größten Stunt der
Filmgeschichte. Für die (wenige) filmische Handlung ist er völlig
irrelevant.
Kokainproduktion in Kolumbien: Rückkehr des „Drogenkrieges“
US-Außenminister Mike Pompeo besucht Kolumbien. Die beiden Länder wollen
eine neue Offensive gegen die Kokainproduktion und -nachfrage starten.
Kokskonsum in Berlin: Wenn Dienstag der kleine Freitag ist
Forscher finden in Berlins Abwasser vergleichsweise wenig Kokain, aber der
Konsum an Wochentagen ist hoch. Was ist hier los?
Gentrifizierung in Kolumbien: Verbrannte Erde
Erst fraß ein Feuer ihr Viertel El Oasis, dann riegelten Polizisten die
Trümmer ab. Medellín, einst Drogenstadt, ändert sich. Viele fürchten
Verdrängung.
Multigenre-Thriller: Weil du cool bist und kein Wort sagst
Warum ist der Profikiller einer der langlebigsten Helden der
Filmgeschichte? Wer das wissen will, erfährt es in Sabus „Mr. Long“.
Friedensprozess in Kolumbien: Messe der Versöhnung geplant
Kolumbien bereitet sich auf den Besuch des Papstes vor. Die Regierung und
die Guerilla ELN haben zum ersten Mal eine Waffenruhe vereinbart.
Kinokrimi „The Limehouse Golem“: Serienmord im Kleinkunstkosmos
Im Theatermilieu des viktorianischen London geht ein Mörder um. „The
Limehouse Golem“ ist camp und blutig. Karl Marx schaut auch vorbei.
Gangstergeschichten aus Kolumbien: Auf den Spuren des Bösen
Pablo Escobar hat den Ruf seiner Heimatstadt Medellín geprägt. Bei Netflix
ist er en vogue. Ein Rundgang zur Geschichte des Kokain-Terrors.
Actionfilm „Jack Reacher“: Zwischen Rimbaud und Rambo
Wo Bösewichter schwarze Handschuhe tragen: Der Film mit Tom Cruise basiert
auf einem „Dick-Lit“-Bestseller und ist erfreulich unironisch.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.