# taz.de -- Homophobie in Bremen: „Ich krieg’ dich, du Homo!“ | |
> Das Rat & Tat – Zentrum für Schwule und Lesben im Bremer Viertel ist | |
> wieder mit Buttersäure attackiert worden. Jetzt ermittelt der | |
> Staatsschutz | |
Bild: Das Rat & Tat-Zentrum ist seit 2015 schon fünf Mal attackiert worden. | |
BREMEN taz | Auf den Gehwegplatten sind nur noch vereinzelt weiße Schlieren | |
und Flecken zu sehen. Die kommen von der Natronlauge, mit der die | |
MitarbeiterInnen das Bremer Rat & Tat die Buttersäure von ihrem Haus und | |
dem Bürgersteig gewaschen haben. Am Wochenende wurde das Zentrum mit | |
Buttersäure attackiert. | |
Weil das nicht zum ersten Mal passiert ist, haben sie die Natronlauge immer | |
vorrätig. Seit dem vergangenen Jahr ist das „Zentrum für Schwule und Lesben | |
e.V.“ ganze fünf Mal angegriffen worden: mitten im linksalternativen | |
Viertel, in der Theodor-Körner-Straße. | |
Die Polizei spricht lieber von „Sachbeschädigung“, das ist der juristisch | |
korrekte Begriff für das Besprühen der Treppe mit Graffiti und dem | |
Verteilen von Buttersäure auf Hauswand und Gehweg. | |
## Keine Spur vom Täter | |
Nach den jüngsten Vorfällen am Wochenende ermittelt nun der Staatsschutz: | |
Vermutlich in der Nacht zu Freitag hatte jemand einen Karton voll | |
Bettenfedern in den kleinen Lichtschacht vor dem Souterrainfenster | |
geschüttet. Freitagabend und schon wieder am Samstag folgten | |
Buttersäure-Attacke. Über den oder die TäterInnen ist bislang nichts | |
bekannt. | |
Niemand in der kleinen Straße hat ausgesagt, etwas gesehen oder gehört zu | |
haben. „Das scheint zunächst verwunderlich“, sagt Nils Matthiesen von der | |
Bremer Polizei, „aber Buttersäure macht eben keinen Lärm.“ Die Säure kö… | |
einfach im Vorbeigehen auf das Haus gesprüht werden, ohne dass es jemand | |
bemerkt. | |
Im Verein wird deshalb bereits seit einiger Zeit darüber diskutiert, den | |
Bereich vor dem Haus mit einer Kamera zu überwachen. Doch das ist rechtlich | |
nicht ganz einfach: Mitgefilmt würde schließlich auch ein öffentlicher | |
Bereich und damit jeder, der am Gebäude vorbeigeht. | |
## Überwachung mit Folgen | |
Schwerer wiegt jedoch ein anderes Argument gegen die Videoüberwachung. | |
„Viele, die bei uns Beratung suchen, sind ja noch gar nicht geoutet“, sagt | |
Rat & Tat Vorstand Reiner Neumann. „Die laufen sowieso erst zwei-, dreimal | |
ums Haus, bevor sie sich zu uns herein trauen.“ Videoüberwachung könne sie | |
dann endgültig abschrecken. | |
Das gelte noch mehr für die vielen Geflüchteten, die seit vergangenem Jahr | |
ebenfalls Beratung bei Rat & Tat bekommen. „Mit ihnen können wir uns nicht | |
mal in unser Café setzen, weil sie solche Angst haben, dass jemand von | |
ihrer Homosexualität erfährt“, so Neumann, „deshalb gehen wir mit ihnen | |
meistens nach oben in einen Raum, der keine Glasfront zur Straße hat.“ Eine | |
Videoüberwachung würde wahrscheinlich viele von ihnen ganz abhalten, sich | |
an den Verein zu wenden. | |
Was die jüngsten Angriffe auf das queere Zentrum betrifft, sieht Neumann | |
auch die veränderte gesellschaftliche Stimmung als mitursächlich für die | |
vermehrten Attacken an: Das Erstarken populistischer Bewegungen in | |
Deutschland, aber auch international trage viel zum Gesamtbild bei. | |
## Ärger mit Nachbarn | |
„Wir haben zwar lange Ruhe gehabt“, sagt Reiner Neumann – das Zentrum | |
besteht seit drei Jahrzehnten –, „zehn Jahre ist nichts passiert“, bevor … | |
wieder los ging mit den Anschlägen. Wer dahinter stecken könnte, weiß er | |
auch nicht. | |
„Wir erfahren viel Unterstützung von unseren Nachbarn hier – jedenfalls von | |
den meisten.“ Direkt nach den jüngsten Attacken seien mehr Leute ins Café | |
gekommen als normalerweise, darunter viele, „die gesagt haben: Jetzt | |
trinken wir unseren Kaffee extra mal bei Rat & Tat“. | |
Daneben gibt es aber auch einige, denen das queere Beratungszentrum | |
offenbar ein Dorn im Auge ist. Denn so tolerant, wie sich das Viertel und | |
seine Bewohner auch geben – Sätze wie „Ich krieg’ dich, du Homo!“ hat | |
Reiner Neumann von Nachbarn zu hören bekommen. Im Jahr 2016, im Bremer | |
Ostertor. | |
13 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Karolina Meyer-Schilf | |
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