# taz.de -- Debatte Tierethik und Fleisch essen: Erbarmungsloses Philosophieren | |
> Der Ethiker Hoerster findet Fleischkonsum legitim, wenn Tiere gut | |
> behandelt und schonend getötet werden. In der Praxis sieht die | |
> Tierhaltung aber anders aus. | |
Bild: Das ist keine Mastanlage | |
Tiere gut behandeln, schmerzlos töten – so heißt die ethisch verträgliche | |
Maxime aufgeklärter Fleischesser in unseren Breiten, zu denen anscheinend | |
auch der Philosoph Norbert Hoerster zählt. Allerdings ist es nur ein zäher | |
Mythos der deutschen Fleischesser, dass die von unserem Tierschutzgesetz | |
vorgeschriebene Betäubung schmerzlos sei. Denn im Schlachthof gibt es keine | |
schnelle Spritze wie beim Zahnarzt. Dort herrschen so brachiale Praktiken | |
wie das Kopfzerschmettern (beim Bolzenschuss am Rind, der oft mehrmals | |
wiederholt werden muss, bis der Schädel richtig „durch“ ist), das | |
Elektrobad beim Geflügel (kopfüber in ein Fließband eingehängt), oder die | |
Elektrozange respektive CO2-Betäubung (beginnende Erstickung) beim Schwein. | |
Niemand von uns will gerne sterben, aber auf diese Weise sterben will man | |
erst recht nicht. | |
Die erste Hälfte obiger Maxime, man müsse die zu essenden Tiere halt nur | |
„gut behandeln“, trägt auch nicht weit. „Unser Tierschutzrecht ist zieml… | |
gut“, [1][meint Hoerster in einem Interview] mit der taz. Doch hat er das | |
Kleingedruckte gelesen? § 5 Abs. 1 S. 1 verbietet zum Beispiel, dass an | |
einem Wirbeltier ein schmerzlicher Eingriff ohne Betäubung vorgenommen | |
wird. Unter Absatz 3 werden die Ausnahmen aufgezählt: Erlaubt sind | |
betäubungsloses Kastrieren junger Ferkel und Kälber, Kürzen ihrer Schwänze, | |
Abschleifen von Zähnen, – also all das, was in der Landwirtschaft regulär | |
praktiziert wird. | |
Nun kann man sagen: Ein Philosoph muss so etwas nicht wissen. Schuster, | |
bleib bei deinen Leisten! Doch sind es gerade Norbert Hoersters Leisten, | |
bei denen die die größten Bedenken hege. Ähnlich wie bei dem Tierethiker | |
Peter Singer steht bei ihm der Begriff des individuellen Interesses im | |
Vordergrund, von dem aus sich dann erst Normen begründen lassen. Für | |
Hoerster lässt sich daher nicht nur das Tötungsverbot von Tieren, sondern | |
auch die von Menschen nicht direkt begründen, sondern erst auf dem | |
gewissermaßen sozialen Umweg: Jeder will leben und sich und seine Lieben | |
vor dem willkürlichen Tod geschützt wissen. Darum einigen wir uns unter | |
Menschen auf ein starkes Tötungsverbot. Begriffe wie „Eigenwert“ und | |
„Unverfügbarkeit“ menschlichen Lebens lehnt Hoerster ab. | |
Nachlesen lässt sich diese Meta-Ethik unter anderem in seinem Buch | |
„Abtreibung im säkularen Staat“ (Suhrkamp 1991). Hoerster befürwortet dar… | |
das Recht auf Abtreibung, allerdings gerade nicht mit feministischen | |
Argumenten, die er eins nach dem anderen ausschaltet. Nicht einmal eine | |
Schwangerschaft durch Vergewaltigung unterliegt für ihn speziellen | |
Kriterien. | |
Auch in anderen Fragen ist es fraglich, ob Norbert Hoerster der Philosoph | |
der Wahl ist, wenn man Rat in moralisch-politischen Dingen sucht. Noch 1991 | |
war für ihn zumutbar, von homosexuellen Paaren ein zurückhaltendes | |
Verhalten in der Öffentlichkeit zu erwarten (siehe oben erwähntes Buch). Im | |
Jahr 2004 lehnte er ab, dass „wir als Weiße die eigene Rasse privilegieren“ | |
dürfen, nachzulesen in: „Haben Tiere eine Würde?“, Becksche Reihe. Denn | |
auch „Angehörigen einer fremden Rasse“, kurz, „Andersrassigen“ gebühre | |
Gleichbehandlung. | |
Was hat das mit dem Fleischessen zu tun? Bei einem Philosophen viel, denn | |
der gedankliche Hintergrund und die Meta-Ethik sind zur Beurteilung seiner | |
einzelnen ethischen Expertisen unerlässlich. Seit zwanzig Jahren wird der | |
Tierrechts-Seite das Exempel des australischen Philosophen Peter Singer | |
vorgehalten, der WEG: ebenfalls als Interessens-Utilitarist einige höchst | |
bedenkliche Aussagen über das Töten von Neugeborenen und den vermeintlich | |
geringeren „Wert“ des Lebens stark behinderter Menschen gemacht hat. Peter | |
Singer ist für die heutige tierethische Theoriebildung und den | |
zeitgenössischen Veganismus nicht mehr einflussreich, und das ist gut so. | |
Fleischesser sollten aber nun nicht mit doppeltem Maß messen und ihre | |
geschmacklichen Gewohnheiten mit einem Philosophen derselben Ausrichtung | |
„begründen“, der auf anderen Gebieten Äußerungen tätigt, die sie als | |
ethisch inakzeptabel erkennen. | |
22 Sep 2016 | |
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## AUTOREN | |
Hilal Sezgin | |
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