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# taz.de -- Buchvorstellung in Hamburg: Ein Zittern
> Benjamin von Stuckrad-Barre präsentiert seine Selbstbetrachtung
> „Panikherz“. Sein Lesen ist ähnlich tragisch wie sein Leben.
Bild: Kaum vorstellbar, dass er nicht auf Koks ist. Kaum vorstellbar, dass er a…
Hamburg taz | Du erkennst ihn an der Körpersprache. Benjamin von
Stuckrad-Barre ist da. Erst, ja gut, Udo Lindenberg, dann, kurz, diese
koksige Musik aus Lautsprecherboxen und schließlich rennt Benjamin von
Stuckrad-Barre auf die Bühne, springt hinunter, sprintet in den weiten
Saal, wieder wie besessen, durch die Stuhlreihen – er: der Geilste -, post
und jubelt und lässt sich bejubeln, so als ginge das hier alles um seine
Wiederauferstehung und das Traurige an diesem Leseabend ist: So ist es.
Dieser geschundene Benjamin von Stuckrad-Barre. Ein Popstar, durchgekokst,
ausgehungert, weltverloren, selbstverliebt, selbstverloren. Leider ist das
kein Abend zum In-den-Arm-nehmen, zum In-die-Ecke-Gehen, zum Festhalten,
Ihn-streicheln, diese Jungen im alltagswahnlichen Aufreißerkostüm.
Festhalten: Diesen großen Schreiber, der mit diesem Buch doch so sehr
versucht, sich zurück ins Leben zu winden. [1][Panikherz] - besprochen,
überdreht und überhöht, aber: ein äußerst lesenswertes Buch.
45 Sekunden dauert seine Heldenpose an diesem Montagabend, dem Auftaktabend
seiner Lesetour, vor hunderten zahlenden Gästen in der Markthalle Hamburg.
Dann geht Benjamin von Stuckrad-Barre auf die Bühne und beginnt zu zittern.
## Außer Atem
Sein Körper bebt unkontrolliert, er setzt sich dort vorn in die Mitte an
den Tisch, wo [2][Sven Regener] und [3][Christian Ulmen] schon still sitzen
und ihm Halt geben durch ihre Ruhe.
Stuckrad-Barre ist außer Atem, er liest jetzt, er liest zu schnell, er
haspelt beim Lesen und fängt rasch an zu rauchen. Marlboro Menthol, eine
nach der anderen. Kaum vorstellbar, dass er nicht auf Koks ist. Kaum
vorstellbar, dass er auf Koks ist.
Die Adern an seinen Schläfen sind geschwollen, die Unterlippe auf diese
eigene Art so sehr nach vorn geschoben, sein Kiefer steif. Einmal reibt er
seine gespreizte Hand über den rasierten Schädel, drückt sich mit dem
Ringfinger auf die Schädelhaut, nochmal. Seine rechte Hand zittert auch
noch als er sich nach 55 Minuten zum dritten mal Wasser nachschenkt aus
einer Kunststoffmineralwasserflasche.
„Ihm“, heißt es an einer Stelle seines Buches, „macht keiner mehr was vo…
nur er sich selbst.“ „Der Hafen“, heißt es an einer anderen Stelle, „w…
auch mein Sehnsuchtsgebiet, da bekam ich Heimweh der verlässlichsten Sorte,
nämlich nach einer Heimat, die es nie gegeben hat.“
## In Scherben
Sein Text brilliant, sein Lesen tragisch wie sein Leben. Es gibt an diesem
Abend einen Moment, in dem Benjamin von Stuckrad-Barre nicht zittert. Es
ist die 65. Minute seiner Lesung, die zwei Stunden dauert. Sein Körper
wirkt in dieser Minute etwas ruhender, seine Stimme etwas ruhiger und
stabiler und er liest davon, wie er sich einst in den Scherben blauer
Mineralwasserflaschen wälzte, ohne sich zu verletzen.
„In einer Nacht konnten wir sogar plötzlich alle Italienisch sprechen,
einfach, weil wir es wollten.“ Es ist das einzige Mal an diesem Abend, an
dem sein Körper signalisiert, dass er vielleicht zu sich kommt,
millimeterweise.
Dann liest er weiter: „Wir waren in meiner Erinnerung eigentlich alle
wirklich jeden Abend draußen, angetrunken, aber nie besoffen, zuweilen
druff, aber nie drüber, alle fröhlich, liebevoll, lustig, ohne Arg; die
einzige Phase meines Lebens, in der ich ‚Wir‘ statt ich sagen konnte.“
Dann schon, nach wenigen Sekunden, zittert er wieder.
15 Mar 2016
## LINKS
[1] /!5280394/
[2] http://www.svenregener.de/
[3] http://www.ulmen.tv/
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Benjamin von Stuckrad-Barre
Kokain
Lesung
Sven Regener
Christian Ulmen
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Buch
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