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# taz.de -- Neues Buch von Thilo Sarrazin: Er ist wieder da
> Thilo Sarrazins neues Buch liest sich wie das AfD-Grundsatzprogramm und
> enthält jede Menge Sozialdarwinismus. Schon wieder?
Bild: Hugenottische Tugend: Unpünktlichkeit. Ob es an den Genen liegt?
BERLIN taz | Der Kulturverfall ist nicht mehr aufzuhalten. Sieben Minuten
zu spät betritt Thilo Sarrazin die Jerusalemkirche in der Berliner
Friedrichstadt. Es wird wohl an seiner hugenottischen Herkunft liegen, dass
er die preußischen Tugenden nicht beherrscht. Pünktlichkeit,
Bescheidenheit, Gewissenhaftigkeit, Redlichkeit oder Zurückhaltung – um nur
einige zu nennen – gehören jedenfalls nicht zum Standardrepertoire des
einstigen Spitzenbeamten und Politikers. Ob es an den Genen liegt?
Die Frage ist genauso absurd wie Sarrazins neues Buch, zu dessen
Pressevorstellung sein Verlag am Montagvormittag eingeladen hat. Es trägt
den Titel „Wunschdenken: Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum
Politik so häufig scheitert“ und liest sich über weite Strecken der 570
Seiten wie eine ausführlichere [1][Version des Grundsatzprogrammentwurfs
der AfD] – und ist ebenso intellektuell anspruchsvoll.
Sarrazin gibt vor, „gegen die Ausbreitung von immer mehr Dummheit“
anzuschreiben. Doch stattdessen betreibt der reaktionäre Piesepampel nichts
anderes als üble Demagogie, getrieben von einer zynischen
vulgärdarwinistischen Gesellschaftstheorie.
„Doof geboren ist keiner“, sang einst das Berliner GRIPS-Theater – der
einstige Berliner Finanzsenator, der rätselhafterweise immer noch die SPD
als seine „Heimat“ bezeichnet, glaubt an das Gegenteil. Weswegen er sich
„vor allem auch mehr Kinder von den Klugen, Gebildeten und Erfolgreichen“
wünscht.
## „Ideologie der Inklusion“
Sein Gesellschaftsbild ist absolut elitär. Entsprechend plädiert er
vehement für ein „rigides Bildungssystem“, das selbstverständlich
gegliedert zu sein hat. „Besonders diskreditiert sind bei
Gleichheitsideologen alle Unterrichtsformen, bei denen sich eine Selektion
nach der Intelligenz der Schüler und nach dem Bildungshintergrund der
Eltern ergeben könnte“, beklagt er. „Die Gleichheitsideologen möchten
offenbar nicht, dass sich die Kinder der Gebildeten und Bessergestellten in
ihren eigenen Kreisen bewegen.“ Dass er überhaupt nichts von der „Ideologie
der Inklusion“ hält, versteht sich von selbst. Selbiges gilt für den
„Genderismus“.
Für den Biologisten Sarrazin steht fest, „dass Begabungen und den
Lebenserfolg fördernde Einstellungen in jeder Population ungleich verteilt
und zu einem guten Teil erblich sind“. Und nicht nur das: „Sehr robust ist
die Erkenntnis, dass kulturfremde Einwanderung das soziale Kapital einer
Gesellschaft vermindert.“
Wie schon bei seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ führt der
Buchhalter der Unmenschlichkeit als vermeintliche „Belege“ Statistiken an,
verwechselt jedoch konsequent Korrelationen mit Kausalitäten. Für Sarrazin
liegt die Intelligenz in den Genen. Und selbstverständlich gibt es für ihn
auch „Unterschiede in der kognitiven Kompetenz von Ethnien“ – und da sieht
es nicht nur, aber besonders bei den Menschen muslimischen Glaubens aus
Afrika und dem nahen Osten ganz schlecht aus.
## Spiritus Rector der Pegida
Entsprechend verzerrt ist seine Wahrnehmung der Flüchtlingspolitik Angela
Merkels, die der Spiritus Rector der Pegida-Bewegung nicht nur für die
„größte politische Torheit, die ein deutscher Regierungschef seit dem
Zweiten Weltkrieg beging“, hält, sondern für „das größte Sozialexperime…
Europas seit der Russischen Revolution“.
Merkels „internationalistische Sicht“ habe „möglicherweise das Wohl der
Welt im Allgemeinen im Blick, kaum aber noch die Interessen Europas und
schon gar nicht das Interesse der Deutschen an der Zukunft der eigenen
Nation, dem Schutz ihres Lebensumfeldes und ihrer kulturellen Identität“.
Jemand, der solch einen Stuss von sich gibt, ist nicht mehr
satisfaktionsfähig.
So sehr der Konsalik der Sachbuchautoren im Großen danebenliegt, so wenig
stimmt es bei ihm im Kleinen. Da zitiert er in seinem Buch schon mal Marx
falsch, weil er ihn mit Lenin verwechselt. Oder er behauptet ernsthaft „das
Fehlen von Gaststätten und Schenken […] in allen Staaten des real
existierenden Sozialismus“. Aber darauf kommt es dann auch nicht mehr an.
25 Apr 2016
## LINKS
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## AUTOREN
Pascal Beucker
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