# taz.de -- Diskussion ums Grundeinkommen: Anders arbeiten | |
> Die Schweiz stimmt über das bedingungslose Grundeinkommen ab, in | |
> Deutschland gibt es Vorbehalte. Warum die Vorurteile Quatsch sind. | |
Bild: Wenn erstmal Roboter die Toiletten putzen, gibt es schon mal weniger Sche… | |
Es ist keineswegs übertrieben, zu behaupten, dass sich Arbeit in einem | |
dramatischen Umbruch befindet. An der in Deutschland so wichtigen | |
Automobilindustrie lässt sich dies gut zeigen. | |
Ein konventionelles Auto besteht aus etwa 5.000 Teilen. Im | |
3-D-Druck-Verfahren, das in absehbarer Zukunft kommen wird, sind es nur | |
noch 50 Teile. Die anderen 4.950 Teile muss niemand mehr miteinander | |
verbinden, die Arbeitsschritte fallen weg. | |
Die Hersteller des D-Blade Supercars nutzen die Potenziale des 3-D-Drucks | |
noch intelligenter: Seine Karosserie kann aus konventionell hergestellten | |
Carbonröhren mit komplexen, 3-D-gedruckten Verbindungselementen (ähnlich | |
der Lego-Technik) anhand einer Anleitung (ähnlich wie bei Ikea) auch ohne | |
Fachausbildung in 30 Minuten montiert werden. Es fallen 99 Prozent aller | |
Montageschritte in der Autoherstellung weg, und für das verbleibende | |
Prozent sind die Qualifikationsanforderungen so niedrig, dass man keine | |
Fachkräfte mehr braucht. | |
Stellen wir uns nun noch vor, dass Autos in Zukunft ohne Fahrer auskommen, | |
dann gehen weitere 700.000 Arbeitsplätze verloren. Lokomotivführer sind | |
nicht eingerechnet, aber auch Loks werden künftig ohne Lokführer fahren. | |
Für die meisten Industrien kann ein ähnliches Bild gezeichnet werden, | |
selbst für Dienstleistungen. Auch in Rezeptionen, Büros, Laboren und | |
Anwaltskanzleien werden nach und nach Menschen durch Systeme künstlicher | |
Intelligenz ersetzt. | |
Schon jetzt können solche Systeme Touristen mehrsprachig bedienen, | |
Briefing-Unterlagen zusammenstellen, posttraumatische Belastungsstörungen | |
und Krebs diagnostizieren oder die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen | |
durch Großkonzerne analysieren. Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken, | |
wie wir die Würde des Menschen auch in Zukunft schützen können. | |
## Zahnbürstenkontrolle und Sanktionen | |
Gegenwärtig hängt die Wahrnehmung, wie Menschenwürde eingelöst wird, zu | |
sehr davon ab, ob wir eine bezahlte Erwerbstätigkeit haben oder andere | |
nennenswerte Einkommensquellen. Die Würde des Hartz-IV-Empfängers wird, da | |
sie kein Lohneinkommen, sondern eine „Lohnersatzleistung“ beziehen, ständig | |
verletzt: Es werden Hauskontrollen durchgeführt, bei der die Anzahl der | |
Zahnbürsten mit der Mieterzahl verglichen wird, die Offenlegung von | |
Kontoauszügen wird erzwungen und Sanktionen verhängt, die den Hartz-IV-Satz | |
unter das grundgesetzlich geschützte Existenzminimum senken. | |
Es ist bekannt und wird gesellschaftlich hingenommen, dass aus Scham vor | |
dieser Würdeverletzung viele Bedürftige ihre Ansprüche nicht wahrnehmen. | |
Sie leben unter dem Existenzminimum – im reichsten Land Europas. | |
Künftig ist Hartz IV erst recht keine Lösung mehr. Mit der Hälfte der | |
arbeitsfähigen Bevölkerung, für die es keine Lohnarbeit mehr gibt, kann man | |
so nicht umgehen, ohne ein großes innenpolitisches Problem zu schaffen. Es | |
braucht neue soziale Systeme, neue Denkweisen, jenseits der bekannten. Neue | |
Ideen sollten nicht mit dem Totschlagargument „das geht doch sowieso nicht“ | |
begegnet werden, sondern mit der Frage: „Wie könnte es denn gehen?“ | |
## „Dann geht doch keiner mehr arbeiten“ | |
Diese Offenheit erfährt inzwischen das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE), | |
das eine der besten Ideen ist, um in einer Welt, in der Roboter, künstliche | |
Intelligenzen und andere disruptive Technologien für Wertschöpfung sorgen, | |
die Würde des Menschen existenziell zu sichern. | |
„Dann geht doch keiner mehr arbeiten!“ – ist das beliebteste Gegenargumen… | |
Aber warum werden dann schon heute in Deutschland doppelt so viele Stunden | |
unbezahlt gearbeitet wie bezahlt? Warum machen Menschen das, wenn sie doch | |
vermeintlich nur für Geld arbeiten? Wenn es heißt, dass bei 1.000 Euro BGE | |
alle sofort die Füße hochlegen, warum arbeiten dann nicht heute schon alle | |
Menschen nur so viel, bis sie 1.000 Euro verdienen? | |
„Aber Klos putzt dann auf keinen Fall mehr jemand, und irgendwer muss das | |
doch machen!“ – auch ein beliebtes Argument in einer typischen BGE-Debatte. | |
Richtig! In einer Gesellschaft, in der die eigene Existenz und Teilhabe | |
gesichert sind, ist niemand mehr so erpressbar, dass er oder sie die | |
schlechtesten Jobs für die niedrigsten Löhne annehmen muss. Solche Jobs | |
werden in einer Welt mit BGE nur noch besetzbar, wenn sie angemessen | |
bezahlt werden. | |
Mangelnde Erpressbarkeit wird sich in höheren Löhnen widerspiegeln. Je | |
unbefriedigender ein Job, umso besser bezahlt – es gibt dann schlicht mehr | |
Schadenersatz für das Opfern von Lebenszeit für Dinge, die keinen Spaß | |
machen. Dieser Effekt wird größer sein, als ihn ein Großstreik erzwingen | |
könnte. Langfristig werden gerade die so steigenden Löhne dazu beitragen, | |
dass die fiesesten Jobs am Ende durch Technologie ersetzt werden. Und ich | |
werde keinem dieser Jobs eine Träne nachweinen. Mir kann gern Technik das | |
Klo putzen. | |
Ist die Existenz gesichert, werden auch mehr Menschen – vor allem Frauen – | |
den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und Unternehmen gründen. Man | |
kann wagen, etwas auszuprobieren, ohne Angst, die Miete oder das Fahrgeld | |
zur Schule nicht mehr bezahlen zu können. Das wird ein Motor für | |
Innovation, genauso wie die vielen Lernmöglichkeiten, die dann lebenslang | |
genutzt werden können – mit dem BGE als Stipendium. | |
Der künftige Arbeitsmarkt wird Spielräume vor allem für kreative und | |
flexible Menschen bieten. Kreativität und Flexibilität muss man sich aber | |
auch leisten können. Mit einem BGE im Rücken ist das einfacher. | |
## Anreiz für Frauen | |
„Das BGE drängt Frauen zurück in die Care-Rollen“ – ist ein weiteres | |
typisches Verhinderungsargument. Es ist nicht stichhaltig, denn am Ende | |
hängt die Verteilung von Rollen von sehr viel mehr Aspekten ab als davon, | |
ob eine Frau ihre Existenz anders als durch Erwerbsarbeit finanziert | |
bekommt. Die künftige Arbeitswelt, wie ich sie für wahrscheinlich halte, | |
bietet kaum noch Vollzeitjobs, die wenig Zeit für Privates lassen. | |
Sie wird stattdessen geprägt sein von hohen Teilzeitanteilen und temporären | |
Arbeitsaufträgen, wo mal mehr und mal weniger verdient wird und wo man | |
manchmal vom BGE leben wird, wenn man gerade keine bezahlte Tätigkeit hat | |
oder haben möchte. | |
Da es diese Arbeitsmuster gleichermaßen bei Männern und Frauen geben wird, | |
halte ich es für wahrscheinlich, dass diejenigen in einer Familie, die | |
gerade mehr Zeit verfügbar haben, sich auch den Care-Aufgaben widmen, und | |
ich glaube nicht, dass das automatisch stets Frauen sein werden. Im | |
Gegenteil, es wird zu einer starken Angleichung von Rollenmustern kommen, | |
vorausgesetzt, wir bekommen auch auf anderen Ebenen den Kulturwandel hin | |
und den Sexismus beseitigt und erhalten einen hohen Standard an nicht | |
privater Care-Infrastruktur, in der dann auch höhere Löhne gezahlt werden. | |
Vor einer solchen Zukunft habe ich keine Angst. Es wird nur langsam Zeit, | |
die Furcht vor dem radikal Anderen zu verlieren und es einfach mal | |
auszuprobieren. Der nächste Schritt müsste die längst überfällige | |
Untersuchung der Machbarkeit und der Finanzierung sein. Mit dieser Arbeit | |
sollte eine Enquetekommission beauftragt werden. Andere Länder sind da | |
längst weiter. Von ihren Erfahrungen können wir lernen. | |
28 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Anke Domscheit-Berg | |
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