| # taz.de -- Urteil zum Sampling: Yeah, yeah, yeah | |
| > Es darf also gesampelt werden. Die Frontlinie verläuft aber nicht | |
| > zwischen Urheberrecht und künstlerischer Freiheit, sondern zwischen | |
| > Generationen. | |
| Bild: Kraftwerk haben das Computerzeitalter beschworen. Doch sie verstehen es n… | |
| Boing, bumm, tschak. Mehr muss man über Kraftwerk eigentlich nicht wissen. | |
| Keine Melodie, keinen Text, es genügt die vom Vocoder verfremdete Abfolge | |
| dieser drei Geräusche. Genial und, wie alles Genialische, genial einfach. | |
| Wie Trio, die für „Da, da, da“ komplett auf einen von zehn voreingestellten | |
| Rhythmen zurückgriffen, die ein Spielzeugsynthesizer für 149 Mark vor mehr | |
| als 30 Jahren bieten konnte. | |
| Im Deutschen ist das „Sample“ einfach Muster, Stichprobe, Beispiel. Aus | |
| solchen isolierten Splittern der Klangwelt setzten Avantgardisten wie | |
| Pierre Schaeffer in den fünfziger Jahren erstmals „konkrete Musik“ | |
| zusammen. Erst zu Beginn der achtziger Jahre kamen die ersten Geräte, die | |
| den Markt grundlegend verändern sollten – auch wenn nur solvente Künstler | |
| sich damals einen Fairlight CMI für mindestens 100.000 Dollar leisten | |
| konnten. Der Sampler war in der Lage, jeden beliebigen Klang aufzuzeichnen | |
| und in digitaler Qualität wiederzugeben. Heute kann das jedes Smartphone, | |
| und das ist das Problem. | |
| Ein Problem vor allem für manche Urheber der gesampelten Musik. Sie wollen | |
| gerne höflich „gefragt werden“, wie Kraftwerk das vor Gericht geltend | |
| machten. Wobei deren Einkünfte sich zu einem erheblichen Teil aus | |
| Lizenzgebühren speisen, die sie für vier oder fünf besonders markante | |
| Klangsplitter kassieren. Schon 1982 landete Afrika Bambaata mit „Planet | |
| Rock“ einen Hit, der auf dem Kraftwerk-Beat von „Trans Europa Express“ | |
| basierte. In der aktuellen Verhandlung ging es nur um den Soulschlagerfuzzi | |
| Moses Pelham. Tatsächlich geht es ums Prinzip. | |
| Zu Beginn des Verfahrens, noch im vergangenen November, wurde der Herr | |
| Verfassungsrichter grundsätzlich und wollte wissen, ob eine restriktive | |
| Praxis nicht „die Beatles des 21. Jahrhunderts im Keim ersticken“ würde. | |
| Ralf Hütter von Kraftwerk entgegnete, die Beatles-Generation, zu der sich | |
| der 69-Jährige selbst zählt, zeichne sich dadurch aus, dass sie „ihre Musik | |
| selbst geschrieben hat“. | |
| ## Gekränkte Künstler, verwirrte Juristen | |
| Die wahre Frontlinie verläuft also nicht zwischen Urheberrecht und | |
| künstlerischer Freiheit. Sondern, wie im Pop üblich, zwischen den | |
| Generationen. Den alternden Schöpfern von etwas „Neuem“ stehen jugendliche | |
| Archivare gegenüber, die Bestehendes neu kuratieren. Pop als „natürlicher“ | |
| Ausdruck bestenfalls handgemachter Kreativität gegen Pop als Zeichensystem, | |
| das mit technischen Mitteln arrangiert werden kann. | |
| Mit dem Sampling wird die Popgeschichte zum einzigen Instrument, auf dem | |
| sie selbst weitergeschrieben werden kann. Verständlich, dass dieser Zugang | |
| historische Figuren wie Ralf Hütter kränkt und Juristen verwirrt. Immerhin | |
| wankt ein Künstlerbild, das noch aus der Renaissance stammt. | |
| Dem Remixer, schreib Ulf Poschardt in „DJ Culture“, gehe es dabei „nicht … | |
| die Errettung der Authentizität, sondern um die Erschaffung einer neuen | |
| Authentizität“ – wobei der Remixer oft gerne von der Aura des eben dann | |
| doch „Authentischen“ und Wiedererkennbaren profitiert. Zwar wären von | |
| HipHop bis zu House weite Teile der modernen Musikgeschichte ohne Sampling | |
| kaum denkbar. Umgekehrt ist aber auch Musikgeschichte nirgendwo besser | |
| aufgehoben als im Sample. | |
| ## Turntableism | |
| Wer würde sich, um nur ein Beispiel zu nennen, an einen Musiker wie David | |
| Axelrod erinnern, hätte ihm nicht DJ Shadow 1996 auf seinem epochalen | |
| „Endtroducing…“ ein Denkmal gesetzt? Das Album gilt als stilprägend für | |
| Assemblage, Mash-up, Plunderphonics oder Turntableism, die den Platten-Nerd | |
| und DJ zugleich als Regisseur und Cutter einer neuen Musik vorstellen, die | |
| aus den Schnipseln alter Musik im Schneideraum gewonnen wird. | |
| Bedeutendste Vertreter dieser Richtung sind derzeit die dänischen Den Sorte | |
| Skole, die liebevoll den archäologischen Nachweis über jedes einzelne | |
| verwendete Sample führen. Wenn das „Diebstahl“ ist, dann waren auch die | |
| Beatles nur „yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt“ (Walter Ulbricht). | |
| Das Beispiel von The Avalanches zeigt allerdings, wie ein hinter der Zeit | |
| herhinkendes Recht vorreitende Kunst behindern kann. 2000 veröffentlichten | |
| die Australier das legendäre Album „Since I Left You“, ein Referenzmonster | |
| aus 3.500 Samples. Allein der Track „Frontier Psychiatrist“ vereint unter | |
| anderem Jazzgesang aus den dreißiger Jahren mit dem Soundtrack von | |
| „Lawrence von Arabien“, britischer Comedy und dem italienischen Kino der | |
| Fünfziger. | |
| Das zweite Album ist angeblich längst fertig, aber noch nicht erschienen. | |
| Warum? Was könnte so lange dauern? Eine Antwort bekam, wer in den | |
| vergangenen 16 Jahren auf die Homepage klickte: „The Avalanches“, stand da | |
| bis vor Kurzem zu lesen, „are clearing samples“. | |
| 31 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
| ## TAGS | |
| Kraftwerk | |
| DJ | |
| Schwerpunkt Urheberrecht | |
| elektronische Musik | |
| Popmusik | |
| Kreuzworträtsel | |
| HipHop | |
| Bundesverfassungsgericht | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vocoder als Musikmaschine: The Sound of Andersartigkeit | |
| Heute verzückt der Vocoder Menschen auf dem Dancefloor. Erfunden wurde er | |
| zur Verbesserung der Telekommunikation. | |
| Popkulturelle Gegenwartsdiagnose: Am besten laut und blutig | |
| Jens Balzer erzählt in „Pop. Ein Panorama der Gegenwart“, was in der | |
| Popmusik seit der Jahrtausendwende aus seiner Sicht geschah. | |
| Rechtsstreit um Kreuzworträtsel-Kritzelei: Meine, deine, unsere Kunst | |
| Eine Rentnerin füllt im Museum verbotenerweise ein Kreuzworträtsel aus. Nun | |
| beansprucht ihr Anwalt für sie das Urheberrecht an dem Kunstwerk. | |
| Bundesverfassungsgericht zum Sampling: Rapper in der Robe | |
| Im Interesse der Kunstfreiheit: Das Sampling einzelner Tonfetzen aus | |
| fremden Musikstücken ist rechtens, entschied das BVerfG. | |
| Bundesverfassungsgericht zu Samples: Zwei Sekunden Kraftwerk | |
| Produzent Moses Pelham streitet in Karlsruhe für die freie Verwendung von | |
| Samples. Ohne die ist HipHop nicht mehr möglich, sagt er. | |
| Pelhams Musikklau-Streit mit Kraftwerk: Gericht erleichtert Sampling | |
| Ist Sampling Diebstahl? Im Fall Kraftwerk vs. Pelham erleichtert der | |
| Bundesgerichtshof die Verwendung fremden Musikmaterials - unter gewissen | |
| Bedingungen. | |
| Kraftwerk klagt wegen Musikklau: Die entscheidenden zwei Takte | |
| Der Produzent Moses Pelham hat zwei Takte eines Stücks von Kraftwerk | |
| gesampelt. Nun geht die Band dagegen vor. Der BGH muss entscheiden, ob das | |
| Diebstahl ist. |