# taz.de -- Die Küste Nordirlands: Die Welt pilgert zum Königsweg | |
> Nordirland ist ein Hauptschauplatz der Fantasyserie „Game of Thrones“. | |
> Der Erfolg brachte den vergessenen Teil der Insel auf die Weltbühne. | |
Bild: Bogenschiessen in Winterfell | |
Genau hier sei es gewesen, in der dunklen Nische im Sandstein dahinten, | |
sagt der junge Mann in hörbar indisch gefärbtem Englisch. „Hier hat die | |
rote Priesterin Milisandre den Schatten geboren, der später Renley | |
Baratheon ermordet hat.“ Zum Beweis holt der Mann sein Tablet aus der | |
Umhängetasche. Auf dem Bildschirm entkleidet sich Sekunden später eine | |
blasse Rothaarige im Fackelschein. „Sehen Sie, genau dieselbe Stelle – nur | |
war es mitten in der Nacht.“ | |
„Die Nacht ist dunkel und voller Schrecken“, pflegt die rote Priesterin | |
Melisandre in solchen Augenblicken Mantra-artig ihren Anhängern vorzubeten. | |
Eben will man trotzdem dem Inder, der sich als Navid aus Belfast vorstellt, | |
erklären, dass Melisandre nur eine Figur in der US-amerikanischen | |
Fantasyserie „Game of Thrones“ des Bezahlsenders HBO nach den Romanen von | |
George R. R. Martin spielt. Da zeigt Navid auf das, was man selbst für ein | |
banales Absperrgitter am Ende der kleinen Sandsteinhöhle in den Klippen des | |
nordirischen Dorfes Cushendum gehalten hatte. „Dieses Gitter hat den | |
Figuren den Weg versperrt. Die Szenen wurden durch die Latten gefilmt“, | |
sagt er mit Kennerblick. | |
„Game of Thrones“ ist längst ein vielfach preisgekrönter Welterfolg. Auch | |
wenn die verworrene Geschichte um den Kampf mehrerer Familien um den | |
Eisernen Thron von Westeros als märchenhaft überhöhtes Mittelalterspektakel | |
daherkommt, haben die Macher von Anfang an auf teils spektakuläre reale | |
Schauplätze gesetzt. Die aufwendige Bildsprache brachte nicht nur der Serie | |
eine wachsende Fangemeinde. Die Drehorte selbst wurden zu Pilgerstätten. | |
Cushendum ist ein hübsches Kaff an der Ostküste Nordirlands, gut eine | |
Autostunde nördlich von Belfast. Früher hielten hier allenfalls Leute an, | |
die in der Bucht Kajak fahren wollten, wenn überhaupt Leute kamen. | |
Schließlich hatte Nordirland noch Jahre nach dem Ende der „Troubles“, wie | |
sie hier den Bürgerkrieg mit viel Understatement nennen, keinen besonders | |
sicheren Ruf. Doch seit gut 18 Monaten ist das anders. | |
## Im Umland von Ballymoney | |
„Im Sommerhalbjahr kommen jeden Tag vier bis sechs Busse auf speziellen | |
Touren aus Belfast“, staunt Cormac, der heutige Besitzer von Mary McBride’s | |
winziger Bar am nicht größeren Hafen. Die wenigsten Touristen bleiben | |
länger als 15 Minuten, denn auf ihrer Tribute-Tour zu den Schauplätzen der | |
Serie haben die meisten einen eng gesteckten Zeitplan. | |
Allein 22 Drehorte hat Navid auf seinem Tablet gelistet, die er mit einem | |
Freund abklappert. Für Cushendum und den ganzen Norden sei die Serie | |
dennoch ein Glücksfall, sagt Barbesitzer Cormac. Das Tourismusbüro | |
Nordirlands hat vor der Höhle wie andernorts auch flugs eine Infotafel | |
aufstellen lassen. Und in der Bar wurde eine von zehn kunstvoll | |
geschnitzten Türen aus dem Holz der Dark Hedges aufgehängt, die in der | |
Serie die Straße nach Königsmund darstellen. | |
Apropos Dark Hedges. Wer erleben möchte, wie eine kommerzielle Fantasyserie | |
die Realität einer ganzen Region verändern kann, der sollte eben hierher | |
ins Umland von Ballymoney fahren. Die adligen Besitzer ließen im 19. | |
Jahrhundert eine Allee von Rotbuchen zwischen die Felder pflanzen, die zu | |
ihrem Landsitz Gracehill House führt. Fotografen schätzen die | |
verwunschen-verwachsenen Bäume schon länger als Fotomotiv. | |
Die Location-Scouts von HBO erkoren sie 2010 für „Games of Trones“ zum | |
Königsweg. An einem Sonntagmorgen im Juni sieht man auf der engen Straße | |
die Allee vor lauter Bussen nicht mehr. Hunderte Besucher pilgern mit | |
Selfiesticks bewaffnet die 300 Meter von Baum zu Baum. Mountainbiker in | |
bunten Trikots schlängeln sich durch die Massen. Autofahrer suchen einen | |
Parkplatz mitten in der Kulisse. Die Dark Hedges sind zum Trend-Spot mitten | |
auf dem Land geworden. | |
Und nicht nur sie: Selbst das abgelegene Ballintoy hat neuerdings viele | |
Besucher, seit Theon Greyjoy hier seiner Familie von den Eiseninseln die | |
Treue schwor. Wenn wie so oft dunkle Wolken über den kleinen Strand fegen, | |
wirkt das Setting umso überzeugender. Dafür nehmen viele den Umweg von der | |
Hauptroute auf einer extrem steilen wie schmalen Kurvenstraße hinab zur | |
Küste gerne in Kauf. | |
## 35 Venezolaner am Mittelalterbankett | |
Caroline McErlean und ihre Familie erlebten die ersten Dreharbeiten | |
hautnah. Die McErleans betreiben ein kleines Gasthaus mit neun Zimmern | |
namens „The Cuan“ in Strangford bei Downpatrick. 2010 und 2011 hatten sie | |
für ein Vierteljahr sämtliche Hauptdarsteller zu Gast, denn der erste | |
Drehort für den zentralen Schauplatz Schloss Winterfell – eigentlich nur | |
ein Stallgebäude für das reale Castle Ward – liegt ganz in der Nähe. | |
„Gerade die Kinder waren damals noch sehr klein und brauchten viel | |
Aufmerksamkeit“, erzählt Caroline. „Gedreht wurde fast immer nachts. So | |
mussten wir abends Frühstück servieren und morgens das Dinner.“ Offenbar | |
hat es den Schauspielern im „Cuan“ gefallen. Sean Bean, der König Ned Stark | |
von Winterfell spielte, kam sogar privat zum Tee. Zwei der Originalkostüme | |
sowie das Schwert von Ned Stark blieben in Strangford. Seine Klinge ist | |
erstaunlich scharf. | |
Für die McEerleans ist die Serie heute eine willkommene Einkommensquelle. | |
Eben haben sich 35 Venezolaner vom Mittelalterbankett erhoben. Caroline | |
begrüßt viele Übernachtungsgäste, die ausschließlich im Zimmer von Tyrion | |
Lennister oder Sansa Stark wohnen wollen. Und zum speziellen Frühstück mit | |
Speisen aus den Romanvorlagen legen sich alle die schwarzen Überhänge von | |
Haus Bolton um. Dass man danach in der kaum noch zu erkennenden | |
Winterfell-Kulisse in der Schützengarde des sadistischen Ramsey Bolton zum | |
Bogenschießen antritt, ist dann natürlich Ehrensache. | |
9 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Martin Wein | |
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