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# taz.de -- Drei Jahre NSU-Prozess: Nicht verhindert. Verschleppt!
> Drei Jahre nach Beginn stockt der NSU-Prozess erneut. Drei Anwälte eines
> Angeklagten torpedieren, wo es geht. Sie stehen der Neonazi-Szene nah.
Bild: Nicole Schneiders (l.) macht aus ihrer Nähe zur Szene keinen Hehl. Der V…
München taz | Das letzte Störfeuer liegt nur eine Woche zurück. Da meldete
sich Hermann Borchert, Wahlverteidiger von Beate Zschäpe, im NSU-Prozess zu
Wort. Er fordere eine Aussetzung des Verfahrens, um die ihm vorliegenden
Akten auf ihre Vollständigkeit zu prüfen. Borcherts anvisierte Zeit dafür:
„mindestens 100 Wochen“. Fast zwei Jahre. Eine Entscheidung des Gerichts
steht aus.
Es war nicht das einzige Verzögerungsmanöver in der jüngsten Zeit. Am 6.
Mai 2013, vor genau drei Jahren also, startete der wohl bedeutendste
Strafprozess der jüngeren deutschen Geschichte vor dem Oberlandesgericht
München. Für zehn Morde, zwei Anschläge und 15 Überfälle der rechtsextremen
Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund muss sich die
Hauptangeklagte Beate Zschäpe verantworten. Angeklagt sind auch vier
mutmaßliche Helfer. Doch trotz drei Jahren Verhandlung: Ein baldiges Urteil
ist noch immer nicht in Sicht.
War es zuerst der Streit zwischen Zschäpe und ihren Anwälten, der den
Prozess lähmte, lag es zuletzt an einer Welle von Befangenheitsanträgen aus
der Verteidigerriege. Besonders aktiv waren hier die Anwälte des als
NSU-Waffenlieferant angeklagten Ralf Wohlleben. Mal fühlten sie sich von
Richter Manfred Götzl zu „barsch“ behandelt, mal fehlten ihnen vermeintlich
Aktenteile.
Einmal ging es auch nur darum, dass eine Richterin bei einem gestellten
Antrag ihren Mundwinkel „geringschätzig“ hochgezogen habe. Mehr als ein
halbes Dutzend Befangenheits- und Aussetzungsanträge stellten die Anwälte
zuletzt.
## Kalkül: langer Prozess
Bisher lehnte das Gericht alle Anträge ab. Dennoch: Verhandlungstage fielen
aus, Zeugen blieben unbefragt. Die Verteidiger brachten den Prozess ins
Stocken. Auch aus politischem Kalkül?
Denn auffällig ist bei den drei Wohlleben-Anwälten: Aus ihrer Nähe zur
rechtsextremen Szene machen sie keinen Hehl. Nicole Schneiders taucht seit
Mitte der neunziger Jahre in Akten des Verfassungsschutzes
Baden-Württemberg auf, die die taz einsehen konnte. Demnach hielt sie
Rechtsvorträge für Neonazis, beteiligte sich an Szeneveranstaltungen, war
Mitglied von Karlsruher Kameradschaften. Zu ihren Studienzeiten war
Schneiders zudem stellvertretende NPD-Kreischefin in Jena – unter dem
Vorsitzenden Ralf Wohlleben.
Auch den Cottbusser Zweitverteidiger Olaf Klemke bezeichnet der
Brandenburger Verfassungsschutz als „Szeneanwalt“, auf Facebook ist er mit
bekannten Neonazis befreundet. Noch klarer ist die Sache bei Anwalt Nummer
drei: Wolfram Nahrath. Der Brandenburger leitete einst die rechtsextreme
„Wiking Jugend“, die 1994 verboten wurde. Bis in jüngster Zeit besuchte
Nahrath Neonazi-Aufmärsche, trat dort als Redner auf.
Was diese Szene vom NSU-Verfahren hält, ist klar: nichts. „Schluss mit dem
NSU-Schauprozess“, forderten im Januar 2015 Neonazis, als sie vor dem
Münchner Oberlandesgericht protestierten. Ihre Sympathie galt vor allem
einem Angeklagten: „Freiheit für Ralf Wohlleben“, lautete ihre Losung. Der
41-Jährige sitzt neben Beate Zschäpe bis heute als einziger Angeklagter
noch in Haft.
## „Typische Masche von Szeneanwälten“
Ein „Schauprozess“, auch für die Wohlleben-Verteidiger? Rühren daher ihre
jüngsten Manöver? Einige Anwälte der NSU-Opfer hegen diesen Verdacht. „Das
ist eine typische Masche von Szeneanwälten“, sagt Alexander Kienzle. „Wenn
es nichts mehr zu gewinnen gibt, wird versucht, das Verfahren zu
torpedieren.“ Kienzle vertritt die Familie des Kasseler NSU-Opfers Halit
Yozgat. Auch Mehmet Daimagüler, Anwalt der Angehörigen der ermordeten
Nürnberger Abdurrahim Özüdoğru und Ismail Yaşar, nennt die Anträge
„inhaltlich nicht mehr nachvollziehbar“. „Deren einziger Zweck erschöpft
sich in der Verfahrensverzögerung.“
Wohllebens Verteidiger Klemke will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, er
spricht nicht mit der Presse. Nahrath war nicht erreichbar. Schneiders
hingegen weist die Anschuldigung zurück. Ihr Vorgehen sei „ganz normales
Verteidigervorgehen“, sagte sie der taz. Auch teile sie die Einschätzung
eines Schauprozesses nicht. Das NSU-Verfahren sei ein „normaler
Strafprozess“.
Dann allerdings klagt Schneiders, dass ihr Mandant, Ralf Wohlleben, eine
„Vorverurteilung sondergleichen“ erlebe. „Es soll verurteilt werden –
komme, was wolle.“ Dies, so Schneiders, sei auch von der Politik so
gewollt.
## Verachtung für den Rechtsstaat
Also doch, ein politisch gesteuerter Prozess? Schon zuletzt hatte
Schneiders erkennen lassen, dass sie in dem Verfahren nicht nur
Wahrheitsfindung sieht. Bevor Wohlleben im Dezember eine Aussage machte,
teilte sie mit, keine Fragen zuzulassen, die „lediglich der Befriedigung
von Szenevoyeurismus dienen“. Das richtete sich offenbar an die
Opferanwälte – ein Affront. Die Aussage selbst kündigte Schneiders mit
einer aus der rechten Szene bekannten Losung an: „Der Wahrheit eine Gasse.“
Dabei hatte sich vor allem Schneiders’ Mitverteidiger Klemke im Prozess
auch Respekt verschafft. Forsch, schlagfertig, hellwach tritt dieser dort
auf. „Kompromisslos“ stehe er seinen Mandanten bei, wirbt Klemke auf seiner
Webseite, und fordere deren Rechte „peinlichst genau“ ein. Das Ziel: „Dam…
verhindere ich einen ‚kurzen Prozess‘.“
Das ist gelungen. Inzwischen hat der Senat vorsorglich neue Prozesstermine
verkündet: bis Januar 2017. Prozessteilnehmer rechnen dennoch damit, dass
bis Jahresende ein Urteil fallen könnte – wenn es nicht zu weiteren
Störmanövern kommt.
Damit allerdings ist zu rechnen. Schneiders’ Szeneschulungen zielten laut
einem Verfassungsschutzvermerk nicht darauf zu kooperieren: Dort ging es
darum, sich „gegen das Vorgehen der Polizei bestmöglich zur Wehr setzen“.
Und ihr Kollege Nahrath verhehlt seine Verachtung des Rechtsstaats
bisweilen kaum. Auf einer Neonazi-Kundgebung 2013 in Dortmund rief er: „Ihr
glaubt nicht, welche Gedankenakrobatik und welche Hirnidiotie sich in
unseren Gerichtssälen manchmal abspielen.“
5 May 2016
## AUTOREN
Konrad Litschko
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