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# taz.de -- Antisemitismus-Streit in BaWü: Das wahre Gesicht der AfD
> Die Entscheidung über Gedeons Verbleib schwächt AfD-Chef Jörg Meuthen –
> seine Co-Chefin und Rivalin Frauke Petry dürfte das freuen.
Bild: Da packste dir annen Kopf: Wolfgang Gedeon hält das Leugnen des Holocaus…
Stuttgart/Berlin taz | „Ich gehe immer durch die Mitte“, sagt Jörg Meuthen
und bahnt sich den Weg durch die Kamerateams. Mann der Mitte, so stellt
sich der Chef der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg, der auch Vorsitzender
der Bundespartei ist, gern öffentlich dar. Tatsächlich jedoch fügt er sich
an diesem Dienstag ein weiteres Mal den extremen Kräften in der Partei. Er
hatte sein ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen: Wenn der Abgeordnete
Wolfgang Gedeon die Fraktion nicht verlasse, werde er gehen, hatte Meuthen
gedroht.
Antisemitismus habe in der AfD keinen Platz. Zuvor war bekannt geworden,
dass sich Gedeon dezidiert antisemitisch geäußert hatte. Allein: Die für
einen Ausschluss notwendige Zweidrittelmehrheit der Fraktion bekommt
Meuthen nicht zusammen.
Was er dann nach der vierstündigen Fraktionssitzung präsentiert, ist ein
windelweicher Kompromiss. Gedeon lässt seine Fraktionsmitgliedschaft ruhen,
nimmt weder an Fraktionssitzungen noch an parlamentarischen Ausschüssen
teil – bis September. In dieser Zeit solle, so Meuthen, eine unabhängige
Kommission prüfen, ob die Bücher Gedeons antisemitisches Gedankengut
enthalten. Darauf habe sich die Fraktion geeinigt. Sein Rücktritt ist damit
erst einmal vom Tisch.
Er sei weiter der Meinung, sagt Meuthen, dass Gedeon „glasklare
antisemitische Positionen“ vertritt. „Ich würde mich wundern, wenn ich von
der Kommission eines Besseren belehrt würde.“ Dennoch lässt er sich auf
diesen Deal ein – um die Spaltung der Fraktion, die er erst im März mit 15
Prozent in den Landtag geführt hat, zu verhindern. Was die Entscheidung für
Meuthen noch bitterer macht: Der Kompromissvorschlag stammt von Gedeon
selbst. Dieser ist es auch, der zuerst der Presse das Ergebnis der Sitzung
verkündet. Und noch einmal bekräftigt: „Ich bin kein Antisemit“. Dann wird
der 76-Jährige von Parteifreunden ins Fraktionszimmer gezogen.
Doch welcher seriöse Wissenschaftler soll sich für eine solche Kommission
hergeben? Das weiß Meuthen noch nicht. Nur so viel: Mindestens ein
Kommissionsmitglied solle jüdischen Glaubens sein.
## Gedeons „innerer Feind“
„Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der
innere Feind des christlichen Abendlandes“, so schreibt es Gedeon in einem
seiner Bücher. Er beruft sich auf die klar antisemitische
Propaganda-Schrift die „Protokolle der Weisen von Zion“ und findet, dass
der Holocaust in Deutschland zu einer „Ersatzreligion“ geworden sei.
Die Fraktion sei einstimmig der Meinung, dass Antisemitismus bei der AfD
nichts zu suchen habe, sagt Meuthen auch. Doch was ist diese Einigkeit
wert, wenn sie Antisemitismus nicht als solchen benennt, selbst wenn er
klar zu Tage tritt? Für Meuthen ist das ein bitterer Tag.
AfD-Parteichefin Frauke Petry dagegen dürfte sich freuen. Dass ihr Co-Chef
Meuthen seine Landtagsfraktion nicht hinter sich bringen kann, schwächt
diesen auch auf Bundesebene – und stärkt im Gegenzug ihre Position. Die
beiden, die seit dem Abgang von Bernd Lucke im vergangenen Sommer die
Partei gemeinsam führen, ziehen schon lange nicht mehr an einem Strang. Im
Gegenteil: Inzwischen misstrauen sie sich zutiefst – und arbeiten
gegeneinander. Während Meuthen im Bundesvorstand bislang zunehmend an
Einfluss und Unterstützung gewonnen hat, ist Petry dort weitgehend
isoliert. Die Vorwürfe: zu viel Machtbewusstsein, Intrigen – und abstimmen
würde sie sich ohnehin nur noch mit ihrem Lebensgefährten, NRW-Landeschef
Marcus Pretzell. In den vergangenen Tagen spitzte sich der Konflikt noch
einmal massiv zu.
## Ein Hintergrundgespräch
Am Mittwoch hatte sich Meuthen gemeinsam mit Parteivize Alexander Gauland
und Thüringens Fraktionschef Björn Höcke in Berlin mit einem Dutzend
Journalisten zum Hintergrundgespräch getroffen, die taz war nicht
eingeladen. Das Ziel der drei Männer: Argumente zu verbreiten, warum Petry
als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl – zumindest alleine – nicht
geeignet sei. Schon länger ist eine Annäherung der drei zu beobachten,
zuletzt traten sie beim Kyffhäusertag der AfD-Rechten gemeinsam auf. Sie
verkörpern das gesamte Spektrum der Partei: Meuthen,
Volkswirtschaftsprofessor und früherer Lucke-Mann, gilt noch immer als
wirtschaftsliberales Aushängeschild, Höcke steht für das völkisch-nationale
Ende der Partei, das mit der neuen Rechten gemeinsame Sache macht, und
Gauland irgendwo dazwischen. Das Hintergrundgespräch darf als Putschversuch
gegen Petry gewertet werden.
Allein: Durchgezogen haben ihn die drei Männer nicht. Obwohl zugesagt,
gaben sie – wie Teilnehmer berichten – später keine Zitate frei. Was als
Erzählung bleibt: Zum echten Aufstand reicht der Mut der drei offenbar
nicht.
## Keine Frau in Sicht
Vielleicht wissen sie trotz aller Vorbehalte, dass die AfD auf Petry, den
bekanntesten Kopf der Partei, bei der Bundestagswahl nicht verzichten kann.
Zumal eine andere Frau, die Petrys Rolle übernehmen könnte, nicht in Sicht
ist. Die neoliberale Alice Weidel, von Meuthen ins Spiel gebracht, hat
bereits abgewinkt. Fraglich ist auch, ob die AfD-Basis bereit wäre, mit
einer offen lesbisch lebenden Frau an der Spitze in den Bundestagswahlkampf
zu ziehen.
Petry, die sonst gerne schnell zurückschießt, äußerte sich klugerweise zu
all dem nicht. Demontiert hatten sich die drei Männer schließlich schon
alleine. Am Sonntag aber keilte sie mit einem Brief an die AfD-Mitglieder
via Facebook gegen Meuthen. Sie warf ihrem Co-Chef die Spaltung seiner
Landtagsfraktion vor. Weil dieser in der „Causa Gedeon“ öffentlich mit
seinem Rückzug gedroht habe, habe er die Sache auf die persönliche Ebene
verlagert: „Allein daraus ergab sich die gespaltene Meinung innerhalb der
Fraktion“, so Petry. Meuthen, soll das wohl heißen, ist an dem ganzen
Schlamassel schuld. Illustriert hat Petry ihren Beitrag mit einem Plakat.
„In Einheit gegen Antisemitismus“ steht darauf, zu sehen ist sie gemeinsam
mit Parteivize Albrecht Glaser. Im Netz kursiert ein zweites Bild: „Nein zu
Antisemitismus!“ ist darauf zu lesen, darunter die Fotos von zehn
Mitgliedern des AfD-Bundesvorstands. Petry ist nicht dabei. Besser kann man
die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesspitze nicht illustrieren.
Widerstand in der Landtagsfraktion hat am Dienstag auch einen anderen
AfD-Fraktionschef in Bedrängnis gebracht. André Poggenburg, der im März in
Sachsen-Anhalt mit einem stramm rechten Kurs das bislang bundesweit beste
Wahlergebnis von 24 Prozent eingefahren hat, wird als Landtagsvizepräsident
kandidieren – und im Falle seiner Wahl den Fraktionsvorsitz abgeben. Schon
lange gärt es in der Fraktion, weil Poggenburg Ämter häuft und bei ihrer
Erfüllung nicht besonders zuverlässig ist.
## „Das ist intern“
Am Montag hatten 50 Mitglieder, darunter zahlreiche Kreisvorsitzende und
Landtagsabgeordnete, eine Erklärung veröffentlicht, in der sie den
„Anti-Petry-Kurs“ der Patriotischen Plattform der AfD und auch eine
fehlende Linie der Landesspitze scharf kritisieren. Poggenburg wird nicht
namentlich erwähnt, ist aber gemeint. „Wir wollen keine Verschmelzung mit
Organisationen, die als Auffangbecken für Extremisten fungieren“, heißt es
in dem Aufruf. Gemeint ist unter anderem die „Identitäre Bewegung“, die vom
Verfassungsschutz beobachtet wird. Unter dem Titel „Wir sind identitär“
hatte die Patriotische Plattform beigeistert von einer Demonstration der
Identitären in Wien berichtet. Sprecher der Plattform ist Hans-Thomas
Tillschneider, der auch Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt ist. Zuletzt
hatte er auf einer Pegida-Demonstration gesprochen und den Mitbegründer der
rassistischen Bewegung Pegida, Lutz Bachmann, für das Bundesverdienstkreuz
vorgeschlagen. Poggenburg lässt Tillschneider machen.
Inzwischen haben Poggenburg und Tillschneider die Erklärung, die sich gegen
sie selbst richtet, unterschrieben. Auch unter den Erstunterzeichnern sind
viele, die den klaren Rechtskurs Poggenburgs unterstützten. Im Netz
kursiert aber auch ein Brief, den Tillschneider allem Anschein nach an
seine „Kameraden“ von der Patriotischen Plattform gerichtet hat. Dort heißt
es, durch das Unterzeichnen wolle man „dieser Attacke den Wind aus den
Segeln“ nehmen. Auf Anfrage der taz wollte sich Tillschneider dazu nicht
äußern, dementierte aber auch nicht. „Das ist intern“, sagte er.
21 Jun 2016
## AUTOREN
Benno Stieber
Sabine am Orde
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