# taz.de -- Schnellere Abschiebungen: Regierung lügt sich Realität schön | |
> Die Bundesregierung will die Maghrebländer zu sicheren Herkunftsstaaten | |
> erklären. Doch Homosexualität ist in diesen Ländern strafbar. | |
Bild: Auch nach Tunesien, Marokko und Algerien: Abschiebung abgelehnter Asylbew… | |
BERLIN taz | Offiziell fühlt sich die Koalition den Rechten von Schwulen | |
und Lesben verpflichtet. Das versprechen CDU, CSU und SPD jedenfalls in | |
ihrem Koalitionsvertrag. Darin steht zum Beipiel der wohl klingende Satz: | |
„Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierungen von (…) | |
Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen | |
Bereichen beendet werden.“ | |
Doch dieses Versprechen gilt nicht für ausländische Homosexuelle, die | |
besonderen Schutz brauchen. Schwule und Lesben aus nordafrikanischen | |
Staaten, die in ihrer Heimat Strafverfolgung fürchten müssen, zeigt die | |
Bundesregierung ein anderes, kaltes Gesicht. Das belegt das Gesetz, mit dem | |
die Koalition Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten | |
erklären will. Der Entwurf wird im Moment im Bundestag und im Bundesrat | |
beraten. | |
In allen drei Staaten ist Homosexualität laut Gesetz strafbar. Schwule oder | |
Lesben, die erwischt werden, können ins Gefängnis wandern. | |
Menschenrechtsorganisationen haben Fälle von Folter dokumentiert, zum | |
Beispiel kam es zu „analen Untersuchungen“ im Gefängnis – gegen den Will… | |
der Inhaftierten. Beispiel Algerien: Dort müssen Schwule und Lesben mit | |
einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. | |
Für die Erregung öffentlichen Ärgernisses „gegen die Natur mit Personen des | |
gleichen Geschlechts“ gibt es bis zu drei Jahre Haft. | |
Wie lassen sich Schnellabschiebungen von Homosexuellen in einen solchen | |
Staat rechtfertigen? Die Regierung greift zu einem abenteuerlichen | |
Argument. In einer Antwort an den Bundesrat, der Zweifel anmeldete, führt | |
sie aus: „Homosexualität wird für die Behörden [in Algerien] dann | |
strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird.“ Wenn man die | |
Begründung, die der taz vorliegt, im Sinne der Regierung vervollständigt, | |
heißt das: Schwule und Lesben bekommen keine Probleme, wenn sie ihre | |
Sexualität im Geheimen leben. Sie können also unproblematisch abgeschoben | |
werden. | |
## Kritik von allen Seiten | |
Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Grünen-Fraktion, wirft der | |
Regierung „ein skandalöses Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung“ | |
vor. Sie erteile den Maghrebstaaten damit „einen Blankocheck für | |
Menschenrechtsverletzungen.“ Auch diverse Menschenrechtsorganisationen und | |
die beiden großen Kirchen wehren sich mit aller Kraft gegen den | |
Gesetzentwurf. In einer Anhörung im Innenausschuss, die am Montag | |
Nachmittag stattfand, schlugen mehrere geladene Sachverständige der | |
Bundesregierung ihr Gesetz um die Ohren. | |
Der Ratschlag der Regierung an Schutzsuchende, ihre Sexualität geheim zu | |
halten, verstoße gegen die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes, | |
wirft der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) der Bundesregierung vor. Der | |
EuGH hatte 2013 entschieden, dass Behörden bei einer Prüfung nicht von | |
Asylbewerbern erwarten könnten, dass sie ihre Homosexualität in ihrem | |
Herkunftsland geheim hielten. Die Position der Regierung sei daher | |
„menschenrechtlich unhaltbar“, folgert der LSVD in seiner Stellungnahme an | |
den Innenausschuss. | |
Das sehen auch Amnesty International und andere | |
Menschenrechtsorganisationen so. Amnesty verweist in seiner Stellungnahme | |
ebenfalls auf das EuGH-Urteil. Und zieht das Fazit: „Die Kriminalisierung | |
von Homosexualität (…) muss auch von der Bundesregierung als | |
Menschenrechtsverletzung benannt und anerkannt werden.“ | |
Das Gesetz ist eine Antwort der Regierung auf die sexuellen Attacken der | |
Kölner Silvesternacht. Menschen aus den drei nordafrikanischen Staaten, so | |
die Botschaft, sollen schnell und unkompliziert abgeschoben werden können. | |
Der Entwurf soll bis zur Sommerpause Bundestag und -rat passieren. In der | |
Länderkammer müssen auch rot-grüne Landesregierungen zustimmen, damit er | |
eine Mehrheit bekommt. | |
## Grüne in Not | |
Gerade die Grünen stürzt dies in Nöte. Offiziell lehnt die Partei das | |
Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab. Die Fraktion hat sich in einer | |
Plenardebatte bereits hart gegen den Plan gestellt, Algerien, Marokko und | |
Tunesien für sicher zu erklären. Doch Baden-Württembergs Ministerpräsident | |
Winfried Kretschmann (Grüne) hat in der Vergangenheit Erweiterungen der | |
Liste der sicheren Herkunftsstaaten abgesegnet. | |
Die Bundesregierung verweist dagegen auf die niedrigen Schutzquoten für | |
Leute aus den nordafrikanischen Staaten. 2015 wurde nur knapp ein Prozent | |
der Asylbewerber aus Algerien und 2,3 Prozent der Asylbewerber aus Marokko | |
anerkannt. Die Anerkennungsquote für Tunesien lag sogar bei Null. Die | |
Koalition will mit dem Gesetz Leute abschrecken, die keine Chance auf Asyl | |
haben, weil sie vor Armut oder Perspektivlosigkeit fliehen. | |
Bereits die öffentliche Diskussion über das Gesetz scheint abschreckend zu | |
wirken. Das belegen Zahlen des Bundesamtes für Migration. Im Januar kamen | |
1.563 Menschen aus Algerien nach Deutschland, aus Marokko kamen 1.623 und | |
aus Tunesien 170. Im Februar und März waren es deutlich weniger. Im März | |
zählte das BAMF nur noch 212 Menschen aus Algerien, 225 aus Marokko und 43 | |
aus Tunesien. BAMF-Abteilungsleiterin Ursula Praschma sagt: Die Diskussion | |
über das Gesetz im Januar habe „zu einer spürbaren Reduzierung bei den | |
Neuzugängen geführt.“ | |
26 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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