# taz.de -- Geheimdienstthriller „Snowden“: Hier ein Verräter, dort ein He… | |
> Das Leben des Whistleblowers Edward Snowden ist verfilmt worden. Doch in | |
> Washington scheint sich keiner dafür zu interessieren. | |
Bild: Gemeinsames Starren auf den Bildschirm: Szene aus „Snowden“ | |
WASHINGTON taz | Edward Snowden ist zurück – diesmal nicht aus seinem | |
russischen Zwangsexil zugeschaltet, sondern als sympathisierende | |
Hollywood-Figur auf der Leinwand. In 800 US-amerikanischen Kinos ist | |
vergangene Woche Oliver Stones neuer Film „Snowden“ angelaufen. Parallel | |
dazu haben Menschenrechtsgruppen eine Kampagne mit ganzseitigen Anzeigen in | |
Tageszeitungen und mit Petitionen gestartet. Sie appellieren an den | |
scheidenden Präsidenten Barack Obama, den Whistleblower zu begnadigen. „Er | |
hat für unsere Freiheit gekämpft, jetzt ist es an der Zeit, dass er seine | |
eigene bekommt“, erklären sie. | |
Doch auch die andere Seite trommelt. Zum Kinostart veröffentlicht der | |
Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses nach zweijähriger | |
Untersuchung einen Bericht, in dem die demokratischen und republikanischen | |
Mitglieder in ungewöhnlicher Einigkeit von einem „Lügner“ und „Angeber�… | |
reden. Dieser habe das Militär der USA und die Geheimdienste gefährdet und | |
die Konkurrenten Russland und China für sich genutzt. Sie raten von einer | |
Begnadigung ab und empfehlen, ihn wegen „Spionage“ vor Gericht zu stellen. | |
Im Falle einer Verurteilung würde das Jahrzehnte im Gefängnis bedeuten. | |
Ihren 36-seitigen Abschlussbericht jedoch halten die Ausschussmitglieder | |
unter Verschluss – angeblich um „weiteren Schaden für die nationale | |
Sicherheit“ abzuwenden. | |
Die ersten Vorführungen von „Snowden“ liefen in Großstädten an der Ost- … | |
Westküste vor vollen Häusern und endeten vielerorts mit Standing Ovations. | |
Doch nicht so in Washington. Das Regal-Kino liegt nur einen Fußweg vom | |
Weißen Haus entfernt. Es ist Donnerstag, der zweite Tag des Films und der | |
Saal ist fast leer. Ein Dutzend Personen schauen sich „Snowden“ in der | |
ersten Vorstellung an, sechs Personen in der zweiten. Am Ende verlassen sie | |
schweigend den Saal, das halbe Dutzend verstreut sich schnell. | |
## „Verräter“ und „Patriot“ | |
Warum kommt der Film hier so schlecht an? Die großen Geheimdienste haben in | |
und um Washington herum ihre Hauptquartiere. Die Konzentration von | |
Geheimnisträgern ist in der Hauptstadtregion am höchsten. Rund 1,5 | |
Millionen Personen mit einer „Sicherheitsermächtigung“ leben hier. Sie | |
bezeichnen sich als Angehörige der „Intelligence Community“. Hinzu kommen | |
zahlreiche weitere „Berater“ und andere private Auftragnehmer, die für | |
Rüstungs- und Hightech-Unternehmen im Umland der Hauptstadt arbeiten und | |
die „Dienste“ beliefern. | |
In diesen Kreisen gilt der Exkollege Snowden weiterhin als „Verräter“ und | |
„Feind“ – auch drei Jahre und drei Monate nach seinen Enthüllungen und | |
nachdem der US-Kongress ein paar Fehlverhalten des „Dienstes“ korrigiert | |
hat. Möglicherweise liegt es an dieser Korpsmentalität, dass sich das | |
Interesse an dem Film in Washington in Grenzen hält. | |
Für Oliver Stone hingegen ist Snowden ein „amerikanischer Held“ und | |
„Patriot“. Der Regisseur ist einer der politischsten und kontroversesten | |
des Landes. Seine bekanntesten Filme sind „JFK“, „Platoon“, „Nixon“, | |
„Castro“ und „Die nicht erzählte Geschichte der USA“. | |
Seinem Snowden, gespielt von Joseph Gordon-Levitt, hat Stone ein wenig Sex | |
und Drama eingehaucht. Er beschreibt ihn als durch und durch konservativen | |
und konventionellen jungen Mann, der sich – unter dem Eindruck dessen, was | |
er bei der Arbeit sieht, aber auch in den Diskussionen mit seiner politisch | |
weiter links stehenden Freundin – im Laufe von neun Jahren wandelt. Stones’ | |
Snowden stellt sein Leben nach „9/11“ in den Dienst der nationalen | |
Sicherheit und rechtfertigt alles, was seine Regierung tut. Er wird ein | |
moderner Spion, der vom Computer aus schnüffelt. Doch bei seiner Karriere | |
entdeckt er schon auf seiner ersten Auslandsstation in Genf menschliches | |
Fehlverhalten, mit dem er sich nicht abfinden will. | |
Auf seiner zweiten Auslandsstation, in Hawaii für die NSA, treibt ihn die | |
Aushöhlung des in der Verfassung garantierten Rechts auf Unversehrtheit des | |
Privatlebens zu den Enthüllungen, die ihn zu dem größten Whistleblower der | |
US-Geschichte machen. In seinem Film hat Stone ihn mit ein paar „typischen“ | |
Kollegen umgeben. Sein diabolischer Ausbilder und Mentor beschreibt | |
„Geheimhaltung als Sicherheit und Sicherheit als Sieg“. Ein Ingenieur hat | |
sich resigniert in die Bastelecke zurückgezogen, nachdem seine beste | |
Erfindung abgelehnt worden war. Und mehrere junge Kollegen scheinen zu | |
ahnen, dass Snowden etwas im Schilde führt, ohne etwas dagegen zu | |
unternehmen. | |
Die Washingtoner Anwältin Jesselyn Radack, einst eine Whistleblowerin im | |
FBI, die später Snowden vertreten hat, nennt Stones Snowden-Porträt „fair | |
und ausgeglichen. Im Unterschied zu den vielen Karikaturen von ihm ist er | |
menschlich und mit vielen Facetten dargestellt.“ Der Washingtoner | |
Historiker Peter Kuznick, der Oliver Stone berät, ist überzeugt, dass der | |
Film schon jetzt eine neue „nationale Konversation“ über Datenschutz und | |
Massenüberwachung in den USA ausgelöst hat. | |
## Richtig bis untertrieben | |
Wie schon die Enthüllungen des echten Snowden zieht auch der Film über den | |
von Haus aus Konservativen vor allem Linke an. Sie sehen in ihm einen | |
„Helden“, der Exzesse und Gesetzesbrüche der Dienste offen gelegt hat. | |
Andere Whistleblower bestätigen, dass Stone in seinem Film richtig liegt. | |
Doch dem ältesten und beliebtesten aller Whistleblower in den USA geht | |
Stone in seinem Film nicht weit genug. Der 85-jährige Daniel Ellsberg | |
bedauert, dass der Regisseur die Verstöße der NSA gegen die US-Verfassung | |
nicht genauer herausgearbeitet hat. „Die Invasion des Privatlebens durch | |
die massenhafte Datensammlung zerstört unsere Demokratie“, sagt er zur taz. | |
Er hat 1971 die „Pentagon Papers“ veröffentlicht, die zeigen, wie | |
US-Präsidenten ihr Volk über den Vietnamkrieg belogen haben. Von der NSA | |
heute glaubt Ellsberg, dass sie „mehr Möglichkeiten als die Stasi“ hat. | |
„Wir haben noch nicht den Polizeistaat der DDR erreicht“, sagt er, „aber … | |
könnte von einem Tag auf den anderen passieren.“ | |
Whistleblower, die Missstände in Regierung oder privaten Unternehmen | |
enthüllen, genießen in den USA Schutz. Doch vielen wird die Anerkennung als | |
Whistleblower verweigert und sie werden stattdessen als „Spione“ behandelt. | |
Ellsberg, war der Erste, dem das widerfuhr. Einem Leben hinter Gitter | |
entkam er nur, weil herauskam, dass die Nixon-Regierung einen Einbruch bei | |
seinem Psychiater organisiert hatte. | |
Unter Präsident Obama, der die „transparenteste Regierung der Geschichte“ | |
versprochen hatte, gab es mit acht Anklagen wegen „Spionage“ das bislang | |
härteste Vorgehen gegen Whistleblower. Am schwersten traf es Chelsea | |
Manning, die 2013 zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weil sie – | |
damals noch als Bradley Manning – militärische und diplomatische | |
Geheimdokumente an Wikileaks weitergegeben hatte. | |
Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung glauben nur wenige, dass Obama | |
tatsächlich die „Lame Duck“-Periode – also die Zeit nach der Wahl deR | |
NachfolgerIn im November vor der Amtsübergabe im Januar – nutzen wird, um | |
Snowden zu begnadigen. Ellsberg hält es für ausgeschlossen, dass ein | |
Präsident gegenüber den Geheimdiensten stark genug sei, um dergleichen | |
durchzusetzen. Realistischer erscheint es ihm, dass ein „großes | |
europäisches Land den Mut aufbringt, Snowden Asyl zu bieten“. | |
Von den potenziellen künftigen PräsidentInnen haben Whistleblower schon gar | |
nichts zu erwarten. Zwar hat Exjustizminister Eric Holder erklärt, Snowden | |
habe seinem Land einen „öffentlichen Dienst“ erwiesen. Und zwar kündigt d… | |
grüne Kandidatin Jill Stein an, als Präsidentin würde sie Snowden in ihre | |
Regierung holen. Doch Donald Trump nennt ihn einen „Bösewicht“, erwähnt d… | |
Möglichkeit einer „Exekution“. Und Hillary Clinton hat klargemacht, dass | |
sie den Diebstahl von Dokumenten „niemals“ billigen werde und dass Snowden | |
sich der Justiz seines Landes stellen müsse. | |
21 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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