| # taz.de -- Bei Gruftis auf dem Sofa: Misanthropen zum Liebhaben | |
| > Bremens berühmteste Grufti-WG geht in die Verlängerung. Im neuen Jahr | |
| > startet die zweite Staffel der Animationsserie „Engel mit nur einem | |
| > Flügel“. | |
| Bild: Ist man erst mit dem Sofa verwachsen, wird auch ein Umzug zur Actionszene | |
| Nina ritzt sich sie Arme blutig, Mara liebt Opas Totenschädel, Tillo ist | |
| schwul und Sebi hat ein ausgeprägtes Aggressivitätsproblem. Aber zumindest | |
| ein Klischee haben sie alle gemeinsam: Sie sind Gruftis. Oder naja, Sebi | |
| hört eigentlich Black Metal, was aber zumindest an Lieblingsfarbe und | |
| Lebensfreude nichts ändert. | |
| Um diese schwarze WG dreht sich die animierte Seifenoper „Engel mit nur | |
| einem Flügel“, deren erste Staffel zunächst folgenweise im Internet zu | |
| sehen war und mittlerweile in Langfassung auf DVD zu haben ist. Und nach | |
| drei Jahren Gefeile ist nun auch die zweite Staffel fertig und erwartet | |
| [1][ihren Start am 1. Januar]. | |
| Dann werden sie wieder durch die Wohnung geistern und allerlei Vorurteile | |
| über die schwarze Szene vorführen – in defensiver Selbstironie allerdings, | |
| denn Addi Keil, der Erfinder, Produktionsleiter und Drehbuchschreiber der | |
| Serie, ist selbst so eine schwarze Gestalt. | |
| ## Schwarze 80er Jahre | |
| „Eigentlich hätte man das alles schon in den 80ern machen müssen“, sagt e… | |
| Denn tatsächlich funktioniert das Spiel mit den Klischees auch darum so | |
| ausgezeichnet, weil sich die Gothic-Szene mit doch bemerkenswerter | |
| Hartnäckigkeit treu geblieben ist. | |
| Dieses Umeinanderkreisen spiegelt sich auch im menschlichen Miteinander der | |
| Figuren, die sich sitcom-artig immer wieder an den selben Konflikten | |
| reiben. Selbst wenn einer stirbt, wird er wiederbelebt, um zur nächsten | |
| Folge wieder auf der Matte zu stehen. | |
| Die Figuren sind dabei so fest mit ihrem verrauchten Kabuff verwachsen, | |
| dass eine drängende Tour zum Supermarkt – Kippen, Rasierklingen und Kaffee | |
| sind ausgegangen – zum dramatischen Höhepunkt der ersten Staffel wurde. | |
| ## Angst vor Veränderung | |
| Das Herumgesitze klingt nun allerdings langweiliger, als es tatsächlich | |
| ist: Es geht dabei um eine tiefe Angst vor Veränderungen, die womöglich | |
| auch hinter der Beständigkeit der Szene stecken mag. Dennoch ist „Engel mit | |
| nur einem Flügel“ weit mehr als ein ironisches Szeneportrait für | |
| InsiderInnen. | |
| Den Figuren geht es wie den titelgebenden einflügligen Engeln, die eben nur | |
| dann fliegen können, wenn sie einander umarmen. Das ist freilich | |
| Poesiealbumskitsch und doch ein wirklich liebenswertes Miteinander – wohl | |
| auch deshalb, weil Harmonie Mangelware im Grufti-Haushalt ist und man sich | |
| gegenseitig auch schon mal erschießt. Diese Miesepeter sind es vielleicht | |
| nicht, doch zumindest als ZuschauerIn darf man ehrlich froh darüber sein, | |
| dass sie einander haben. | |
| In der kommenden zweiten Staffel steht dann etwas mehr folgenübergreifende | |
| Handlung an, verspricht Kim Elaschi, die neben Drehbuchkorrekturen auch an | |
| der Technik sitzt. Ein Blick ins Rohmaterial zeigt bereits, dass auch hier | |
| deutlich nachgelegt wurde: Die Hintergründe sind detaillierter | |
| ausgearbeitet, und vor allem die Gespräche laufen deutlich flüssiger. | |
| Hier liegt übrigens eine Besonderheit der Serie. Denn anders als im Genre | |
| üblich wurde erst gesprochen und dann um die Töne herum animiert. So | |
| konnten die rund 20 SprecherInnen aus Keils und Elaschis Freundeskreis ihre | |
| Rollen selbst ausgestalten, statt sklavisch Drehbuchtext und | |
| Regieanweisungen umsetzen zu müssen. | |
| ## Geschminkte Konservative | |
| Diese Freunde sind nur zum Teil Gruftis. Die anderen stammen aus dem Umfeld | |
| des Rat&Tat-Zentrums für Schwule und Lesben. Das ist durchaus | |
| bemerkenswert, denn all der hübsch geschminkten Grufti-Männer zum Trotz ist | |
| die schwarze Szene im Grunde doch eher konservativ aufgestellt und nicht | |
| gerade für ihre gendermäßige Experimentierfreude bekannt. | |
| Auch in Bremen nicht, obwohl hier rechte Unterwanderungen mit Runenfimmel | |
| und NS-Ästhetik keine Rolle spielen. Laut Keil ist die sexuelle | |
| Orientierung der lokalen Szene in der Regel recht egal. Das interessiere | |
| hier nur die, „die mit dir ins Bett wollen“, sagt er. | |
| Ob man „Engel mit nur einem Flügel“ darum nun politisch lesen muss, sei | |
| dahingestellt. Trash bleibt es in jedem Fall – und soll es auch sein. Los | |
| ging es nach Keils Erzählung, weil er ein 3D-Programm „günstig geschossen“ | |
| hatte und dann auch irgendwas damit anstellen wollte. Thematisch lief es | |
| dann eben auf die eigene Szene hinaus. Und auf das, was die beiden sonst so | |
| interessiert. Religionskritik zum Beispiel. So klingeln dann schon einmal | |
| Missionare an der Wohnungstür. Auch der Teufel hat seinen Auftritt. | |
| Humorvoll ist das, auch wenn mit Pointen nicht gerade um sich geworfen | |
| wird. Dafür nehmen Keil und Elaschi ihren Gegenstand dann doch zu ernst. | |
| „Um Religionen auf den Arm nehmen zu können“, sagt Elaschi, müsse man sich | |
| ja damit beschäftigt haben. Das stimmt zwar zweifellos, ist darum aber noch | |
| längst keine Selbstverständlichkeit unter atheistischen SpaßmacherInnen. | |
| Um Bremen geht es übrigens am Rande auch. Hauptsächlich allerdings, um die | |
| Weltfremdheit der Charaktere zu illustrieren. Denn nachdem sie den Einkauf | |
| im Viertel in der ersten Staffel mit Mühe und Not überlebt haben, werden | |
| sie diesmal überrascht feststellen, dass da draußen tatsächlich ein Fluss | |
| durch die Stadt fließt. | |
| 27 Dec 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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