Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kraftwerk klagt wegen Musikklau: Die entscheidenden zwei Takte
> Der Produzent Moses Pelham hat zwei Takte eines Stücks von Kraftwerk
> gesampelt. Nun geht die Band dagegen vor. Der BGH muss entscheiden, ob
> das Diebstahl ist.
Bild: Kraftwerk inspirierte Generationen von Musikern. Ihnen geht es aber zu we…
"Es kam mir überhaupt nicht in denn Sinn, das einzig Vernünftige zu tun,
nämlich den Hörer in die Hand zu nehmen und mit den Menschen zu sprechen,
ihnen zu erklären, dass ich sie ganz bestimmt nicht bestehlen wollte,
sondern, dass das was ich da mache Kunst ist, und ich übrigens ziemlicher
Fan bin", schrieb Moses Pelham über die Entstehung des Stücks "Mit Mir".
1999 produzierte er es für Sabrina Setlur und er sampelte dafür zwei Takte
aus Kraftwerks Stück "Metall auf Metall", um sie dann in die Rhythmusspur
zu integrieren, vor einiger Zeit auf seiner Homepage. Die ist mittlerweile
abgeschaltet und prozessstrategisch dürften Pelham seine Worte heute
mächtig ärgern - denn so gab er zu, Kraftwerk tatsächlich gesampelt zu
haben. Hätte er sich ein paar Minuten genommen, um die zwei Takte per Hand
nachzuprogrammieren, wäre der Streitwert, um den heute verhandelt wird,
deutlich geringer ausgefallen: Dann würde es nur um die Rechte an der
Komposition "Metall auf Metall" gehen. Nicht um Kraftwerk als Interpreten
und Produzenten des Stücks.
Abgesehen davon umreißt Pelham mit seinen Worten aber ziemlich genau, worum
es bei diesem Prozess geht. Denn von der rechtlichen Seite einmal
abgesehen, dreht sich der Streit, der heute vor dem Bundesgerichtshof
entschieden wird, um eine kulturelle Frage: Wem gehört der künstlerische
Einfluss einer Band? Der Band oder den Beeinflussten? Pelham sagt, er habe
die Kraftwerk-Takte als Hommage an die Gruppe verwendet und hält das für
legitimen künstlerischen Ausdruck. Kraftwerk sagen, das sei keine Hommage
sondern Diebstahl. Hier geht es also um grundsätzliche Fragen der
künstlerischen Produktion: Darf man künstlerisches Material einfach so neu
zusammenfügen? Ändert eine Collage das Collagierte?
Coverversionen gab es im Pop schon immer - ein Künstler spielt den Song
eines anderen nach. Die Digitalisierung der Musik und der Aufstieg des
Samplers, einem Aufnahmegerät, mit dem sich Klangschnipsel ("Samples")
aufnehmen und digital verändern lassen, hat den Pop aber gründlich
verändert. Nun bauen Künstler die Musik anderer Künstler direkt in ihre
Songs ein. Und je weiter sich die globalen Musikarchive geöffnet haben,
desto wichtiger ist diese Technik geworden.
Dass Pelham ein Kraftwerk-Fan ist (oder war), entspricht sicher der
Wahrheit. Er kommt aus der frühen Frankfurter Hiphop-Szene. Wie überall, wo
in den frühen Achtzigern gebreakt wurde, dürfte Kraftwerk auch dort eine
nicht zu unterschätzende Größe gewesen sein. Tatsächlich gibt es kaum eine
Band, die so häufig gesampelt worden ist, wie die Düsseldorfer
Elektronikpioniere. Sowohl Hiphop wie House und Techno, die wichtigsten
musikalischen Genres der letzten zwei Jahrzehnte, hätten sich ohne
Kraftwerk vollkommen anders entwickelt. Zwei der begründendenden Platten
dieser Genres basieren fast ausschließlich auf Kraftwerk-Samples. Da ist
zum einen Afrika Bambaataas "Planet Rock", eine der Gründungsplatten des
Hiphop von 1981. "Planet Rock" ist nichts weiter als die kunstvolle
Verschmelzung der Rhythmusspur von Kraftwerks "Numbers" mit der Melodie von
"Trans-Europa-Express". Ohne diese Platte wäre die Geschichte von Hiphop
wahrscheinlich anders verlaufen - man kann sie bis heute kaufen, einen
Nachweis der Samples trägt nicht. Genauso wenig wie bei "Clear" von
Cybotron von 1984, eine der ersten Technoplatten. Sie basiert auf Samples
der Kraftwerkstücke "Spiegelsaal" und "Trans-Europa-Express". Genau wie die
ersten Hiphopper waren auch die ersten Technoproduzenten fasziniert von
diesen fremden europäischen Klängen, die sich für sie anhörten, als seien
sie Übertragungen aus der Zukunft.
Dass Kraftwerk (zusammen mit James Brown) die wahrscheinlich
einflussreichste Band der vergangenen dreißig Jahre sind, und heute einen
gottgleichen Status genießen, liegt nicht nur an ihren ästhetischen
Innovationen. Es liegt auch daran, dass sie immer wieder gesampelt wurden -
legal oder illegal. Buchstäblich hunderte von Stücken basieren auf
Kraftwerk-Samples: von berühmten Künstlern wie Madonna, Jay-Z, Missy
Elliott oder Beck bis zu unbekannten wie DJ Assault oder The Egyptian
Lover. Und es ist kein Ende abzusehen: Das Mash-Up-Fieber, das vor einigen
Jahren losbrach, und zu dutzenden von Stücken führte, die zwei Songs
übereinander legten, begann wieder mit einer ungeklärten
Kraftwerk-Verwurstung: Girls On Tops "I Wanna Dance With Numbers", eine
Verschmelzung von Kraftwerks "Numbers" mit Whitney Houstons "I Wanna Dance
With Somebody".
Ohne Kraftwerk das Recht an ihrer Musik absprechen zu wollen - es ist die
Ironie dieses Prozesses, dass die Band heute nicht da wäre, wo sie ist,
wenn ihre Musik nicht seit rund fünfundzwanzig Jahren immer wieder durch
den legalen Graubereich geistern würde, indem das Alte in Neues verwandelt
wird.
20 Nov 2008
## AUTOREN
Tobias Rapp
## TAGS
Kraftwerk
Bundesverfassungsgericht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil zum Sampling: Yeah, yeah, yeah
Es darf also gesampelt werden. Die Frontlinie verläuft aber nicht zwischen
Urheberrecht und künstlerischer Freiheit, sondern zwischen Generationen.
Bundesverfassungsgericht zu Samples: Zwei Sekunden Kraftwerk
Produzent Moses Pelham streitet in Karlsruhe für die freie Verwendung von
Samples. Ohne die ist HipHop nicht mehr möglich, sagt er.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.