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# taz.de -- Die Wahrheit: Burkas, Äpfel und Birnen
> Verbote von außen führen bei Menschen, die Religion für sich als relevant
> betrachten, zu einer Binnensolidarisierung.
Bild: Russland rüstet gerade massiv auf – hält aber die pazifistischen Zeug…
Um das gleich am Anfang zu klären: Selbstverständlich kann man Birnen und
Äpfel miteinander vergleichen. Vergleiche haben nämlich überhaupt erst dann
einen Sinn, wenn die Dinge, die man vergleicht, nicht gleich sind. Man
schaut hin und her, um festzustellen, worin sie sich voneinander
unterscheiden und worin sie sich eventuell doch ähneln.
So, nun zu Burka, Niqab, Kopftuch, Kippa, Kreuzen an der Wand, Vorhäuten,
Nonnenschleiern, dem Verbot, Schweine, Rinder oder Blutwurst zu essen oder
mit Menschen des gleichen Geschlechts zu pimpern: Religionen haben
Vorschriften. Manche dieser Vorschriften stehen in den heiligen Büchern und
hatten zu ihrer Entstehungszeit mal einen praktischen Sinn, manche wurden
später von übergriffigen alten Männern aus Langeweile und Herrschsucht
erfunden. Wie auch immer: Solange man nicht nachweisen kann, dass die
Anhänger der jeweiligen Religion mit Gewalt dazu gezwungen werden, diese
Gebote einzuhalten, muss man respektieren, dass Menschen sie für sich als
relevant betrachten.
Der wichtigste Grund hierfür ist: Verbote von außen führen zu einer
Binnensolidarisierung. Ich weiß, wovon ich rede. Ich gehörte als Kind zu
den Zeugen Jehovas, wurde also christlich-fundamentalistisch erzogen. Das
bedeutete unter anderem, dass ich in den siebziger Jahren – während alle um
mich herum eine Kinderversion von Woodstock zelebrierten – ästhetisch und
moralisch in der Nachkriegszeit gefangen gehalten wurde. Alle Jungs trugen
Haare, wenn schon nicht bis zum Arsch so doch immerhin bis auf den
Hemdkragen, ich aber musste mir alle drei Wochen beim Friseur einen
Kurzhaarschnitt verpassen lassen.
Jeans waren tabu, stattdessen gab es beige „Stoffhosen“. Mädchen trugen
Rock. Knielang. Für die „Versammlung“ wurde ich mit Schlips und Anzug fein
gemacht. Als Zehnjähriger. Ich durfte keinen Geburtstag feiern, keine
Popmusik hören, nicht in den Sportverein, und für den Fall, das ich einen
Unfall hatte, trug ich ein Kärtchen bei mir, auf dem stand, dass ich auch
bei Lebensgefahr keine Bluttransfusion bekommen dürfe. Unterschrieben von
meiner Mutter.
Klar war: Obwohl ich mich selbst oft unwohl fühlte, glaubte ich, dass es
richtig sei, so zu leben. Weil es Gottes Wille war. Und weil die Menschen,
die ich liebte, auch so lebten. Hätte irgendwer zu irgendeinem Zeitpunkt
beschlossen, man müsse mich zwingen, Jeans zu tragen oder mir die Haare
wachsen zu lassen, ich hätte mich gewehrt. Fromme Menschen geben keinem
äußeren Druck nach. Zeugen Jehovas haben sich von den Nazis in
Konzentrationslagern umbringen lassen, und bis heute gehen sie andernorts
in den Knast, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen. Das kann man
bewundern oder lächerlich finden, ändern kann man es nicht.
Ja sicher, die Äpfel und die Birnen, aber wie heißt es so schön im
Einheitsfrontlied: „Es kann die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk
der Arbeiter sein.“
31 Aug 2016
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Burka
Verbot
Religion
Zeugen Jehovas
Schwerpunkt AfD
Burka
Einkaufen
Bautzen
Burka
Amoklauf
Schwerpunkt Flucht
Bob Dylan
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