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# taz.de -- Legendäre Land-Disco: „Nicht im Ritz, bei Fritz!“
> Fritz Stagges „Stagge's Hotel“ in Osterholz-Scharmbeck war die erste
> Diskothek in der Gegend. Unser Autor hat die „Ära Stagge“ miterlebt.
Bild: Plattencover des Live-Mitschnitts von Lou Blackburns Ethno-Jazz-Gruppe �…
Berlin taz | „Zählten sie damals zu den Stammgästen der Disco im Stagge’s?
Besitzen Sie noch Bilder aus dieser Zeit? Erinnern Sie sich an besonders
kuriose oder bemerkenswerte Begebenheiten aus der Ära Fritz Stagge?“ Das
fragte 2015 der Osterholz-Scharmbecker Regisseur Stefan Malschowsky die
Leser des Bremer Weser-Kurier. Vier Jahre brauchte er angeblich, um den
Gründer der Discothek Fritz Stagge „zum Interview zu bewegen“ – für ein…
Film über ihn: sein „Leben und Werk“.
Gleich die erste Bemerkung über dieses „Werk“ machte mich stutzig: Es ist
da von seiner „Diskothek im Keller des elterlichen Hotels“ die Rede. Das
habe ich ganz anders in Erinnerung! Der Regisseur erklärte: „Fritz Stagge
personifiziert für mich den sprichwörtlichen ,kleinen Mann', der jedoch
nicht nur kulturell etwas bewegte, sondern darüber hinaus auch noch
Sozialarbeit leistete, wenn auch vielleicht eher unbewusst.“
Auch das habe ich anders in Erinnerung: Für mich personifizierte Fritz
Stagge eher den ‚großen Mann‘ – insofern er erfahrener war und Besitzer …
ersten richtigen Diskothek in der Gegend. Vorher gab es nur an den
Wochenenden in den Hochzeitssälen von Osterholz-Scharmbeck und Worpswede
nach dem Polka-Schwof der alten Disco-Musik für die Jungen.
Fritz Stagges Eltern besaßen ein altes Wirtshaus mit Hotel am Marktplatz,
er arbeitete in einer Lackfabrik in Ritterhude. Mitte der Sechzigerjahre
fing er an, den Dachboden des Hotels zu einer Diskothek auszubauen. Und
nicht den Keller – vielleicht kam das später, als ich schon lange wegen der
Bundeswehr in Westberlin lebte. Ich lernte Fritz Stagge jedenfalls auf dem
Dachboden kennen, da war die Theke schon so gut wie fertig.
Auf „teufelsmoor.eu“ heißt es: „Am 15. Februar 1964 fand bei Stagge’s …
erste ‚Plattenabend‘ und im Mai das erste Livekonzert statt.“ Die Disco
unterm Dach muss aber später angelaufen sein. Ich arbeitete damals bei der
US Air Force, die auf einem Truppenübungsplatz in der Garlstedter Heide
eine „Radio Relay Station“ betrieb – mit zehn Airmen, wovon einer
Unteroffizier war, die nächsten Offiziere saßen in Bremerhaven und kamen
nur alle paar Wochen kurz vorbei. Dann versteckten wir unsere
Frank-Zappa-Platten, weil sie verboten waren.
Laufend wurde einer aus der Gruppe nach Vietnam versetzt, dann gab es jedes
Mal eine Abschiedsparty auf der Station, zu der auch Deutsche aus den
umliegenden Dörfern und von Stagge’s kamen. Die Militäreinrichtung war Teil
eines US-Warnsystems rund um die Sowjetunion und bestand aus der
eigentlichen Radiostation und zwei Bungalows – einen zum Schlafen und einen
mit Kino, Billard, Bibliothek, Küche und Bar (die regelmäßig von Haake Beck
bestückt wurde).
Die Unteroffiziere waren durchweg Afroamerikaner. Sie hatten vorher
Elektronik studiert – und waren nun im Herzen mehr oder weniger Black
Panther. Bis auf eine Ausnahme waren sie alle musik- und tanzwütig und das
war auch der Grund, warum wir, (muss ich jetzt sagen, weil ich nie allein
bei Stagge’s war) dort aufkreuzten: Einer hatte erfahren, dass demnächst
eine „Disco in Osterholz-Scharmbeck“ aufmachen würde und weil er besonders
musikbesessen war, wollte er schon mal Plattenwünsche anmelden, Funk- und
Soul-Musik vor allem. Und Fritz Stagge war dann auch interessiert. Der
Sergeant fuhr als Einziger einen dicken Amischlitten.
## Genussvolles Schritttempo
Wenn Disco und Bar dichtmachten gegen Morgen, ließen sich damit die in den
Moordörfern vor Bremervörde wohnenden und vom Tanzen und Alkohol müden
Mädchen nach Hause bringen. Ich erinnere mich an eine Fahrt, die endlos
war, weil ein Hase die ganze Zeit vor dem Auto herlief und sich nicht aus
dem Scheinwerferkegel ins Dunkle traute. Der Sergeant war rücksichtsvoll,
aber er genoss auch das Schritttempo.
Aus der anderen Richtung – Worpswede, Fischerhude, Ottersberg – kamen viele
Mädchen, die dort irgendwas mit Kunst machten, u.a. als Lehrling einer
Goldschmiedin, Fotografin oder Töpferin, oder die als Schwesterschülerinnen
arbeiteten. Sie wohnten alle nicht mehr bei ihren Eltern und nahmen
erstmalig die Pille.
Einer der Sergeants mietete für 50 DM monatlich ein leeres Forsthaus ohne
Licht und Wasser auf halber Strecke nach Stagge’s. Der Anlass war jedoch
unangenehmer Art: Es waren zwei weiße Soldaten auf die Station versetzt
worden, sie kamen aus Texas, bezeichneten sich als „Deutsche“ und waren
Rassisten. Weil es früher oder später mit ihrem schwarzen Vorgesetzten zu
einem Zusammenstoß gekommen wäre, bei dem sie den Kürzeren gezogen hätten,
wollte er sich in den „Barracks“ rar machen. Mit den Deutschen in den
Dörfern und in der Disco gab es damals nie einen Konflikt, höchstens, dass
einer der Airmen, ein stämmiger Ire namens Dan, im Suff gelegentlich
verhaltensauffällig wurde.
Aber ich glaube, Fritz Stagge hatte das alles im Griff. Im Übrigen fuhren
wir, wenn bei ihm nichts mehr los war, auch gerne weiter – nach Bremen oder
Hamburg. Für die Amis gab es keine Alkoholkontrollen. Sie waren die Macht.
Die Air-Force-Station wurde jedoch in den Siebzigern geschlossen und die
Army rückte ein – in Kasernen, die die Bundesregierung ihnen auf dem
Garlstedter Truppenübungsplatz errichtet hatte. Für ihre zuletzt 4.000
Zivilisten und die Familien der Armeeangehörigen wurden zudem in
Osterholz-Scharmbeck Wohnungen und Sozialeinrichtungen gebaut, zwischen
beiden Orten verkehrten Armeebusse, auf denen „O-Beck“ stand. Schon bald
konnte man in vielen deutschen Geschäften mit Dollars zahlen und sagte auch
„O-Beck“.
Die Quantität und Qualität der dort stationierten Amisoldaten, deren
Division sich „Hell on Wheels“ nannte, führte jedoch dazu, dass es immer
wieder zu „Rangeleien“ kam, auch bei Stagge’s, wie ich Wikipedia entnehme.
Die Disco wurde irgendwann für die Soldaten verboten: „Off Limits“. Bei der
Army gab es eine Trennung in Schwarze und Weiße bei ihren Amüsierorten,
nicht zuletzt wegen ihrer unterschiedlichen Musikvorlieben.
Schon bald nach der Wiedervereinigung räumte die Army ihren Standort
Garlstedt. Die Kasernen, Schulen und Wohnhäuser übergab sie 1993 der
Bundeswehr, die daraus z.T. eine „Truppenschule für Logistik“ machte. Bei
Stagge’s kam die Musik der DJs langsam in ein immer unsichereres Trudeln.
2000 verkaufte Fritz den renovierungsbedürftigen Laden, da war er 56. „Das
große Herz muss Fritz Stagge schwer geworden sein“, schrieb einer seiner
DJs im Weser-Kurier 2010. „Jahrzehntelang hatte es selbstbewusst geklungen:
‚Wir sind nicht im Ritz, sondern bei Fritz‘.“
26 Dec 2018
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Land
Disco
Sexuelle Freiheit
Schwerpunkt 1968
Disco
Lesestück Recherche und Reportage
Clubkultur
Disco
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