| # taz.de -- Debatte über Tierversuche: Sollen Tiere für den Menschen leiden? | |
| > Wissenschaftler forschen an Tieren, um den Menschen besser zu verstehen. | |
| > Auch an Primaten. Das ist ein ethisches Dilemma. | |
| Bild: Eine notwendige Qual? | |
| Wir teilen Tiere in Haustiere, Nutztiere und Versuchstiere ein. Das prägt | |
| unser Verhältnis zu ihnen. Den einen geben wir Namen, wir umsorgen sie und | |
| trauern, wenn sie sterben. Die anderen werden zu Steak und Schnitzel. An | |
| letzteren testen wir Medikamente und Forschungsfragen. | |
| Mit der Unterteilung regeln wir nicht nur den unterschiedlichen Umgang mit | |
| den Tieren, sondern gestehen ihnen auch unterschiedliche Rechte zu. In der | |
| Massentierhaltung gelten andere Gesetze, was Haltung und Tötung angeht, als | |
| bei Tierversuchen. | |
| Der griechische Philosoph Aristoteles hat die Lebewesen in ein | |
| hierarchisches Stufenmodell eingeordnet, mit dem Menschen als „Krone der | |
| Schöpfung“. Aus der Hierarchie folgte die Legitimation zur Beherrschung der | |
| scheinbar niedrigeren Spezies – und zu ihrer Verwertung für den Nutzen der | |
| höher gestellten. | |
| Im Streitgespräch, das am Samstag, 30. Juli, in der taz. am wochenende | |
| erscheint, treffen zwei Koryphäen ihres jeweiligen Forschungsfelds erstmals | |
| aufeinander und diskutieren über die Moral von Tierversuchen. Die deutsche | |
| Philosophin und Tierethikerin Ursula Wolf kritisiert darin die | |
| „Sonderstellung des Menschen“. Sie fragt: Mit welchem Recht verwenden wir | |
| Tiere so, wie es uns bei Menschen nie in den Sinn käme? | |
| Für den Neurowissenschaftler und Leiter des Deutschen Primatenzentrums | |
| Stefan Treue gibt es hingegen eine klare „Spezies-Grenze“, er spricht sich | |
| dagegen aus, Tieren Menschenrechte zuzugestehen. „Der Unterschied zwischen | |
| Mensch und Tier ist, dass der Mensch die nötigen kognitiven Fähigkeiten | |
| besitzt, für sich selbst zu entscheiden“, sagt der Leiter des | |
| Primatenzentrums. Für Ursula Wolf ist das kein Argument für einen anderen | |
| moralischen Umgang mit Tieren. „Ansonsten könnten wir ja auch sagen: Wir | |
| nehmen für die Tierversuche nicht nur Affen, sondern auch Säuglinge.“ Sie | |
| ist der Meinung, dass Tierversuche nur dann legitim sind, wenn die Tiere | |
| gar nicht oder nur punktuell dabei leiden müssen. | |
| Wolfs geht bei der moralischen Bewertung von der Leidensfähigkeit eines | |
| Lebewesens aus, man nennt diese Position pathozentrisch. Eine andere | |
| Position ist es, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen, das nennt man | |
| dann anthropozentrisch. Ursula Wolfs pathozentrische Position stützt sich | |
| auf ein Denken, das Arthur Schopenhauer geprägt hat. Die Basis | |
| uneigennützigen Handelns ist nach Schopenhauer die Erkenntnis des Eigenen | |
| im Anderen, dabei schließt er auch Tiere mit ein. Immanuel Kants | |
| anthropozentrischer Ansatz lässt sich daran erkennen, dass er forderte, der | |
| Mensch solle vor allem deshalb keine Tiere quälen, weil es ihn emotional | |
| abstumpfen lässt. Und diese Verrohung würde sich wiederum negativ auf den | |
| Umgang der Menschen miteinander auswirken. | |
| Für Peter Singer, der als Begründer der modernen Tierethik gilt, sind | |
| Leidensfähigkeit und Selbstbewusstsein eines Lebewesens die Basis | |
| moralischer Überlegungen. Die Zugehörigkeit zur Spezies „Mensch“ ist für | |
| den Philosophen nicht ausschlaggebend. Ähnlich wie beim Rassismus geht er | |
| davon aus, dass die Unterteilung in Spezies ein soziales Konstrukt ist und | |
| kritisiert die Praxis als „Speziesismus“. Problematisch wird seine | |
| Argumentation, wenn er die Präferenzen, die ein geistig weiter entwickeltes | |
| Lebewesen wie ein erwachsener Hund oder ein Affe besitzt, über die eines | |
| Säuglings oder geistig beeinträchtigten Menschen stellt. | |
| Theoretische Überlegungen stoßen allerdings schnell an eine Grenze, wenn | |
| sie mit der Realität konfrontiert werden. Sobald viele Menschenleben auf | |
| dem Spiel stehen, wie das bei globalen Epidemien und chronischen | |
| Erkrankungen der Fall ist, wird anders gehandelt. Meistens wird in diesen | |
| Debatten dann die Fortdauer und Verbreitung menschlichen Lebens zum | |
| allerhöchsten Ziel der Politik erklärt. | |
| Der Tierforscher Stefan Treue fordert im Gespräch eine „allgemeine Ethik“ | |
| und stellt die Frage, warum für Tierversuche andere Gesetze gelten als für | |
| die Massentierhaltung. Er sieht sich als Tierfreund und sagt: „Gäbe es | |
| einen Durchbruch, der dieselben wissenschaftlichen Erkenntnisse und | |
| Fortschritte ohne Primatenversuche ermöglichen würde, würde ich sofort aus | |
| der Primatenforschung aussteigen.“ Doch solange das nicht der Fall ist, | |
| sind Tierversuche für ihn notwendiges Übel. | |
| Was denken Sie darüber? Müssen Tiere für den Menschen leiden? Diskutieren | |
| Sie mit! | |
| Das von Heike Haarhoff moderierte Streitgespräch zwischen der Tierethikerin | |
| Ursula Wolf und dem Leiter des Deutschen Primatenzentrums lesen Sie in | |
| voller Länge in der taz.am wochenende vom 30./31. Juli. | |
| 29 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Martina Kollross | |
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