| # taz.de -- Logistikunternehmen immer schneller: Völlig ausgeliefert | |
| > Lieferung am selben Tag. Innerhalb von drei Stunden. In zwei Stunden. In | |
| > 90 Minuten. Wer bietet weniger? Über das neue Zeitalter der Logistik. | |
| Bild: Schnelle Lieferung: schön für die KundIn, schlecht für die Umwelt | |
| Und das ausgerechnet jetzt. Nichts geht mehr auf dem Kurfürstendamm in | |
| Berlin. „Die Stadt ist proppenvoll“, sagt die Sprecherin im Verkehrsfunk | |
| und auf dem Fahrersitz des weißen Transporters, der sich gerade zwischen | |
| einem Bus und einen dauerhupenden Sportwagen quetscht, nimmt Daniel Baumann | |
| einen Schluck aus seiner Limonadenflasche. „Stress ist nur, wenn man sich | |
| Stress macht“, sagt er. | |
| Und das, obwohl der Kurier jetzt schon spät dran ist. Vor zehn Minuten | |
| hätte Baumann die Sendung übergeben müssen, an den Bewohner eines Hauses in | |
| Grunewald, ganz im Westen der Stadt. Noch steht er aber mitten auf dem | |
| Ku’damm, 15 Kilometer entfernt. | |
| Man könnte Daniel Baumann – karierte Jacke, weißer Transporter mit dem | |
| Schriftzug „D. Baumann“ auf der Fahrerseite – mit einem normalen Kurier | |
| verwechseln. Einem, der Pakete bei Adresse A abholt und irgendwann später | |
| bei Adresse B abliefert. Aber Baumann ist mehr. Er ist Teil eines neues | |
| Zeitalters der Logistik. Eines Zeitalters, in dem nach der Bestellung nicht | |
| das Warten anfängt und die Frage, wie lang eigentlich drei Werktage sind, | |
| und am Ende doch die Benachrichtigungskarte im Briefkasten liegt. Ein | |
| Zeitalter, das sich selbst übertreffen will. Lieferung am selben Tag. | |
| Innerhalb von drei Stunden. In zwei Stunden. In 90 Minuten. Wer bietet | |
| weniger? | |
| Dabei sieht anderthalb Stunden vorher alles noch ganz entspannt aus. | |
| Baumann ist gerade aus Mitte gekommen, er hatte in einem Geschäft in der | |
| Friedrichstraße zwei große Tüten abgeholt. Kaffeekapseln. Das Ziel: eine | |
| Adresse in Moabit, Hausnummer 140. Locker zu schaffen in den drei Stunden, | |
| die er für die Lieferung hat. Er lenkt seinen Transporter durch eine enge | |
| Kurve, fährt vorbei an den Hausnummern 134, 136 und 138, merkwürdig, | |
| eigentlich ist hier die bewohnte Gegend zu Ende, ein Blick aufs Smartphone, | |
| doch die 140 stimmt. Das Innenministerium? Na gut, dann eben das | |
| Innenministerium. | |
| ## 3 Stunden. 180 Minuten | |
| Das Smartphone ist – neben dem Transporter – Baumanns wichtigstes | |
| Arbeitsgerät. Über eine App seines Auftraggebers, ein Start-up namens | |
| Tiramizoo, bekommt der Kurier die Aufträge, ein Algorithmus sorgt dafür, | |
| dass Produkt, Transportmöglichkeit und Route zusammenpassen. Ein Notebook | |
| vom Elektronikmarkt zum Kunden am Stadtrand, einen Großbildfernseher in das | |
| Loft in Mitte oder auch mal eine Gartenbank aus dem Baumarkt in den | |
| Familienhaushalt. Seine Kunden, sagt Baumann, kämen aus allen Ecken der | |
| Gesellschaft. Was sie eint: Sie haben entweder nicht die Zeit oder nicht | |
| das passende Fahrzeug, um die Ware zu transportieren. Und sind bereit, | |
| dafür etwas mehr, meist sind es um die 10 Euro, zu zahlen. | |
| Nun eben Kaffeekapseln ins Innenministerium. Baumann stoppt den Transporter | |
| vor dem Eingang, springt heraus und zieht unter den misstrauischen Blicken | |
| des bewaffneten Wachpersonals die beiden Tüten aus dem Laderaum. Vorstellen | |
| an der Sicherheitsschleuse, ein Mitarbeiter ruft den Empfänger der Sendung, | |
| warten, warten, bis ein sichtlich erfreuter Herr – „Das ging aber schnell“ | |
| – aus der Drehschleuse tritt und die beiden Tüten in Empfang nimmt. | |
| Ja, das ging schnell. Dabei sind die drei Stunden erst der Anfang. Amazon | |
| hat diese Woche ein Pilotprojekt gestartet und verspricht dabei die | |
| Lieferung innerhalb einer Stunde. Das Start-up Locafox, das stationäre | |
| Händler ins Netz bringt, startet Ende Juni einen 90-Minuten-Lieferservice – | |
| als Konkurrenz zu Amazon. „Für den stationären Handel sind kurze | |
| Lieferzeiten eine Möglichkeit, sich gegenüber dem Onlinehandel zu | |
| profilieren“, sagt Christiane Auffermann vom Fraunhofer-Institut für | |
| Materialfluss und Logistik. Und der Kunde, der gewöhne sich an die | |
| Geschwindigkeit – und will mehr. | |
| Mit den kurzen Lieferzeiten wird noch etwas anderes interessant: das | |
| Versenden von Waren, die bislang fast ausschließlich stationär eingekauft | |
| werden. Weil sie sofort benötigt werden etwa oder weil sie schnell | |
| verderblich sind. Windeln. Rotwein. Erdbeeren. Noch ist der Versand von | |
| Lebensmitteln ein Nischenmarkt. Im Jahr 2014 lag der Anteil der online | |
| bestellten Waren im Segment Lebensmittel und Drogerie bei gerade mal 1,2 | |
| Prozent, gemessen am Umsatz. | |
| Baumanns nächstes Ziel: eine Abholung bei einem Elektronikhändler in der | |
| Budapester Straße. Der Empfänger: ein Büro, ganze 800 Meter entfernt. | |
| Könnte der Kunde eigentlich auch laufen. „Wir sind abhängig von der | |
| Faulheit der anderen“, sagt Baumann, als er wieder ins Auto steigt. Dafür | |
| fährt er täglich 250 Kilometer durch die Stadt, bringt ein Dutzend Pakete | |
| vom Sender zum Empfänger. Mindestens 80 Cent bekommt er pro Kilometer. | |
| Darunter, sagt er, lohne es sich nicht. Denn angestellt ist Baumann nicht. | |
| Und Steuern, Versicherung, Benzin – da kommt doch einiges zusammen. Seine | |
| beste Zeit? „Wenn DHL streikt.“ Und die schlechteste? „Ferien, wenige | |
| Aufträge, viel Leerlauf.“ | |
| ## 10.800 Sekunden. | |
| Vom Leerlauf auf dem Ku’damm hat Baumann mittlerweile genug. Denn gehäufte | |
| Verspätungen beim Zustellen bedeuten für den Fahrer kritische Nachfragen | |
| vom Auftraggeber. Drei Stunden. 180 Minuten. 10.800 Sekunden. Mitunter ist | |
| das nicht viel Zeit. | |
| „Wir merken, dass die Nachfrage steigt“, sagt Eva Simmelbauer, Sprecherin | |
| von Media-Saturn. Das Unternehmen bietet seinen Kunden seit Ende | |
| vergangenen Jahres eine Lieferzeit von drei Stunden an. Das Potenzial ist | |
| groß: Nach Berechnungen des Branchenverbands bevh wurde im vergangenen Jahr | |
| fast jeder achte Euro online ausgegeben. Insgesamt kauften Verbraucher 2015 | |
| Waren im Wert von 52,37 Milliarden Euro im Online- oder Versandhandel. Für | |
| das laufende Jahr geht der Verband von 54,4 Milliarden aus. Haufenweise | |
| Pakete, die zu ihren Käufern müssen. | |
| Nur – je individueller die Zustellung, desto schlechter die Ökobilanz. | |
| Studien, wie zuletzt etwa vom Clean Tech Institut, ergeben immer wieder: | |
| Der größte Posten im ökologischen Fußabdruck eines Einkaufs ist der Weg. | |
| Mit dem Auto in die Innenstadt oder zum Einkaufzentrum auf die grüne Wiese? | |
| Schlecht. Mit dem Fahrrad? Gut. Waren als Sammlung liefern lassen? Immer | |
| noch besser als selbst mit dem Auto zu fahren. Einzellieferungen in einem | |
| nicht mal annähernd gefüllten Transporter? Schlecht. | |
| Elektroautos könnten das Problem zumindest zum Teil lösen. Baumann hatte | |
| auch überlegt, eines zu kaufen. Aber bei Reichweiten von um die 200 | |
| Kilometer täglich? Und dann eine Tour verschieben, weil der Wagen an die | |
| Steckdose muss? Er schüttelt den Kopf. | |
| Endlich Grunewald. Königsallee, Erdener Straße, Trabener Straße, die Namen | |
| werden profaner, dafür die Häuser exklusiver. Weiße Villen zwischen alten | |
| Bäumen, noch eine Kurve, Neubaugebiet, hier muss es sein, verdammt, wo ist | |
| denn die Hausnummer? Da. Baumann bremst, springt aus dem Wagen, eine halbe | |
| Stunde zu spät. Der Kunde ist trotzdem glücklich, unterschreibt schnell mit | |
| dem Finger auf Baumanns Smartphone. Für die Kunden, sagt Baumann, für die | |
| seien auch dreieinhalb Stunden immer noch sensationell schnell. Noch. | |
| 15 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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