# taz.de -- Mehr Kritik an geplantem Jugendheim in Bremen: Geschlossene Türen … | |
> Nicht nur pädagogische und rechtliche Argumente sprechen gegen ein | |
> geschlossenes Heim, sondern neuerdings auch noch unkalkulierbare | |
> Baukosten | |
Bild: Treffpunkt von Jugendlichen und StreetworkerInnen: Der Bremer Hauptbahnho… | |
Bremen taz | Es gibt erneut Kritik am geplanten geschlossen Jugendheim. Wie | |
nun bekannt wurde, ist das Gebäude, in dem die Unterbringung entstehen | |
soll, voller Asbest. Das seit zehn Jahren leer stehende ehemalige | |
JVA-Gebäude lässt sich nicht mal sprengen. Und ein Neubau an selber Stelle | |
ist noch komplizierter und kostspieliger als bisher angenommen – aufgrund | |
des sumpfigen Geländes. | |
Die Linken-Abgeordnete Sofia Leonidakis nannte das vom Senat im Blockland | |
geplante Heim deswegen „Millionengrab“. Matthias Güldner von den Grünen | |
sagte: „Das muss jetzt endgültig das Aus für die geschlossene Unterbringung | |
bedeuten.“ | |
Dem Senat gehen damit langsam die Argumente für das Heim aus. Zu den | |
ohnehin vielfach kolportierten inhaltlichen und pädagogischen Einwänden | |
kommen also noch bauliche und planerische Vorbehalte hinzu. | |
Warum hält der Senat weiter am geschlossenen Heim fest? Ein Grund dafür | |
dürfte die öffentliche Aufregung sein, die einher ging mit den Straftaten | |
einer oft straffällig gewordenen Gruppe unbegleiteter minderjähriger | |
Flüchtlinge. Der Senat wollte das Heim zusammen mit Hamburg finanzieren. | |
Neben 60 straffälligen Jugendlichen wollte auch Hamburg dort 30 | |
Minderjährige einsperren. Ein Betreiber ist bereits gefunden, der Ort für | |
die Einrichtung im Blockland auch. | |
Doch eine Fachtagung am Dienstag verfestigt weiter Zweifel an der | |
Sinnhaftigkeit des Heims. Zum Thema „Schwere Jungs oder Schwerfälligkeit | |
der Systeme?“ sprachen dort Streetworker, Jugendrichter und eine | |
Polizistin. Außerdem stellte Staatsrat Jan Fries (Grüne) den Maßnahmenplan | |
des Senats vor – geschlossenes Heim inklusive. | |
Etwas absurd war es dann schon: 120 erwachsene Menschen setzten sich | |
intensiv mit den Straftaten einiger Minderjähriger auseinander, die zum | |
Großteil im vergangenen Jahr stattfanden. „Die Lage hat sich beruhigt“, | |
sagte Ute Schwan von der Polizei Bremen. Es erreichen nur noch wenige | |
Flüchtlinge Bremen. Wenn überhaupt Minderjährige ohne Begleitung kommen, | |
verteilt Bremen sie um. Die meisten, die im Zentrum der Debatte standen, | |
sind zudem inzwischen volljährig. | |
Hinzu kommen rechtliche Bedenken: Jugendrichter Karl-Heinz Rogoll, der vor | |
einigen Monaten noch für eine geschlossene Unterbringung war, sagte in | |
seinem Vortrag, dass eine „geschlossene Unterbringung nicht notwendig ist. | |
Die rechtliche Lage ist deutlich schadstoffbelastet“. Haft dürfe im | |
Jugendstrafrecht nur als „Ultima Ratio“ eingesetzt werden – die geplanten | |
Ausbildungsmaßnahmen im geschlossenen Heim widersprächen diesem Gebot | |
jedoch. | |
Der Gesetzgeber sieht Erziehung in Freiheit, nicht in Haft vor. Laut Rogoll | |
gibt es zudem viele ungeklärte Fragen: „Wer soll eigentlich den | |
unmittelbaren Zwang einsetzen? Wer erstellt für eine Unterbringung | |
notwendige Gutachten?“ Außerdem zieht der Jugendrichter in Zweifel, dass | |
Einsperren hilft: „Wir brauchen Alternativen zur Haft, sonst bleiben | |
Jugendliche kriminell.“ | |
Der Erkenntnisgehalt der Vorträge war hoch: Die Streetworkerin Claudia | |
Fisbeck, die oft Kontakt zu den Minderjährigen am Hauptbahnhof hatte, | |
stellte einen typischen Lebenslauf eines straffälligen Jugendlichen mit | |
Fluchtgeschichte vor: Karim wurde mit zehn Jahren von seiner Mutter auf die | |
Straße geschickt, weil zu Hause, im Armenviertel Sidi Moumen von | |
Casablanca, kein Platz mehr war. Karim landete in einem Heim, dort | |
verprügelte und vergewaltigte man ihn. Fortan lebte er als Straßenkind, | |
nahm Drogen, klaute, raubte und floh letztlich. | |
Noch heute ist er gestört, kann ohne Gras nicht schlafen: Sein Körper ist | |
von 70 Narben übersät, sie stammen von Schnittwunden, die meisten davon | |
ritzte er selbst. Er lebte zwei Jahre in Spanien, floh über Belgien nach | |
Bremen. In Deutschland ist seine Geschichte von Hausverboten, ausgeübter | |
und erlittener Gewalt und Delinquenz geprägt. „Die sind alle irre“, sagt | |
Fisbeck, „was die brauchen, ist Betreuung und vor allem Aufmerksamkeit.“ | |
Die aufsuchende Sozialarbeiterin arbeitet bei der „Mobilen Betreuung“ | |
Bremen. Je mehr Betreuungsstunden ihr für Karim bewilligt wurden, desto | |
besser hielt er sich. Am besten ging es ihm, als er vorübergehend eine | |
eigene Wohnung in Gröpelingen hatte. Schulen nahmen ihn trotzdem nicht an. | |
„Weil er Marokkaner ist“, sagt Fisbeck. | |
Nicht so gut geht es Karim hingegen, wenn er das Beruhigungsmittel | |
Rivotril, ein Diacepam, nimmt. Dann ist er aggressiv und angsteinflößend. | |
Karims Lebenslauf steht für die Minderjährigen, deren Straftaten Bremens | |
Senat dazu veranlassten, über ein geschlossenes Heim überhaupt erst | |
nachzudenken. | |
Derzeit sitzt Karim wegen Raubs seit drei Monaten in U-Haft. Er ist | |
volljährig. In einem geschlossenen Heim wird er nicht mehr unterkommen. | |
6 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
## TAGS | |
geschlossene Heime | |
Jugendliche | |
Bremen | |
Straffällige Jugendliche | |
Schwerpunkt Haasenburg Heime | |
Minderjährige Geflüchtete | |
Bremen | |
geschlossene Heime | |
Geschlossene Unterbringung | |
Schwerpunkt Haasenburg Heime | |
Jugendheim Friesenhof | |
Minderjährige Geflüchtete | |
Hamburg | |
Olaf Scholz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jugendhilfe in Hamburg: Wegschließen ist out | |
Hamburg hat in drei Jahren nur eine Jugendliche im geschlossenem Heim | |
untergebracht. Doch in Langenhorn ist eine Clearing-Stelle geplant, die mit | |
Wachdienst arbeitet. | |
Minderjährige straffällige Flüchtlinge: Lieber mehr Videos | |
Rot-Grün beendet die Debatte um die geschlossene Unterbringung junger | |
Flüchtlinge – und setzt auf andere Law-and-Order-Maßnahmen. | |
Geschlossenes Heim in Bremen: Kein Heim für Flüchtlingskinder | |
Weil es kaum noch Bedarf gibt, hat sich nach den Grünen auch die SPD von | |
dem Heim verabschiedet. Nur noch die CDU ist für das Konzept. | |
Geschlossenes Heim noch offen: Sommerfestspiele um Jugendheim | |
Die geplante Einrichtung für jugendliche Straftäter im Bremer Blockland | |
bleibt umstritten. Ein Sozialdemokrat will sie kleiner, ein Ex-Staatsrat | |
der Grünen gar nicht | |
Kommentar von Kaija Kutter zum Heim-Konzept: Missbrauch Tür und Tor geöffnet | |
Das Vorhalten von Fesseln in einem Jugendheim stattet die Erzieher mit | |
einer zu hohen Machtposition aus. | |
Pläne zum Einsperren von Kindern: Nach Haasenburg kommt Phasen-Burg | |
Bremen legt ehrgeizigen Zeitplan für gemeinsames geschlossenes Heim mit | |
Hamburg vor: Im Herbst 2017 soll die „Burg“ auf altem Knastgelände gebaut | |
sein. Straßenkinder protestieren. | |
Strafen in den Friesenhof-Jugendheimen: „Wir wussten, dass das nicht richtig … | |
Eine Hamburgerin berichtet von Isolation und Strafen in einem | |
Friesenhof-Mädchenheim. Die Mädchen seien dort fixiert und entwürdigend | |
behandelt worden. | |
Heim für minderjährige Flüchtlinge: Wegsperren ist auch nicht so einfach | |
Der Petitionsausschuss der Bremischen Bürgerschaft berät über die Frage | |
einer geschlossenen Unterbringung für straffällige jugendliche Flüchtlinge. | |
Geschlossenes Heim im Norden: Das Ende der städtischen Idylle | |
Hamburg und Bremen fordern ein geschlossenes Heim für schwierige | |
jugendliche Flüchtlinge. Im Gegenzug sparen sie bei der ambulanten Hilfe. | |
Unterbringung von Jugendlichen: Die Heim-Kröte | |
Hamburg plant gemeinsam mit Bremen ein geschlossenes Heim für delinquente | |
Jugendliche. Die Grünen hoffen, es nicht zu brauchen. |