# taz.de -- Wieder ein Buch von Thilo Sarrazin: Jetzt mit noch mehr Tabubrüchen | |
> Von der Inquisition bis zur geschlechtergerechten Sprache: Der Pensionär | |
> Thilo Sarrazin sinniert „über die Grenzen der Meinungsfreiheit in | |
> Deutschland“. | |
Bild: He is back: Thilo Sarrazin sieht mal wieder jede Menge Unbill durch den I… | |
Thilo Sarrazin hat wieder ein Buch geschrieben. Etwas Neues steht aber | |
nicht wirklich darin. Eher ist es der Versuch, aus einer alten | |
Erfolgsnummer noch einmal neues Kapital zu schlagen. | |
Insgesamt „14 vorherrschende Denk- und Redeverbote“ habe der empörte | |
Pensionär jetzt ausgemacht, frohlockt sein Verlag, der wieder auf einen | |
handfesten Skandal und satte Verkäufe hofft: Jetzt mit noch mehr | |
Tabubrüchen! Der Autor selbst spricht in seinem Buch aber lieber | |
gedrechselt von „Axiomen des Tugendwahns“, die er Punkt für Punkt | |
widerlegen will. | |
Vor allem auf die Idee der Gleichheit hat es Sarrazin abgesehen. Im | |
Gleichheitsideal des Wohlfahrtsstaats erkennt er wenig mehr als einen kaum | |
kaschierten Willen zu Uniformität und jakobinischer Gleichmacherei, die | |
Gleichheit zwischen den Nationen oder die von Mann und Frau hält er für | |
eine Schimäre. | |
Auch die Genetik lässt ihn nicht los: „Unbestritten“ sei, dass es zwischen | |
Völkern Intelligenzunterschiede gebe, deklamiert er, und auch kulturell sei | |
Deutschland vielen anderen Staaten überlegen. Männer und Frauen seien | |
wesensgemäß grundverschieden, Kinder bräuchten Vater und Mutter, Punktum. | |
Patchwork-Familie und Homo-Ehe seien Irrwege, Einwanderung sei die falsche | |
Antwort auf den demografischen Wandel. All das dürfe man in Deutschland | |
aber nicht laut sagen, so Sarrazin, sonst werde man zu Unrecht in eine | |
rechte Ecke gedrängt. | |
## Beispiel -Zeitung | |
Das könnte ein knackiges, ultrakonservatives Credo sein, wäre es nicht so | |
ungelenk formuliert, so weinerlich und an vielen Stellen unfreiwillig | |
komisch. Denn Sarrazin verzettelt sich in Nebensächlichkeiten und Details, | |
wirft Zahlen, Zitate und zufällige Fundstücke aus der Zeitung | |
durcheinander, dass es eine Qual ist. | |
Das hat die Bild-Zeitung entschieden prägnanter formuliert, als sie im | |
September 2010 – auf dem Höhepunkt der Debatte über „Deutschland schafft | |
sich ab“ – die Schlagzeile titelte: „Das wird man ja wohl noch sagen | |
dürfen“. Aber das sind ja auch Populismus-Profis. | |
Der Hobbysoziologe und Möchtegern-Philosoph Sarrazin dagegen verstrickt | |
sich auf fast 400 Seiten in allerhand logische Widersprüche, weil er nach | |
Höherem strebt. Einerseits leitet er jede Unbill aus dem Islam ab oder | |
erklärt das Vorurteil, „Südländer“ seien per se weniger fleißig als | |
Nordlichter, zu einer Art Weltformel. Energisch wendet er sich aber gegen | |
die Vorstellung, es gebe „etwas im deutschen Volkscharakter oder in der | |
Essenz des Deutschtums, das linear zum Holocaust geführt habe“ – solches | |
Denken findet er dann plötzlich „essenzialistisch“. | |
An anderer Stelle schreibt er, es sei „als soziale Norm gänzlich | |
unakzeptabel“, etwa von einer „jüdischen Weltverschwörung zu sprechen“.… | |
hindert ihn aber nicht, mit Furor gegen andere soziale Normen | |
anzuschreiben, die er ablehnt. Dass sich Wertvorstellungen und soziale | |
Normen verändern könnten, ist für ihn unvorstellbar. Er ist einfach ein | |
alter Mann, der die Welt da draußen nicht mehr versteht und der, angesichts | |
eines raschen Sprach- und Kulturwandels, gern die Uhr anhalten möchte. | |
## Unterschlagene NPD-Fans | |
Allen Ernstes zieht er deshalb eine gedankliche Linie, die von der | |
Inquisition und dem Völkermord in Kambodscha bis zur geschlechtergerechten | |
Sprache führt. Langatmig rechnet er noch einmal mit all seinen Kritikern ab | |
und zählt jeden Unterstützer auf, der sich im Streit über „Deutschland | |
schafft sich ab“ hinter ihn gestellt hat, von Hans-Ulrich Wehler bis Roger | |
Köppel. Einige Fans aber unterschlägt er bewusst: etwa die NPD, die mit | |
seinen Zitaten werben wollte, was er per einstweilige Verfügung untersagen | |
ließ. | |
Wer sich von Sarrazin eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema | |
Meinungsfreiheit erwartet, der wird natürlich enttäuscht. Denn um die | |
Frage, ob es nicht vielleicht notwendige Einschränkungen der | |
Meinungsfreiheit und sinnvolle gesellschaftliche Tabus geben könnte, macht | |
er einen großen Bogen. | |
Dabei ist hierzulande ja tatsächlich nicht alles erlaubt: Wer den Holocaust | |
leugnet oder verharmlost, dem droht eine empfindliche Strafe, auch | |
persönliche Beleidigungen und Rufmord sind justiziabel. Und auch wer sich | |
für die Todesstrafe ausspricht, sich eine Diktatur herbeiwünscht oder für | |
Sex mit Kindern wirbt, landet zielsicher im sozialen Abseits. | |
Doch so weit würde Sarrazin niemals gehen. Er ist ja nicht wirklich für | |
absolute Meinungsfreiheit und dafür, dass jeder zu jeder Zeit und an jedem | |
Ort alles sagen darf. Sonst würde er selbst nicht so dünnhäutig auf den | |
Vorwurf reagieren, ein Rassist und Rechtspopulist zu sein. Und sonst hätte | |
er nicht jede Zeitung mit einer Unterlassungsklage überzogen, die es gewagt | |
hat, über seinen Sohn zu berichten, bei dem er als Vater offenbar versagt | |
hat. | |
Meinungsfreiheit ist für Sarrazin vor allem seine Freiheit, sich über | |
andere zu erheben, ohne dafür kritisiert zu werden. Ein bisschen erinnert | |
er dabei an einen Gast, der sich in einem Restaurant danebenbenimmt und | |
betrunken über andere Gäste herzieht – und der sich dann empört, wenn er | |
vom Wirt vor die Tür gesetzt wird. | |
24 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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