# taz.de -- Neue Serie auf Arte: Schöner Wohnen | |
> Arte zeigt statt einer Krimi- nun eine Horror-Serie. Darin geht es um | |
> eine junge Frau, die in ein gruseliges Haus zieht. Nichts Neues also. | |
Bild: Lisa – nicht allein in ihrem Haus | |
Schon der Anfang sieht aus wie ein Déjà-vu, das aber ein bisschen in die | |
Irre führt. In den Irrgarten, ins Labyrinth, aber dazu gleich. | |
Denn diese supertaffen, fachlich genialen, sozial minderbegabten, das heißt | |
mal mehr, mal weniger autistischen Heldinnen in der Nachfolge von | |
Kommissarin Lund haben wir zwischenzeitlich in 100 oder 1000 oder sagen | |
wir: in zahllosen Fernsehkrimis gesehen – jüngstes Beispiel Commissaris | |
Liese Meerhout in der aktuellen ZDFneo-Serie „Coppers“, aus Belgien, wo | |
auch die Schauspielerin Veerle Baetens herkommt, die so eine Ermittlerin | |
auch schon zweimal gespielt hat, in „Code 37“ und in der | |
belgisch-dänisch-deutsch-österreichisch-schweizerischen Koproduktion „The | |
Team“. | |
Die nicht mehr 19-jährige Lisa (Veerle Baetens) lebt in ihrer Mietwohnung | |
so anspruchslos wie heute keine Erstsemester-Studentin mehr. Anstelle eines | |
Bettes genügt ihr eine Matratze, die sie einnässt, wenn sie nachts von | |
Alpträumen geplagt wird: die Dämonen der Vergangenheit, ein Unglück in der | |
Familie, Schuldkomplexe. | |
Gegen das Ausgehenmüssen mit den Kollegen hilft, dass ihr Ehemann sie so | |
sehr in Anspruch nimmt – nicht dass sie einen hätte. Gegen Anmache hilft | |
ein falscher Ehering – der die Heldin aber nicht davon abhält, den gerade | |
noch Abgewiesenen zu sich ins Auto zu winken, für einen schnellen Fick in | |
der Tiefgarage. | |
## Geheimnisvolle Türen | |
Was allein irritiert: Lisa ist gar keine Kommissarin. Sie übt den | |
wichtigen, aber wenig fernsehserienkompatiblen Beruf einer Logopädin aus. | |
Der dann auch im weiteren Serienverlauf keine Rolle spielt, sie könnte | |
ebenso gut Floristin sein. Der belgisch-französische Dreiteiler „Hinter den | |
Mauern“ (Buch und Regie: Hervé Hadmar) ist zwar Genre-, aber nicht | |
Krimiware. Das Genre ist – in europäischen Serien seltener, aber nicht | |
ausgeschlossen („Les Revenants“, zu Deutsch: „The Returned“) – Horror. | |
Im fotogen baufälligen Haus gegenüber wird die Leiche eines vor dreißig | |
Jahren gestorbenen Mannes gefunden, mit dem Lisa nicht verwandt ist, den | |
sie nicht kennt oder nicht zu kennen meint, der ihr aber das Haus vererbt. | |
Sie zieht also ein – und findet bald nicht mehr heraus. Dafür findet sie | |
den feschen, etwas altmodisch gekleideten Julien (François Deblock), der | |
sich ihrer annimmt: | |
„Wir müssen weg, kommen Sie! DIE wissen, dass Sie hier sind, na los!“ | |
„Wer sind DIE?“ | |
„Die Anderen.“ | |
Ach so. Der Zuschauer ist auf dem Wissensstand von Lisa, die von Julien nur | |
häppchenweise aufgeklärt wird. Zum Beispiel sein altmodisches Aussehen: | |
„Ich habe das Haus am 7. November 1916 betreten.“ Lisa hat viele Fragen, | |
warum hat das Haus eigentlich keine Fenster, wie groß kann es sein? Julien: | |
„Ich war tagelang in diesem Haus unterwegs ohne je dieselben Zimmer zu | |
betreten.“ Typischer Dialog: | |
„Wir finden keinen Ausgang mehr.“ | |
„Es muss einen geben.“ | |
„Es gibt einen.“ | |
„Wo denn?“ | |
„Ich weiß es nicht.“ | |
Nummerngrusel | |
Lisa hat indes das Johannes-Evangelium gelesen, in dem Jesus sagt: „Ich bin | |
die Tür“, und Julien weiß immerhin, dass die Tür rot sein muss. Zu zweit | |
sind sie weniger allein und irren fortan gemeinsam durch das Haus, in dem | |
sich die als schwarz gewandete Greisin wirklich sehr unheimlich aussehende | |
Geraldine Chaplin als Herbergsmutter einer Horde ölverschmiert | |
herumstaksender Zombies entpuppt: die Anderen. | |
Und die ordentlich gespielte Miniserie entpuppt sich als Geisterbahn, als | |
Nummernrevue der Gruseleffekte, als Zitat-Potpourri von bekannten Motiven, | |
deren Zusammenwürfelung nichts Neues schafft, aber die sorgfältige | |
Ausarbeitung des jeweiligen Motivs behindert. Das des Labyrinths („Cube“) | |
und das des besitzergreifenden Hauses, das den neuen Bewohner in den | |
Wahnsinn treibt (Polanskis „Der Mieter“, Kubricks „Shining“). | |
Der dreisteste Klau: Lisa folgt einem kleinen Mädchen – nicht im roten | |
Mantel sondern im weißen Kleid – durch die verworrenen Flure. Sie glaubt | |
ihre im Kindesalter ertrunkene Schwester zu erkennen. „Wenn die Gondeln | |
Trauer tragen“ – höher könnte die Latte nicht liegen: gruseligster Film | |
überhaupt, erotischste Sexszene überhaupt, bösartigste Schlusspointe | |
überhaupt – „The Sixth Sense“ KiKA-Ware im Vergleich. | |
Zitieren macht Spaß, wir können das auch. Der frühere Filmkritiker François | |
Truffaut wusste: „Man kann niemanden überholen, wenn man in seine | |
Fußstapfen tritt.“ | |
22 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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