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# taz.de -- Die Wahrheit: Unabhängige Slapstickverfolgung
> Augen auf beim anlasslosen Schlendern durch die gentrifizierte Warenwelt.
> Denn schnell hat man einen misstrauischen Begleiter an der Seite.
Bei einem beruflichen Hamburg-Besuch musste ich überraschend dreißig
Minuten überbrücken und wusste nicht, wohin mit mir: Kaffee hatte ich
getrunken, satt war ich auch, es regnete … Aber gab mir diese leichte
Unbill wirklich die Legitimation, den plötzlich vor mir auftauchenden
Manufactum-Laden zu betreten?
Ich googelte, ob Dr. Dr. Rainer Erlinger sich schon einmal in seiner
SZ-Magazin-Kolumne „Die Gewissensfrage“ zu diesem Thema geäußert hatte.
Offensichtlich nicht. SZ-Leser stellten ihm zwar Fragen wie: „Sollte man
eine Tomatenpflanze nach der Ernte weiter pflegen, auch wenn man weiß, dass
sie den Winter nicht überleben wird?“ (Heft 36/2014).
Oder: „Darf man beim Gassigehen mit dem Handy telefonieren oder sollte man
seinem Hund stets die volle Aufmerksamkeit schenken?“ (Heft 20/2014). Aber
keiner fragte, ob man aus Langeweile die Kontrolle über sich verlieren
durfte.
Egal, ich betrat den Laden. Sofort hefteten sich zwei Verkäufer-Augenpaare
auf mich. Ich kam mir vor, als schlenderte ich mit einem toten Schwein über
der Schulter in ein veganes Restaurant. Nicht dass ich sonderlich auffällig
wäre, aber hier reichte es wohl, leicht kanakoid auszusehen und ein paar
Goldringe im Ohr zu haben, um zum „talk of the shop“ zu werden. Erschwerend
kam sicher hinzu, dass ich keine Barbour-Jacke trug.
Ich flanierte umher, nahm hier einen „Amish Handquirl“, dort einen „Mühle
Rasierhobel“ in die Hand – da bemerkte ich, wie mich einer der Verkäufer
verfolgte. Im Vierfünfmeterabstand. Blieb ich stehen, blieb er stehen. Ging
ich weiter, ging auch er weiter. Schaute ich ihn an, schaute er ruckartig
weg und ordnete konzentriert die vor ihm stehenden Waren. Wäre er im
nächsten Moment als Litfaßsäule verkleidet zu Ragtime-Musik hinter mir her
getippelt – es hätte mich nicht überrascht.
Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich Ähnliches schon erlebt hatte,
vor zwanzig Jahren, ebenfalls in Hamburg. Ein Freund empfahl mir damals,
ich solle mir doch das Hamburger Literaturhaus ansehen. Dort gäbe es einen
hübschen Buchladen. Also ging ich ins Literaturhaus. Nachdem ich eine
Viertelstunde das Angebot sondiert hatte, kam der Buchhändler auf mich zu
und sagte: „Wir legen keinen Wert auf Stöberer! Verlassen Sie sofort meinen
Laden!“
Ansatzlos begann er mich in Richtung Ausgang zu drängen, in einer Mischung
aus Aggression und Buxevoll. „Bitte gehen Sie! Bitte gehen Sie!“ Er
schubste mich mehrmals leicht. Als ich ihm sagte, er solle mich nicht
anfassen, schrie er hysterisch: „Wenn Sie mich schlagen, hole ich die
Polizei!“ Schließlich schaffte er es, mich aus der Tür zu drängen. Verwirrt
stand ich draußen auf der Treppe und kam mir irgendwie gefickt vor.
Jahre hatte ich nicht daran gedacht. Im Manufactum-Laden erinnerte ich mich
an das kurios-eklige Gefühl. Also stellte ich den „Gutenberg Gummierstift“
zurück und nickte meinem Schatten aufmunternd zu. Er zuckte nur leicht.
Dann verließ ich das Geschäft.
26 Oct 2016
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Einkaufen
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Schwerpunkt AfD
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Bob Dylan
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