# taz.de -- Film über das post-francistische Spanien: Halluzination mit Vögeln | |
> Sehr gutes Gespür für Geschichten und ihre Settings: „La isla mínima“ … | |
> Alberto Rodríguez erzählt auch von der Zeit nach der Diktatur. | |
Bild: Zwei Polizisten bei ihrer Mord-Ermittlung | |
Spanien, September 1980, fünf Jahre nach Francos Tod: Nach einer Autofahrt, | |
die sich durch eine Panne in die Nacht hineingezogen hat, kommen die | |
Polizisten Pedro Suárez und Juan Robles in einem Hotel in einer Kleinstadt | |
inmitten der Marschlandschaft des Guadalquivir an. Als der aus Madrid | |
strafversetzte Pedro Suárez das Zimmer in Augenschein nimmt, fällt ihm als | |
Erstes ein Kruzifix auf. Das Kreuz ist umgeben von der Vierfaltigkeit des | |
europäischen Faschismus: Hitler, Mussolini, Franco und Salazar. Lakonisch | |
erwidert sein Kollege Robles: „Dein neues Land.“ | |
Die beiden Polizisten sollen das Verschwinden von zwei jungen Schwestern | |
aufklären. Wenig später werden die Leichen gefunden, mit deutlichen Spuren | |
von Folterungen. In kritischer Distanz zur Guardia Civil, die eine der | |
tragenden Säulen des Franco-Regimes war, beginnen die beiden Polizisten zu | |
ermitteln. | |
„La isla mínima – Mörderland“ von Alberto Rodríguez ist durchwoben von… | |
Auseinandersetzung mit dem Franquismus. Der ältere Polizist, Juan Robles, | |
führt seine Verhöre am liebsten unterstützt durch Handgreiflichkeiten. | |
Pedro Suárez, der im Spanien nach Franco Karriere zu machen beabsichtigt, | |
wird mit der Vergangenheit seines Kollegen in der politischen Polizei | |
konfrontiert. | |
Es gelingt Rodríguez beeindruckend holperfrei, die verschiedenen Elemente | |
zu einem gradlinig erzählten Thriller mit zeithistorischen Untertönen zu | |
verbinden. In visueller Hinsicht ist der Film leider nicht ganz so | |
gradlinig. Mit der erkennbaren Absicht, den Film visuell aufzuwerten, | |
flicht Rodríguez von Zeit zu Zeit stark ästhetisierende Luftaufnahmen in | |
den Film ein – ohne dass diese einen strukturellen oder narrativen Mehrwert | |
brächten. Ähnlich überflüssig sind zwei halluzinatorische Sequenzen, in | |
denen Juan Robles auf Vögel trifft. | |
## Firlefanz kompromittiert den Kern nicht | |
Rodríguez hätte gut daran getan, die gradlinige Erzählung mit Bildern von | |
ähnlicher Konsequenz zu verbinden. Die Stärke von „La isla mínima“ zeigt | |
sich aber darin, dass der Firlefanz den Kern des Film nicht kompromittiert. | |
Die Bilder der Polizisten, einsam im Auto inmitten eines Kornfeldes, eine | |
nächtliche Verfolgungsjagd am Rande eines Flussarms, vor allem aber die | |
gekonnt beiläufige Skizzierung der Lebensumstände der Bewohner der | |
Kleinstadt tragen den Film. Das Setting in einem der fragilsten | |
historischen Momente in der jüngeren spanischen Geschichte und die Figur | |
des Juan Robles als charmanter Polizist (überaus loyal gegenüber seinen | |
Kollegen, mit einem Schlag bei den Frauen der Kleinstadt) verleiht dem Film | |
die nötige Binnenspannung. | |
Die Geschichte Spaniens in der Transitionszeit nach Franco beschäftigt | |
Alberto Rodríguez weiter: Im September startet sein neuester Film, „El | |
hombre de las mil caras“ (Der Mann mit den tausend Gesichtern), in Spanien | |
in den Kinos. Die Handlung des Film kreist um Spaniens wohl bekanntesten | |
Geheimagenten, Francisco Paesa, und dessen Rolle bei der Vereitelung der | |
Flucht des ehemaligen Direktors der Guardia Civil, Luis Roldán. | |
Nicht leicht zu entscheiden, ob diese Aufmerksamkeit für den schwierigen | |
Übergang in die heutige Demokratie in Spanien durch die aktuelle Politik in | |
Spanien inspiriert ist oder ob Rodríguez einfach nur ein sehr gutes Gespür | |
für Geschichten und ihre Settings hat. Jedenfalls zeigt er (ebenso wie sein | |
französischer Kollege Alain Tasma), dass es Filmen zur Zeitgeschichte | |
durchaus guttut, wenn ihre Figuren nicht bloß Funktionen sind. Das ist | |
vielleicht die größte Stärke von „La isla mínima“, dass der Film über | |
seinen Hintergrund nie seine komplexe Handlung vernachlässigt. | |
„La isla mínima – Mörderland“. Regie: Alberto Rodríguez. Mit Javier | |
Gutiérrez, Raúl Arévalo u. a. Spanien 2014, 104 Min. | |
7 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
Spanien | |
Franco | |
Diktatur | |
Historienfilm | |
Spanien | |
Real Madrid | |
Spanien | |
Franco | |
Spielfilm | |
Drama | |
Kino Polen | |
Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil über Straßennamen in Madrid: Faschistentruppe als Namensgeber | |
Eine Straße in Madrid bleibt weiterhin einer rechten Miliz gewidmet. Die | |
Angehörigen der Division hatten gegen eine Namensänderung geklagt. | |
Kolumne Press-Schlag: Weg mit dem Kreuz! | |
Real Madrid verzichtet im Teamlogo auf ein christliches Symbol. Das ist zu | |
begrüßen, denn mancherorts steht es vor allem für eins: Unterdrückung. | |
Exhumierung von spanischen Putschisten: Späte Gerechtigkeit | |
In Pamplona werden Emilio Mola und José Sanjurjo nicht mehr geehrt. Ihre | |
sterblichen Überreste wurden aus dem Mausoleum entfernt – die Rechte ist | |
empört. | |
Autor über den Spanischen Bürgerkrieg: „Ein außergewöhnlicher Moment“ | |
Vor 80 Jahren erlebte Spanien ein anarchistisches Experiment, das von | |
rechten Putschisten beendet wurde. Autor Heleno Saña erinnert sich. | |
Antikomödie „Entertainment“ im Kino: Auf Distanz zu den Menschen | |
Witze, nicht zum Lachen: Rick Alverson wirft in seinem Spielfilm | |
„Entertainment“ einen nihilistischen Blick auf die Unterhaltungsbranche der | |
USA. | |
Neuer Film von Pedro Almodóvar: Aus den Bildern atmet etwas Gutes | |
Buntes Geschirr und bemalte Fliesen: „Julieta“ von Pedro Almodóvar zeigt | |
eine verlassene Mutter in einer atmosphärischen Welt. | |
Polnisches Kino: History-Horror aus der Grube | |
In „Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen“ erzählt der Regisseur Marcin Wrona | |
klug und witzig von Gespenstern der Vergangenheit. | |
„Bella e perduta“ im Kino: Szenen tierischen Miteinanders | |
Im halbdokumentarischen Spielfilm „Bella e perduta – Eine Reise durch | |
Italien“ wird ein Büffel zur Allegorie auf das Italien von heute. |