| # taz.de -- Koalitionsvertrag Baden-Württemberg: Die Zukunft der Kiwi | |
| > Der Koalitionsvertrag steht: Die Grünen haben sich auf vielen Feldern | |
| > durchgesetzt, die CDU darf auf mehr Polizisten verweisen. | |
| Bild: Geht es jetzt wirklich bergauf? | |
| Stuttgart taz | Die bundesweite erste Regierung, in der die Union die | |
| zweite Geige hinter den Grünen spielt, steht. Der am Montag vorgestellte | |
| baden-württembergische Koalitionsvertrag beweist, dass die | |
| CDU-Wahlverlierer in ihrem Bemühen, zentrale Reformen der grün-roten | |
| Landesregierung zurückzudrehen, auf ganzer Linie gescheitert sind. Dennoch | |
| spricht der alte und neue Ministerpräsident, Winfried Kretschmann (Grüne), | |
| von einer neuen „bürgerlichen Koalition“, die mehr sein wolle und mehr | |
| leisten müsse als eine Zusammenarbeit auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. | |
| Die 140 Seiten Arbeitsgrundlage für die kommenden fünf Jahre strotzen | |
| allerdings von vielen warmen Worten. Beispiel gefällig? „Insgesamt | |
| betrachten wir die fruchtbare Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovation | |
| als eines unserer zentralen gemeinsamen Projekte“, heißt es da etwa. | |
| Im Vergleich dazu in Stein gemeißelt – Kretschmann hat das Bild von einer | |
| mit Mörtel befestigten Trockenmauer eingeführt – sind die Leitlinien in der | |
| Bildungspolitik. Fünf Jahre lang hatte die Landes-CDU die neue | |
| Gemeinschaftsschule schlechtgeredet. Doch die Grünen waren ganz und gar | |
| nicht bereit, sich die Reformschule abhandeln zu lassen – und setzten sich | |
| durch, wie sie überhaupt in der Gesamtbilanz dieses wochenlangen Tauziehens | |
| einen Punktsieg für sich verbuchen können. | |
| Für das zweite zentrale CDU-Wahlversprechen, die flächendeckende | |
| Wahlfreiheit zwischen einem acht- und neunjährigen Gymnasium nach | |
| hessischem Vorbild, fehlen die Mittel. So bleibt es als Regel bei der | |
| achtjährigen Oberstufe. Das von der Union favorisierte Familiengeld, das | |
| jenen Eltern zugute kommen sollte, die ihre Kinder lieber daheim betreuen, | |
| wurde ins Gegenteil verkehrt: Jetzt gibt es 75 Euro monatlich für | |
| diejenigen, die ihr Kind im letzten Jahr vor dem Schuleintritt in den | |
| Kindergarten gehen lassen. | |
| ## Ärger mit der Basis | |
| Winfried Kretschmann ist keiner, der zu triumphalen Auftritten neigt. Eher | |
| im Gegenteil: Sein Team hatte den landespolitisch unerfahrenen | |
| CDU-Verhandlern mit Thomas Strobl an der Spitze sogar Formulierungshilfen | |
| für Auskünfte auf dem verminten Feld der Bildungspolitik mit auf den Weg | |
| gegeben. Strobl verzichtete dankend und löste mit ungeschickten | |
| öffentlichen Formulierungen prompt Ärger an seiner Basis aus. | |
| Als der designierte Vizeministerpräsident dann am Montag auf die eigenen | |
| Duftmarken im Koalitionsvertrag angesprochen wurde, konnte Thomas Strobl | |
| vor allem auf die 1.500 neuen Stellen bei der Polizei verweisen. Wurde | |
| hingegen Landesvater Kretschmann nach seinen Verhandlungserfolgen gefragt, | |
| dann übte der sich in Zurückhaltung, redete nicht über Windenergie und | |
| Integration, nicht darüber, dass er auch seine Staatsrätin für | |
| Zivilgesellschaft, Gisela Erler, behält. Stattdessen betonte Kretschmann | |
| die geplanten Schnellwege für Elektroräder als Leuchtturmprojekt. Und der | |
| Ministerpräsident lobte die gemeinsamen christlichen Werte nach dem Motto: | |
| Die bemüht gute Stimmung wird ohnehin noch schnell genug getrübt. | |
| In ihrem Landtagswahlprogramm thematisierten die Grünen die Modernisierung | |
| Baden-Württembergs, im Landbau und im Umgang mit Transgender – ein Begriff, | |
| den sich die CDU im Koalitionsvertrag verbeten hat –, in der Finanzpolitik, | |
| im Klimaschutz oder bei der Bürgerbeteiligung. Nach Lektüre der 138 Seiten | |
| mit dem nach Werbeagentur klingenden Titel „Verlässlich. Nachhaltig. | |
| Innovation“ ist eines der größten Modernisierungsversprechen die | |
| Ressortverteilung. Denn die CDU wird im Bildungsministerium schnell mit den | |
| wirklichen Herausforderungen – demografischer Wandel und Zuwanderung – | |
| konfrontiert werden. Und der oder die Agrarministerin – wird anerkennen | |
| müssen, dass mehr Öko nicht des Teufels ist, sondern unter anderem ein | |
| zentraler Bestandteil der gegenwärtigen EU-Förderpolitik. | |
| „Ich glaube, wir haben’s gut gemacht“, sagt Thomas Strobl dennoch zu | |
| Winfried Kretschmann beim Handschlag für die Kameras. „Wir werden es gut | |
| machen müssen“, korrigiert der Grüne. | |
| 2 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Johanna Henkel-Waidhofer | |
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