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# taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Endlich innerlich tot
> Game of Thrones ist eine Rosskur gegen Empathie. Wie die HBO-Serie dabei
> helfen kann, die brutale Realität zu ertragen.
Bild: Theon Grayjoy (Alfie Allan, l.) und Sansa Stark (Sophie Turner) ist kalt:…
Mein Problem ist, dass ich keine Gewalt ertrage. Die Welt ist viel zu
schlecht und brutal für mich, viel zu weit weg von meinem Ideal einer
flauschfarbenen Kissenschlacht-Kuschelparty, in der man Streitereien durch
Törtchenbacken löst. Die reale Welt halten nur echte Männer aus, emotionale
Eisblöcke, bekennende Nullempathiker. Und so einer bin ich nicht. Noch
nicht.
Denn ich arbeite dran. Ich härte mich ab, per Konfrontationstherapie. Ich
gucke „Game of Thrones“. Das ist der Fantasy-Politthriller mit Drachen und
Eiszombies, von dem gerade die sechste Staffel angelaufen ist.
Dahinter steht der US-amerikanische Bezahlsender HBO. Der stopft pro
Staffel rund 50 Millionen Dollar in seinen spieltheoretischen
Mittelaltermarkt. Um die wieder hereinzubekommen, hält die Serie ihre Fans
mit Sex, Gewalt und sexueller Gewalt bei der Stange. Das ist bekannt, es
ist die Marke der Serie. Schlitz, spritz, röchel. Das gehört einfach dazu.
„Igitt“, sagte eine Freundin, der ich die Serie empfohlen hatte. „In nur
einer Folge sind ein Dutzend Menschen erstochen und drei Frauen misshandelt
worden, warum guckst du dir so was an?“
Alles fühlt sich ganz taub an
Ich hatte keine Antwort. Ein bisschen habe ich mich sogar geschämt. Der
schützende Bildschirm verhindert, dass ich fühle, was ich normalerweise
empfinden würde. Gewaltfernsehen stumpft ab. Doch doch, das tut es!
Immerhin ist das zufällig ein ganz prima Training für meinen Beruf.
Feinfühligkeit ist nämlich auch ein Problem beim Medienmachen. Wie soll man
denn als Winselmemme den Tod, das Leid und den vielen überflüssigen Hass
ertragen, der schon morgens beim ersten Grüntee über die Twitter-Timeline
splattert? Es gibt zwei Möglichkeiten.
Variante eins: den Schmerz leben. Nicht erst seitdem Menschen auf der
Flucht vor Armut und Verfolgung im Mittelmeer ertrinken, erscheint in
regelmäßigen Abständen die Mahnung zu mehr Mitgefühl. Wir müssten uns vor
der Abgebrühtheit bewahren, die durch die globale Bilderflut entsteht. Ich
hab’s versucht. Hat nicht funktioniert. Wenn ich mitfühle, kann ich meinen
Job nicht machen, kann ich noch nicht mal mehr meine Wohnung putzen. Ich
bin gelähmt vom Leid fremder Menschen, die nichts davon haben, dass ich mit
ihnen leide.
Deswegen mach ich’s jetzt anders. Variante zwei: Ich setze mich dem
Schrecken von „Game of Thrones aus“, der übertrieben und viel zu nah ist.
Ich verkrieche mich in meine Couchkissen, beiße die Zähne fest in die
Kuscheldecke und lass schwitzend und wimmernd das ganze Kunstblut und die
Spezialeffektgedärme durch mein System pumpen. Bis ich endlich innerlich
tot bin und sich alles ganz taub anfühlt.
Erst Häuten, dann Kastration
So erreichen die schrecklichen Nachrichten aus der echten Welt zwar meine
oberen Hautschichten, aber nicht mein Herz. Nach etwas mehr als fünf
Staffeln Anti-Empathie-Kur ist kaum noch etwas in mir, das zu einer Regung
fähig wäre. Was soll’s, ich bin gereinigt vom Mitleid, diesem Laster, das
schon den alten Griechen und den Aufklärern ein Gräuel war.
Folter in Ägypten, Mexiko und Guantánamo? Okay, zur Kenntnis genommen.
Juckt mich nicht, immerhin habe ich mir eben noch reingezogen, wie jemandem
am Andreaskreuz die Haut abgeschält und der Penis abgeschnitten wurde.
Babys werden in Idomeni in Schlammpfützen gewaschen? Bei „Game of Thrones“
werden Neugeborene von Hunden gefressen oder sie werden im Wald ausgesetzt,
wo sie die Eiszombies holen. Noch was? Vergewaltigung? Ach komm, neulich
wurde die Königinmutter von ihrem Zwillingsbruder auf dem Sarg ihres Sohnes
zum Sex gezwungen. Normal.
Allein, ganz am Ziel bin ich noch nicht. Erst kürzlich ist in meinem
erweiterten Umfeld ein Hase gestorben. Da habe ich etwas gefühlt. Das ist
leider inakzeptabel. Ich hoffe also, dass „Game of Thrones“ um eine
weitere, siebte Staffel verlängert wird
7 May 2016
## AUTOREN
Peter Weissenburger
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