# taz.de -- Regierungsbildung in Spanien: Wenn Sozen kneifen | |
> Die Sozialisten unter Pedro Sánchez entscheiden sich in der | |
> Koalitionsfrage fürs Nichtstun – und damit für die Lähmung ihres Landes. | |
Bild: Angst vor der eigenen Courage: Pedro Sánchez, Parteichef der PSOE | |
„Wenn wir am 1. September immer noch keine Regierung haben, was angesichts | |
der Inkompetenz der Politiker wahrscheinlich ist, dann gehen um 12 Uhr alle | |
Spanier auf die Straße“, hieß es in einem wütenden Text, der mich heute auf | |
dem Handy erreichte. „Wir verlangen, dass die Abgeordneten ihre Diäten | |
nicht mehr bekommen, weil sie einfach nichts tun.“ | |
Natürlich hat Spanien immer noch keine neue Regierung, und es wäre eine | |
Sensation, wenn der Konservative Mariano Rajoy am heutigen Freitag im | |
zweiten Wahlgang noch eine Mehrheit fände. Demonstriert hat trotzdem | |
niemand, es blieb bei der Ankündigung. Denn die Spanier wollen zwar eine | |
Regierung, aber dafür müssten sie Kompromisse akzeptieren, und zwar über | |
die ideologischen Schützengräben hinweg. | |
Das ist auch das Problem der spanischen Sozialisten. Die Sozialistische | |
Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) hätte den Schlüssel zur neuen | |
Regierungsmehrheit in der Hand – und hätte dafür viel verlangen können: | |
eine Verfassungsreform etwa, die aus Spanien einen echten Föderalstaat | |
machen könnte. | |
Oder die Rücknahme mehrerer skandalöser Gesetze, die der Partido Popular | |
(PP) mit seiner absoluten Mehrheit 2011 bis 2015 durchgepeitscht hat: den | |
Maulkorberlass etwa, der Kundgebungen und Berichte über Polizeiübergriffe | |
verhindern soll. Die Sozialisten könnten die Konservativen zu einer | |
Bildungsreform zwingen oder das Rentensystem sichern. Sie könnten eine | |
Steuerreform durchsetzen, die Lasten der Krise gerechter verteilen… | |
## Die PP zu korrupt, Podemos zu unberechenbar | |
Doch dafür müssten sie eine Kröte schlucken und Rajoys Wahl zum | |
Ministerpräsidenten per Stimmenthaltung ermöglichen. Darauf haben sie | |
verzichtet – aus Angst vor ihren Wählern. Denn Podemos hätte wieder die | |
Konspirationstrommel gerührt: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten.“ | |
Podemos will die PSOE in ihrer Rolle als große sozialdemokratische Kraft | |
ablösen – so wie Syriza in Griechenland die Pasok. | |
Für Podemos als Weggefährten wollten sich die Sozialisten schon gar nicht | |
entscheiden. Eine solche Regierungsmehrheit wäre nur zusammen mit | |
Nationalisten und Separatisten aus den Regionen möglich gewesen. Der | |
ehemalige sozialistische Generalsekretär Alfredo Rubalcaba nannte eine | |
solche Koalition „Regierung Frankenstein“. Die Bedingungen aus den Regionen | |
waren klar: Unabhängigkeitsreferenden überall dort, wo sie eine breite | |
Masse fordert. Völlig unklar ist zudem, welche Haushaltspolitik mit Podemos | |
möglich wäre. Im Wahlkampf forderte die Formation von Pablo Iglesias einen | |
Ausgabenzuwachs von 60 Milliarden Euro. | |
Aus Angst vor der eigenen Courage hat Parteichef Pedro Sánchez jetzt gar | |
keine Entscheidung getroffen. Stattdessen sollen die Spanier im Dezember | |
ein drittes Mal wählen, vermutlich mit ähnlichem Ergebnis wie bei den | |
letzten beiden Versuchen. Für das Land ist das eine Katastrophe, in den | |
Ministerien werden nicht einmal mehr Ausführungsbestimmungen unterzeichnet, | |
geschweige denn öffentliche Aufträge. So wie Spanien 2012 unter den | |
Schulden und den Sparmaßnahmen ächzte, lähmt heute der politische | |
Stillstand das Land. | |
Spaniens Sozialisten hatten die Wahl: Mit einer für sie riskanten Option | |
hätten sie dem Land neue Wahlen erspart und viel von dem Flurschaden der | |
letzten konservativen Jahre bereinigen können. Oder sie hätten mit einem | |
nicht weniger riskanten Manöver ihre linke Identität bewahrt. Doch sie | |
haben sich für das Nichts entschieden, in der Hoffnung, so mit einem blauen | |
Auge davonzukommen. Das Nachsehen hat Spanien. | |
1 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Hans-Günter Kellner | |
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