Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erzählungen von Saša Stanišić: Der Zaubermeister
> Überallhin, nur nicht geradeaus führt Saša Stanišić in seinen neuen
> Storys im Buch „Fallensteller“. Dabei entsteht auch ein bisschen Magie.
Bild: Doppelter Regenbogen über Stockholm – Illusionen oder echt?
Zaubern müsste man können. Schon wäre die Welt ein bisschen besser, weil
überraschender, unerklärlicher, unvorhersehbarer – und nicht zuletzt
veränderbarer. Aber da es echte Magie bekanntlich nicht gibt, muss der
Mensch zu Tricks greifen, um wenigstens für sich selbst die Illusion
herzustellen, die Welt sei gar nicht so, wie sie immer scheint. Jede Art
von Kunst ist natürlich im Grunde so ein Illusionstrick, auch die
Literatur.
Die meisten AutorInnen aber ziehen es vor, ihre Tricks zu verschleiern und
so zu tun, als erzählten sie zutiefst wahre Geschichten aus dem wirklichen
Leben. Saša Stanišić ist da anders. Der 38-Jährige, der mit vierzehn Jahren
aus Bosnien nach Deutschland kam, ist der große Zaubermeister unter den
deutschen Autoren. Und das nicht nur, weil er seine Tricks ganz besonders
gut beherrscht, sondern auch, weil er zeigt, wie er sie macht.
Man verzeiht ihm diese manchmal etwas selbstverliebte, übergroße
Sprachbeherrschung, so faszinierend ist es, ihm beim demonstrativen
Verfertigen seiner Illusionen zu folgen. Alles ganz ehrlich gezaubert.
Sauberes Handwerk. Und irgendwann entsteht dabei tatsächlich so etwas wie
echte Magie.
## Klingenreiter Import Export
Im vorletzten Jahr erlebte Stanišić’ preisgekrönter Roman „Vor dem Fest�…
einen triumphalen Durchmarsch durch die Feuilletons und die
Bestsellerlisten. Nun sind erstmals seine Erzählungen in einem Band
erschienen, aus unterschiedlichen Zeiten stammend, dabei genauso
unterschiedlich in der Länge. Geradezu programmatisch steht am Anfang, als
kürzeste Story mit dem längsten Titel, die Erzählung von einer
Zaubervorstellung: „Die große Illusion am Säge-, Holz- und Hobelwerk
Klingenreiter Import Export“. So manieriert das klingt, so stringent,
freundlich und geradeaus ist sie erzählt, die Geschichte vom
Hobby-Zaubermeister vor schwierigem Publikum. Sicherlich ein Frühwerk.
Andere Erzählungen in diesem Band nämlich gehen eher überallhin, nur nicht
geradeaus. Etwas wie eine Sehnsucht durchzieht diese Kurz- bis
Halblangprosa, die Sehnsucht nach dem Unbekannten. Vielleicht deshalb
spielen gerade die zwei Geschichten, die wie so eine Art unvollendete
Fortsetzungsromane immer wieder mit neuen Folgen im Buch aufpoppen, in der
Ferne. Wenn man denn Stockholm als fern betrachten möchte. Brasilien aber
ist es definitiv. Hierhin begleiten die geneigten Leser einen Menschen
namens Georg Horváth, der mit undefiniertem, geschäftsbedingtem Ziel nach
Südamerika unterwegs ist, am Flughafen jedoch nicht in das Auto jenes
Chauffeurs steigt, der ihn abholen sollte, sondern in ein unbekanntes Taxi,
dessen Fahrer kein Englisch spricht und den Europäer mit unbekanntem Ziel
irgendwohin fährt, wo er auf eine geheimnisvolles, Deutsch sprechendes
Großmütterchen trifft, nachdem er der schönsten Frau der Welt begegnet ist.
In Stockholm dagegen – das ist die andere Fortsetzungsgeschichte – klauen
ein Ich-Erzähler und sein oft und prominent in den Storys auftretender
Freund Mo aus einer Galerie das scheußliche Bild einer geflüchteten
syrischen Künstlerin, die darauf ihre beiden Kinder als lebende Missiles
abgebildet hat. Der im Rollstuhl sitzende Mann der Künstlerin erzählt dem
Publikum vom Bombentod der Kinder, während diese in Wirklichkeit im
Hinterraum der Galerie friedlich schlafen. Ja, tatsächlich, diese Erzählung
ist sogar ein bisschen böse, und nur ein Autor, der einst selbst vor einem
Bürgerkrieg geflüchtet ist, darf überhaupt so was schreiben.
Insgesamt aber hat dieser schreibende Illusionist nur friedlichste
Absichten, ebenso wie seine Protagonisten. Die längste und titelspendende
Erzählung „Fallensteller“ führt zurück in jenen brandenburgischen Weiler
Fürstenfelde, der dem lesenden Publikum aus „Vor dem Fest“ bekannt ist: Ein
geheimnisvoller schwarzgekleideter Mann hält im Dorf Einzug, der
verspricht, mittels selbstgebauter Tierfallen sämtlicher Probleme der
Dorfbewohner Herr zu werden. In der Tat bringen die oft merkwürdigen,
leicht fantastischen, manchmal fast nur imaginären, stets aber strikt
pazifistischen Fallen, die der Mann aufstellt, manches ins Rollen, und sei
es nur in den Köpfen der Menschen – bis er eines Tages, zusammen mit einer
zahmen Ratte, das Dorf wieder verlässt.
Damit verliert sich seine Geschichte ebenso im Unbekannten wie die des
Rattenfängers von Hameln, von dem ja auch niemand weiß, was wohl aus ihm
ward. Das ausgesprochen Unvollendete dieser, nein, fast aller Geschichten
in diesem Band bedeutet aber auch, dass sie jederzeit irgendwo, irgendwann,
irgendwie wieder auftauchen könnten. Vielleicht auch Georg Horváth in
Stockholm, des Ich-Erzählers Freund Mo in Fürstenfelde, und die Ratte in
Südfrankreich. Denn dies ist nicht die wirkliche Welt, es ist Stanišić’
Zauberwelt. Und darin kann alles passieren.
15 May 2016
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Erzählungen
Kurzgeschichte
Literatur
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse
Thalia-Theater
Sasa Stanisic
Lesestück Recherche und Reportage
Kinderbuch
Indien
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Herkunft“ von Saša Stanišić: Der Festlegung entgehen
Saša Stanišić erzählt von seiner Fluchtgeschichte und setzt seiner
Großmutter ein Denkmal. Herausgekommen ist das fantastische Buch
„Herkunft“.
Theaterstück „Vor dem Fest“ in Hamburg: Abgesang auf das analoge Leben
Regisseurin Charlotte Sprenger bastelt am Thalia Theater aus dem Roman „Vor
dem Fest“ des in Hamburg lebenden Autors Saša Stanišić etwas Mächenhaftes.
Schwerin spielt Saša Stanišićs Roman „Das Fest“: Keine Angst vor Abseiti…
Regisseur Martin Nimz gelingt mit seiner Stanišić-Inszenierung eine
ungeschönte, aber nicht minder zärtliche Liebeserklärung an die Weiten
Ostdeutschlands.
Neuer Roman „Tierchen unlimited“: Die Pfalz ist cooler
Migrantenliteratur? Punk! Tijan Silas Debüt macht beim Lesen richtig Spaß –
genauso wie ein Spaziergang mit ihm durch Kaiserslautern.
Zwei neue Comics: Tödlicher Schnee in Buenos Aires
Düstere Science-Fiction: Hector Oesterhelds argentinischer Klassiker
„Eternauta“ und Philippe Druillets „Lone Sloane“.
500. Todestag von Hieronymus Bosch: Alte und neue Meister
Inspiriert vom Werk des Malers Hieronymus Bosch erscheint zu dessen 500.
Todestag ein prachtvolles Bilderbuch von Thé Tjong-Khing.
Die bengalischen „Buddenbrooks“: Lieben, Intrigen, Reibereien
Neel Mukherjees Roman „In anderen Herzen“ ist ein großes Familienepos. Es
erzählt eine Geschichte aus der Historie Indiens.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.