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# taz.de -- Debatte Verbot der Vollverschleierung: Autoritär, aber richtig
> Die Innenminister der Union wollen ein Teilverbot der Vollverschleierung.
> Richtig so. Ein solch eindeutiges Symbol erfordert eine klare Reaktion.
Bild: Selten, aber symbolhaft: eine Frau mit Niqab in Offenbach am Main
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und seine Unionskollegen aus
den Ländern wollen muslimischen Frauen eine [1][Vollverschleierung in
Teilen der Öffentlichkeit verbieten]: am Steuer, bei Behördengängen, in
Schulen und Universitäten, im öffentlichen Dienst und vor Gericht.
Das ist gut so und eine neue Etappe im ewigen Streit ums Tuch. Jetzt geht
es ums Ganze, um die Burka beziehungsweise den schwarzen Niqab, dieses
Ganzkörper-Kondom für Frauen als Schutz gegen Blicke – heiß und stickig mit
eingeschränktem Blickfeld auf die Welt.
Außer bei einigen reichen Golfstaatlerinnen beim Shopping in München und
Frankfurt war dieses komplette patriarchalische System in Deutschland
bislang kaum anzutreffen. Mit der verstärkten Zuwanderung ist der Niqab
allerdings von den Luxusetagen der Hotels – wenn auch sehr vereinzelt – ins
normale Leben gerückt.
Die Franzosen haben die Vollverschleierung bereits verbannt. Mit ihren
Verboten sind sie schon immer erfrischend klar gewesen. Auch damals beim
Kopftuchstreit: weder Kopftuch noch Kreuz oder Kippa in französischen
Schulen. Das ist konsequent und der aufklärerischen Tradition Frankreichs,
der Trennung von Kirche und Staat, verpflichtet.
Aber auch in Belgien und einem Teil der Schweiz ist die Vollverschleierung
in der Öffentlichkeit bereits verboten. In Deutschland wird darüber
diskutiert. Vehement und auf den Titelseiten. Namhafte Frauen sprechen sich
für ein Niqab-Verbot in der Öffentlichkeit aus, andere dagegen. Letztlich
werden die immergleichen Argumente ausgetauscht: gegen das reaktionäre,
frauenverachtende Stück Stoff, hinter dem der Fanatismus lauert – oder für
das Recht, anzuziehen was frau will, für Toleranz und Gelassenheit.
In Zeiten von durchgeknallten IS-Trittbrettfahrern und der Angst vor dem
fanatischen Islam ist der Niqab nicht nur zum hässlichen Symbol der
unterdrückten Frau geworden. Sie ist auch wandelnder Ausdruck fanatischer
Selbstherrlichkeit und ein beargwöhntes Kostüm, unter dem terroristische
Sprengsätze aufs Prächtigste versteckt werden könnten. Der Niqab ist
plötzlich Thema, er ist uns nahegerückt.
## Ein Kampf um die kulturelle Hegemonie
Für Frauen in der arabischen Welt ist der Niqab schon lange ein Problem.
Hatten die arabischen Diktatoren das Religiöse zurückgedrängt, fordern nun
in Ländern des Arabischen Frühlings mit seinen neuen Freiheiten auch die
Religiösen ihre Rechte und Macht ein. Der Kulturkampf zwischen
säkular-demokratischen und autoritär-religiösen Kräften tobt. Der Schleier
erobert wieder verstärkt den öffentlichen Raum von Kairo bis Tunis.
Aber auch der Niqab – bislang als rückständiges Kleidungsstück aus den
hinterwäldlerischen Golfstaaten verschrien – ist in viele arabische Staaten
eingewandert und beispielsweise in den Straßen von Tunis anzutreffen. Der
wahhabitische Islam hat sich dort im Schatten der an der Regierung
beteiligten islamistischen Partei Ennadha mit Geld und Engagement Einfluss
verschafft.
Wenn eine modebewusste Tunesierin an der Ampel die Fensterscheibe
herunterkurbelt, um einer bis zur Nasenspitze schwarz Verhüllten zuzurufen,
ob sie sich nicht schäme, wie ein Monster durch die Straßen von Tunis zu
laufen, dann ist das ihr persönlicher Kampf, ihre persönliche Empörung. Aus
Selbstschutz. Dahinter steckt die konkrete Angst, unter den Schleier – oder
noch schlimmer: das Monsterkostüm – verbannt zu werden.
Abwegig ist diese Angst nicht, trauen sich doch Männer auf den Straßen von
Tunis, Frauen zurechtzuweisen, die manikürte Fußnägel und offene Sandalen
tragen: „Bedecke deine Füße“. Die meisten tunesischen Frauen, das kann man
getrost behaupten, würden ein Niqab-Verbot in ihrem Land begrüßen.
Heftige Abwehr, Hass und andere Emotionen erzeugt der Niqab dort, wo er als
real existierende Bedrohung empfunden wird. In Tunis und anderswo in der
arabischen Welt geht es um die kulturelle Hegemonie. Und Frauen sind die
eindeutigen Verlierer, wenn sie unterm Kopftuch oder dem Niqab
verschwinden, wenn sie als komplementär und nicht gleichwertig zum Mann
definiert werden, wie es die Religiösen bei der Ausarbeitung einer neuen
tunesischen Verfassung versuchten. Die Angst vor der kulturellen Hegemonie
der fanatischen Religiösen ist begründet.
## Auch Nazi-Symbole sind verboten
Von der kulturellen Hegemonie fanatischer Islamisten sind wir hierzulande
weit entfernt. Toleranz gegenüber Religionen, Kleidung, sexuellen Vorlieben
entspricht unserem kulturellen Selbstverständnis. Wir können uns diese
Toleranz leisten. Auch der Niqab, ein Nebenaspekt der Zuwanderung, ist weit
davon entfernt, ein Problem zu sein, er bedroht hierzulande niemanden, noch
ist er auf dem Vormarsch. Um so erstaunlicher die Aufregung, aber auch die
Vehemenz, mit der um ein Verbot im öffentlichen Raum gerungen wird.
Julia Klöckner, die Vize-Vorsitzende der CDU, will einen Niqab-Bann in der
Bundesrepublik aussprechen, als Reaktion auf das „abwertende Frauenbild“,
das sich dahinter verbirgt. Auch die Kanzlerin hat für ein Teilverbot in
öffentlichen Institutionen plädiert. Damit würde sie auch die
zahlungskräftige Touristenklientel aus Saudi-Arabien und anderen
Golfstaaten verschonen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte [2][hat das
Vollverschleiherungs-Verbot in Frankreich unterstützt]. Die Richter sahen
darin „eine Barriere gegenüber anderen“, die das „Konzept des
‚Zusammenlebens‘ unterminieren könnte“. Gesicht zeigen und sichtbar sein,
das ist ein kulturelles Statement der Richter. Das Niqab-Verbot zwingt
Frauen aus dem schwarzen Gefängnis. Für viele ist das eine Befreiung aus
dem Kleidergrab. Und das Verbot kann Frauen schützen vor der Abwehr, dem
unterschwelligen Hass, den dieses Kleidungsstück hier hervorruft.
Ein Niqab-Verbot ist zweifellos so autoritär wie der Zwang, die
Verschleierung zu tragen. Aber das ist gut so. Waffengleichheit. Ein
Teilverbot auch in Deutschland wäre eine eindeutige Reaktion auf ein
eindeutiges Symbol: das Symbol fanatischer Islamisten. Es steht für
Behinderung und Benachteiligung von Frauen.
Mit Verboten werden auch nationalsozialistische Symbole aus der
Öffentlichkeit verbannt. Ein Teilverbot des Niqabs wäre eine politische
Kampfansage und eine klare Haltung in der Frage, welche kulturellen
Praktiken wir ablehnen.
19 Aug 2016
## LINKS
[1] /Berliner-Erklaerung-der-Union/!5332152/
[2] /Urteil-des-Menschenrechtsgerichtshofs/!5038738/
## AUTOREN
Edith Kresta
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