| # taz.de -- Serienkolumne Die Couchreporter: Europas Drama in Serie | |
| > Die zweite Staffel der US-Serie „The Leftovers“ hat viele Parallelen zur | |
| > aktuellen Flüchtlingsdebatte. Sie ist eben nur nicht echt. | |
| Bild: Vor den Toren von Miracle ist ein richtiges Lagerdorf entstanden. Hallo I… | |
| Vergangene Woche [1][war ich in Izmir] in der Türkei. Das ist jene | |
| Küstenstadt, von der aus im Sommer und Herbst Tausende Flüchtlinge in | |
| Schlauchboote gestiegen sind, um über das Meer nach Griechenland und damit | |
| nach Europa zu fahren. | |
| Heute steigt dort kaum noch jemand in Boote. Der Deal mit der Türkei hat | |
| die Schlepper auf neue Routen verdrängt, die Flüchtlinge folgen ihnen. Wenn | |
| man heute an der Steilküste vor Izmir entlangläuft, die griechische Insel | |
| Chios in Sichtweite, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es hier | |
| zugegangen sein muss. Mir kam dabei die zweite Staffel der HBO-Serie | |
| „[2][The Leftovers]“ in den Sinn. | |
| Der Kern der Serie ist eine Dystopie: Von einer Sekunde auf die andere | |
| verschwinden zwei Prozent der Weltbevölkerung. Die erste Staffel handelt | |
| davon, wie die Übriggebliebenen, die „Leftovers“, versuchen, klarzukommen. | |
| Die zweite Staffel spielt an dem Ort, den alle Miracle nennen. Es ist der | |
| einzige, aus dem niemand verschwunden ist. Er muss etwas Magisches haben. | |
| Viele wollen dort hinziehen, Kranke werden dort geheilt. | |
| Ich hab mir nun also Europa als Miracle vorgestellt, als den Ort, der seit | |
| 70 Jahren vom Schrecken verschont bleibt. Keine Naturkatastrophen wie in | |
| Südostasien. Keine Hungersnot, wie sie derzeit in Äthiopien droht. Keine | |
| Kriege wie im Nahen Osten. Keine zerfallenden Staaten wie in Nordafrika. | |
| Europa ist das Wunder, von dem sich viele Menschen ein besseres Leben | |
| versprechen. | |
| Aber auch Miracle „kann nicht alle aufnehmen“. Miracle hat Obergrenzen | |
| eingeführt. Rein kommt nur, wer ein langes Bewerbungsverfahren durchläuft | |
| und eine Genehmigung bekommt (Hallo [3][Asylrechtsverschärfung]). Miracle | |
| ist rundum eingezäunt (Hallo Orbán, Hallo Bulgarien, Hallo Mazedonien), | |
| wird von bewaffneter Polizei bewacht (Hallo Frontex). Um die Stadtgrenzen | |
| drumherum hat sich ein riesiges Lager gebildet, in dem Menschen darauf | |
| warten, in Miracle wohnen zu dürfen (Hallo [4][Idomeni], Hallo | |
| [5][Calais]). | |
| ## 500 Leute in Ruinen | |
| So wie dieses Lager aussieht, so ungefähr habe ich mir Izmir bis vor Kurzem | |
| vorgestellt. In einer Bucht steht ein riesiger Hotelkomplex, der nie fertig | |
| gebaut wurde. Ruinen von Bungalows, ohne Fenster und Türen: Das sogenannte | |
| „afghanische Dorf, weil hier vor allem Afghanen gewartet haben, bis zu 500 | |
| Leute pro Nacht. | |
| Überall liegen noch Essenverpackungen, Windeln, Pullover, Kinderschuhe, | |
| vergilbte Familienfotos. Gegen 3 oder 4 am Morgen haben die Schlepper die | |
| Leute in die Boote getrieben. Ohne Licht durch die Dunkelheit, rein in die | |
| Boote und dann hoffen, dass sie die vier Kilometer bis ins griechische | |
| Hoheitsgewässer schaffen. Auch in Miracle versuchen Leute, nachts durch den | |
| Zaun zu schlüpfen. Es gelingt ihnen selten, und wenn, dann werden sie | |
| irgendwann als Eindringlinge erkannt und abgeschoben. | |
| Die Staffel endet im Übrigen damit, ACHTUNG SPOILER, dass die, die vor den | |
| Stadtmauern hausen, Miracle stürmen. In Zeitlupe und mit großer Wut. Ein | |
| bisschen wie in Idomeni – nur dass [6][deren Sturm] auf Europa erstens an | |
| Tränengas und Gummigeschossen scheitert und zweitens ohne Special Effects, | |
| dramatische Musik und Heldengeschichte auskommen muss. | |
| 20 Apr 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
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