| # taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Kaputt sein bleibt Männersache | |
| > Wie „Mad Men“, nur Siebziger: So ist die neue HBO-Serie „Vinyl“. Es | |
| > stellt sich die Frage, warum wir Menschen so sehr feiern, die sich selbst | |
| > zerstören. | |
| Bild: Es lebe der Exzess | |
| Die erste Szene reicht, um zu kapieren, um was es bei der HBO-Serie „Vinyl“ | |
| geht: um Kaputtheit. „Recordman“ Richie Finestra sitzt schwer atmend in | |
| seinem Benz in einer schäbigen New Yorker Straße. Am Straßenrand duselt ein | |
| Penner vor sich hin (Achtung, Symbolbild). | |
| Finestra ersteht beim Dealer einen Batzen Koks und hackt sich seine Lines | |
| auf der glatten Fläche des Rückspiegels, den er dazu kurzerhand abgebrochen | |
| hat. Mit der Visitenkarte eines Polizisten, der ihn sucht. Bad Ass. Keine | |
| Frage. | |
| Die Analogien zwischen „Vinyl“ und „Mad Men“ sind dabei so umfassend, d… | |
| man Absicht unterstellen kann. Nach dem Motto: Lief gut, machen wir einfach | |
| noch mal, nur mit anderer Kulisse (70er statt 60er). | |
| Eine Firma (Musikbusiness statt Werbebranche), in der exaltierte Männer | |
| rauchend und saufend (in „Vinyl“ auch alles andere konsumierend) glauben, | |
| durch ihre bloße Existenz die Welt zu retten. Sexuelle Belästigung als | |
| Normalzustand, eine Assistentin, die sich im Männerbusiness beweisen will. | |
| Ein Trophy-Wife, die mehr oder weniger hilflos dabei zusieht, wie sie ihren | |
| scheiternden Mann verliert. | |
| ## Selbstzerstörerischer Hedonismus | |
| Man kann sich denken, wie es weitergeht – und wird trotzdem gucken. Auch | |
| das weiß man nach der ersten Szene. Und HBO weiß es auch. Die zweite | |
| Staffel ist bei den Produzenten Martin Scorsese und Mick Jagger schon in | |
| Auftrag gegeben, obwohl die erste noch gar nicht zu Ende ausgestrahlt ist. | |
| Kaputtheit ist ein Motiv, das einen immer wieder packt. Die Frage ist nur: | |
| Warum? | |
| Dieser zügellose, selbstzerstörerische Hedonismus muss eine Projektion | |
| sein, die das Gehirn beim bloßen Zusehen Dopamin ausschütten lässt. Living | |
| on the edge. Popkulturell gesehen unglaublich cool. Eine verquere Metapher | |
| auf das Echte, das Leben als Exzess, das | |
| Alles-mitnehmen-und-nichts-verpassen-Wollen. | |
| Ein Paradox, weil man in der Realität mit einem cholerisch-depressiven, | |
| treulosen, alkoholkranken Arschloch lieber nichts zu tun haben will (und | |
| wenn doch, dann stimmt was nicht). Nur: Nichts ist langweiliger anzusehen | |
| als glückliche Menschen. | |
| Don Draper in „Mad Men“, Hank Moody in „Californication“, Walter White … | |
| „Breaking Bad“: Wir feiern Männer dafür, dass sie sich selbst zerstören. | |
| Übrigens auch in der Literatur, vor allem in der aktuellen. Siehe | |
| „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre oder „Der Jonas-Komplex“ von | |
| Thomas Glavinic. | |
| ## Rolemodels | |
| Die Betonung liegt auf Männer. Für Frauen gibt es ein derart idealisiertes | |
| Rolemodel nicht – zumindest nicht in dieser grundlosen Sinnlosigkeit. | |
| Selbst Amy Winehouse soff aus Liebeskummer. Das fiele kaputten Männern | |
| niemals ein. Im Gegenteil: Frauen gehören zu den Dingen, die sie wahllos | |
| konsumieren. | |
| Das ist es auch, was Carrie Mathison aus „Homeland“ zu einer so | |
| außergewöhnlichen Heldin macht. Sie ist eine kaputte Frau. Und gerade | |
| deshalb so gut darin, böse Terrornetzwerke zu verstehen. | |
| Carry wird dafür in der aktuellen Staffel (Achtung Spoiler!) von ihrem | |
| Lover verlassen. Man möchte hoffen, dass das auch Richie Finestra in | |
| „Vinyl“ passiert. Wenn die Serie allerdings wirklich bei „Mad Men“ | |
| abgekupfert ist, findet seine Frau einfach einen anderen reichen Mann. Und | |
| Carry, die auch ohne Lover bestens Rätsel löst, wird auch weiterhin | |
| einzigartig sein. | |
| 6 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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