| # taz.de -- Disko-Revival: „Das war ein zweites Wohnzimmer“ | |
| > Der „Lindenhof“ war eine kleine Diskothek, aber überregional bekannt. 15 | |
| > Jahre später tourt Haus-DJ Ansgar Tegeler auf Partys über Land. | |
| Bild: War mal eine Dorfdisko: Der „Lindenhof“ in Wetschen bei Diepholz. | |
| taz: Herr Tegeler, was haben Sie gemacht, als die Disco, in der Sie Woche | |
| für Woche aufgelegt hatten, vor 15 Jahren schloss? | |
| Ansgar Tegeler: Als der Lindenhof zugemacht hat, war eine Weile wirklich | |
| erstmal gar nichts angesagt. Dann bin ich eher zufällig an einen | |
| Motorradclub gekommen und hab auf deren Sommerfest aufgelegt. So ging das | |
| los mit den Rocknächten und Lindenhof-Revival-Partys. Die gibts inzwischen | |
| von verschiedenen Veranstaltern mehrmals im Jahr - meist in irgendwelchen | |
| angemieteten Landgasthöfen. | |
| Warum hängen heute immer noch so viele Menschen an dieser kleinen | |
| Dorfdisco? | |
| Der Laden war immer irgendwie anders und hat nie Ersatz gefunden. Das fängt | |
| schon damit an, dass man da immer mit dem Gesicht Richtung Wand getanzt hat | |
| - keine Ahnung warum. Die Älteren wollen auf den Partys natürlich mal | |
| wieder ihre Musik hören - sei es 70er-Mucke wie die „Stones“ oder 80er mit | |
| „Depeche Mode“, „Sisters of Mercy“ und so weiter. Und die jungen Leute | |
| wollen einfach mal sehen, wie das damals so war und warum diese Musik so | |
| viel interessanter ist als der meiste Kram heute. | |
| Alternative Musik gibt es aber schon noch. | |
| Aber nicht in so einer Mischung. Ein Club kann das heute nicht mehr | |
| bringen, so einen Mix hinzulegen aus Gothic, Metal, Funk and Soul - | |
| manchmal sogar mit Jazz-Einschlag. Das ging quer durch Szenen und | |
| Jahrzehnte. | |
| Also war das schon zu Lebzeiten ein Nostalgie-Projekt? | |
| Ja, der Hof hat sich in den 90ern eigentlich selbst wiederholt. Mehr Musik | |
| von 70er-Bands habe ich nirgendwo anders mehr aufgelegt. Das waren ja auch | |
| teilweise sperrige Nummern. „Gamma Ray“ von den Krautrockern „Birth | |
| Control“ - das geht fast zehn Minuten. Wenn das Stück anlief, wusste der | |
| Imbiss vorne schon Bescheid, dass Ansgar gleich Pommes bestellt. Das hab | |
| ich jeden Abend so gemacht - der Song hatte für mich eine Funktion. | |
| „Polizisten“ von „Extrabreit“ übrigens auch. | |
| Dabei schafft man aber keine Pommes. | |
| Nein, den haben wir aufgelegt, wenn die bekannten Zivilfahnder im Laden | |
| aufgetaucht sind. Der Hof war eben nicht nur wegen seiner extrem guten | |
| Soundanlage bekannt, sondern auch wegen den Drogengeschichten. Gott, was | |
| wurde in der Hütte gekifft … Wahrscheinlich war es deswegen auch immer so | |
| friedlich mit den Alternativen und Linken da. | |
| Ja war die Dorfdisco denn links? | |
| Der Hof auf jeden Fall, auch wenn Politik da so direkt keine Rolle gespielt | |
| hat. Aber wenns drauf ankam, war der Hof links. | |
| Was meinen Sie damit? | |
| Einmal sind da die Dorf-Faschos aus Diepholz aufgetaucht. Es war gerade elf | |
| Uhr und ich wollte so langsam mit dem Auflegen anfangen. Da meinten die | |
| Jungs vom Motorradklub: „Sofort Anti-Nazi-Mucke anmachen, Ansgar.“ Dann | |
| haben die eine von den Glatzen mit dem Kopf voran durch die Klotür | |
| geprügelt. Die ganze Aktion hat nur zwei oder drei Minuten gedauert und die | |
| Nazis haben es vorgezogen, sich zu verpissen. | |
| Friedlich bekifft klingt das aber nicht. | |
| Ach, das war wahrscheinlich die einzige Schlägerei in 20 Jahren. Der Wirt | |
| war dann auch richtig sauer, weil die Tür hin war. Aber die Aktion war | |
| einfach nur geil. | |
| Hören Sie die Musik von damals auch privat? | |
| Ich versuche schon immer wieder Neues zu entdecken. Gerade würde ich mich | |
| eigentlich gerne mit dieser neuen alternativen Musik anfreunden. Das hat ja | |
| alles einen tierischen Elektro-Einschlag bekommen. Ich muss aber ehrlich | |
| sagen, dass ich schon eher den alten Krempel höre - vor allem, wenn ich im | |
| Auto unterwegs bin. Ich hatte damals einfach riesiges Glück mit der Musik. | |
| Wieso Glück? | |
| Ich hab 88 angefangen aufzulegen. Und das waren saugute Jahre für einen | |
| alternativen DJ. Die Musik war grade richtig im Umbruch, weg von diesem | |
| ganzen Pop-Gedöns hin zu härteren Klängen: 88 kam Guns N Roses mit | |
| „Appetite for Destruction“ raus, 91 Nirvana mit „Nevermind“. Und dann �… | |
| against the Machine“ und so weiter. | |
| … Alben, die zehn Jahre später immer noch rauf und runter gelaufen sind. | |
| Das tun die doch heute noch! | |
| Aber warum hat dann ab 2000 eine Disco nach der anderen zugemacht? | |
| Das war eine komische Zeit. Das Internet kam immer mehr in die Hufe und die | |
| Leute sind zu Hause geblieben. Das Ausgehverhalten ist heute total anders. | |
| Discos sind weg und gleichzeitig wachsen die Festivals jedes Jahr - vor | |
| allem die großen wie Rock am Ring, Hurricane oder Wacken. | |
| Also: Früher war alles besser, oder? | |
| Nein, das ist ja alles nicht vorbei. Es wird nur diese coolen Clubs so | |
| nicht mehr geben. | |
| Sondern? | |
| Die Leute suchen sich Einzelveranstaltungen raus - Revival-Parties in der | |
| kalten Jahreszeit und im Sommer dann eben Festivals. Und weil man das nicht | |
| mehr jede Woche haben kann, macht man eben ein besonderes Event draus. Aber | |
| das geile Lebensgefühl von damals gibt es heute nicht mehr. | |
| Also doch. | |
| Naja, sagen wir mal: So ein Event, und sei es noch so geil, kann ja nicht | |
| alles abbilden, was man damals in Clubs wie dem Lindenhof erlebt hat. Weil | |
| das nie so intensiv sein kann. Lindenhof war ein Lebensgefühl. | |
| Weil es Alltag war? | |
| Man ist doch in den Laden reingekommen und wusste: Jetzt ist Wochenende. | |
| Hier gibt es den weltbesten Kaffee, auch wenn er nur aus diesem | |
| Vollautomaten kam. Das war ein zweites Wohnzimmer und so was kann ein | |
| Festival eben nicht bieten. | |
| 6 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
| ## TAGS | |
| Land | |
| Gothic | |
| Landleben | |
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