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# taz.de -- Kommentar Grün-Schwarz in Ba-Wü: Das Sehnsuchtsbündnis
> Winfried Kretschmann hat mit seiner Koalition die Chance auf eine
> progressive Ökopolitik. Aber er zeigt wenig Rückgrat.
Bild: Winfried Kretschmann zeigt bei seinem Amtseid durch seine Krawatte Flagge…
Was sich im grünen Denken traditionell gegenüberstand, wollen Winfried
Kretschmann und andere Realo-Vordenker friedlich versöhnen. Zwischen
Wirtschaft und Ökologie existiert in Kretschmanns Politikverständnis kein
Widerspruch mehr: Die Grünen müssten Konzerne als Partner begreifen,
schließlich hätten jene das Ökologische längst als Markt für sich entdeckt.
In der Tat: Viele Unternehmen wirtschaften grün, die Energiewende ist ohne
die Wirtschaft nicht zu machen. Aber die naive Unbedingtheit, mit der
manche Grüne an freiwillige Revolutionen glauben, verwundert dann doch.
Würde, sagen wir: die Daimler AG weniger tonnenschwere, klimavernichtende
SUVs bauen, weil Kretschmann sie lieb bittet? Eher nicht. Wer sich als
Grüner der Wirtschaft andient, muss also harte Interessengegensätze
ignorieren. Es ist ja leider so: Oft lassen sich die Angelegenheiten des
Allgemeinwohls nicht mit den Renditeinteressen weniger, sehr reicher
Menschen vereinbaren. Oft steht sich beides sogar konträr gegenüber. Dann
muss ökologisch-soziale Politik eingreifen, und sie darf die Konfrontation
nicht scheuen.
Wie schnell die Versöhnungsidee an Grenzen stößt, lässt sich in
Kretschmanns grün-schwarzer Koalition beobachten, der ersten in der
Geschichte der Republik. Die Grünen schimpfen seit Monaten auf TTIP und
Ceta. Sie fürchten, dass die Freihandelsabkommen Umwelt- und
Sozialstandards verwässern. Kretschmann aber zögert, er hält sich ein Ja im
Bundesrat offen. Weil er mit der CDU regiert, selbstverständlich – aber
auch, weil ihm die Chefs exportorientierter Großkonzerne und Mittelständler
sowie ihre Lobbys im Nacken sitzen.
Was nun? Die Rede von der freiwilligen Ergrünung vieler Firmen hilft in so
einem Konflikt nicht weiter. Man will wissen, wo Kretschmann steht. Die
Grünen werfen ja seit seinem Sensationserfolg im März mit Floskeln wie
„Haltung“ oder „Orientierung“ um sich. Da wäre ein bisschen Rückgrat,…
nicht aus Naturkautschuk besteht, ganz angenehm. Ob Kretschmanns Grüne das
Versprechen einhalten, das sie seit Monaten auf Plakate drucken? Mal sehen.
In anderen Ländern, etwa in Hessen, stellen die Grünen die
Wirtschaftsminister. Und auf Kretschmann ist in dieser Hinsicht leider
wenig Verlass.
Er hat schon in der grün-roten Regierung vor vermeintlichen Interessen der
Wirtschaft gekuscht. Als es um eine verfassungskonforme Erbschaftsteuer
ging, die schwerreiche Firmenerben leicht belastet hätte, hintertrieb
Kretschmanns Regierung die Pläne des konservativen Bundesfinanzministers,
weil sie ihr zu weit gingen. Kretschmann knickte vor der gespielten
Empörung der Wirtschaftsverbände ein. In einer Koalition mit der CDU dürfte
diese Tendenz nicht abnehmen, im Gegenteil. Vorsichtshalber taucht das Wort
„Erbschaftsteuer“ im neuen Koalitionsvertrag gar nicht mehr auf.
Die Erzählung der friedlichen Versöhnung ist eng mit Schwarz-Grün verwoben,
diesem Sehnsuchtsbündnis vieler Grüner. Hier die CDU, tief in der
Wirtschaft verwurzelt, da die Grünen, aus der Umweltbewegung gegründet.
Doch dieses Bündnis krankt an einem inneren Widerspruch. Die CDU von heute
ist offen für fast jede gesellschaftspolitische Modernisierung, keine
Frage. Sie machte in Stuttgart eine Muslimin zur Landtagspräsidentin. Und
sie würde sich 2017 mit den Grünen im Bund in null Komma nichts auf ein
Einwanderungsgesetz einigen. Aber bei zwei Themen hört der Spaß auf: Bei
der Wirtschaft und beim Geld, präziser: bei der Umverteilung von Reichtum.
Da soll bitteschön alles beim Alten bleiben. Wenige oben profitieren, die
Eliten bleiben unter sich. Genau deshalb wird das Erneuerungspotenzial von
Schwarz-Grün dramatisch überschätzt.
Auch Kretschmann tastet die Machtverhältnisse in seinem Bundesland nicht
an, weil er im Kern eine ökologisch angehauchte Politik des
Status-quo-Erhalts betreibt. Der Koalitionsvertrag ist pragmatisch, aber
mit Sicherheit nicht progressiv, gar: revolutionär. Vielleicht hat diese
Politik manchmal mit Versöhnung zu tun. Oft aber einfach nur mit
Kapitulation.
14 May 2016
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Schwerpunkt Landtagswahlen
Erbschaftsteuer
Winfried Kretschmann
Dieter Zetsche
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CETA
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