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# taz.de -- Fremde oder besorgte Freunde?: Gericht verhandelt gegen Gaffer
> Das Amtsgericht in Bremervörde hat den Prozess gegen drei Brüder, die
> Rettungskräfte bei einem Unfall behindert haben sollen, unterbrochen.
Bild: Aufdringliche Schaulustige oder besorgte Bekannte der Verletzten? Das ver…
BREMERVÖRDE taz | Die drei Angeklagten halten sich Zeitungen und eine graue
Aktenmappe vors Gesicht. Sie haben Angst, gegen ihren Willen fotografiert
zu werden. Dabei haben die Fotografen den Saal im Amtsgericht Bremervörde
längst verlassen. Angeklagt sind die drei Brüder Mohammed, Ezzedin und Omar
A., weil sie nach einem schweren Autounfall in der kleinen
niedersächsischen Stadt die Opfer gefilmt und die Rettungskräfte behindert,
bedroht und angegriffen haben sollen.
Im Juli vergangenen Jahres ist in Bremervörde eine Autofahrerin mit ihrem
Fahrzeug ungebremst in eine vollbesetzte Eisdiele gefahren. Ein 65-jähriger
Mann und ein zweijähriger Junge wurden getötet, neun Menschen verletzt.
Rettungskräfte hatten den Unfallort abgesperrt und versuchten den Opfern zu
helfen.
Der Angeklagte Omar A. soll hinter die Absperrung gegangen sein und dort
mit seinem Handy die Bergung der Verstorbenen gefilmt haben, sagte die
Staatsanwältin Petra Kieslinger bei der Verlesung der Anklageschrift. Gegen
den 26-Jährigen richtet sich der Großteil ihrer Vorwürfe. Denn nachdem ihm
ein Polizist einen Platzverweis erteilt habe und ihn von der zerstörten
Eisdiele wegbringen wollte, soll sich Omar A. heftig gewehrt haben.
Er habe laut Staatsanwältin einen Polizisten in den Schwitzkasten genommen
und gesagt: „Dich werde ich noch umbringen. Ich bringe Waffen und dann
regeln wir das.“
Auch der 20-Jährige Mohammed A. soll einen Feuerwehrmann, der dem
Polizisten zu Hilfe geeilt war, von hinten in den Rücken getreten und
geschlagen haben. Der Feuerwehrmann und der Polizist erlitten Prellungen.
Die beiden Brüder sind deshalb wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
und Körperverletzung angeklagt. Omar A. auch wegen Bedrohung.
Der 35-Jährige Ezzedin A. sitzt wegen des Verdachts der versuchten Nötigung
auf der Anklagebank. Er habe angenommen, dass ein Polizist das Smartphone
seines Bruders habe und diesem gedroht, ihn „fertig zu machen, wenn er das
Handy nicht rausrückt“, sagte Kieslinger.
Die Holzbänke im Saal waren bis auf den letzten Platz besetzt. Schon vor
dem Prozess wurde viel berichtet über die mutmaßlichen Schaulustigen, die
sich für den besten Blick aufs Geschehen mit der Polizei geprügelt haben
sollen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) strengte
nach dem Unfall in Bremervörde sogar eine Bundesratsinitiative an. Er will,
dass Gaffer, die Einsatzkräfte behindern, mit bis zu einem Jahr
Freiheitsstrafe oder einer Geldbuße bestraft werden können (siehe Kasten).
Es sei „abstoßend, wenn Menschen ihre Sensationsgier nicht zügeln können�…
sagte Pistorius vor dem Bundesrat.
Die Angeklagten in Bremervörde schwiegen zu den Vorwürfen. Aber gemeine
Gaffer seien sie nicht, sagte Lorenz Hünnemeyer, der Rechtsanwalt von
Ezzedin A. Die Brüder seien „gut bekannt mit dem Betreiber der Eisdiele“.
Sie hätten sich Sorgen gemacht, sagte Hünnemeyer. In der Situation seien
alle überfordert gewesen, auch die Einsatzkräfte.
Für den Prozess ist eine mögliche Freundschaft zwischen dem
Eisdielenbesitzer und den Angeklagten eine neue Information. Richterin
Swantje Geerdes-Franzki unterbrach die Verhandlung, um die Fakten zu
klären. Wann der nächste Termin stattfindet, ist noch unklar.
Die Eisdiele Pinocchio hat im Mai wieder eröffnet. Allerdings nicht mehr an
der vielbefahrenen T-Kreuzung, sondern in der Fußgängerzone. Alles ist
frisch renoviert, an einer Wand hängt eine Kreidezeichnung der hölzernen
Märchenfigur. Besitzerin Agneza Adafinei steht hinter der Ladentheke. Ihre
Freunde seien die Angeklagten nicht, sagt sie: „Nur Kunden.“ Bei ihrem
Verhalten am Unfallort habe ihr „der Respekt gefehlt“.
Sie und ihr Mann wohnen über der alten Eisdiele. Eines der Fenster am alten
Gebäude ist noch von großen Holzplatten verdeckt. Die Besitzer haben den
Laden noch nicht renoviert. Die Wunde ist noch nicht geheilt.
29 Sep 2016
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Justiz
Prozess
Unfall
Gericht
Rettungswagen
Rettungswagen
Bus
Polizei
Unfälle
Nordrhein-Westfalen
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