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# taz.de -- Musik von Nazi-Opfern: „Nicht nur gesessen und geweint“
> Das Hamburger Musikfest präsentiert in seinem Schwerpunkt
> „Überlebensmusik“ Komponisten vor allem aus dem einstigen Getto
> Theresienstadt.
Bild: Für Verharmlosung genutzt: Hans Krásas Oper „Brundibár“ im NS-Prop…
HAMBURG taz | Eigentlich ist der Titel zynisch: „Überlebensmusik“ heißt d…
Schwerpunkt des Internationalen Musikfestes Hamburg – dabei gelang das
selten: Etliche Komponisten überlebten die Nazi-Herrschaft nicht – weder
physisch noch psychisch, und genau hier verläuft der Diskurs, den das
Festival eröffnen kann. Dem Motto „Freiheit“ folgend, postuliert es ein
Überleben durch Musik und impliziert, dass es unwichtig ist, für wie lange
– denn was zählt, ist die Kreativität des Moments. Etwas anderes hat der
Künstler im KZ, im Getto nicht, und das macht seine innere Freiheit aus:
nicht klein beizugeben, wenn die Umstände es suggerieren.
In der Tat fand sich eine große Ballung von Künstlern etwa im Getto
Theresienstadt, in das 1941 auch die in Hamburg präsentierten Komponisten
Viktor Ullmann, Hans Krása, Pavel Haas und Gideon Klein eingeliefert
wurden:
Sie alle begannen nach anfänglicher Depression zu komponieren und zu
musizieren. Die SS sah es ungern, duldete es zunächst, förderte es zum
Schluss. Sie witterte die Chance, 1944 – die Kriegsniederlage war absehbar
und der Rechtfertigungsdruck auf Deutschland stieg – das „Kultur-Getto“ f…
eine gezielte Verharmlosungspropaganda zu nutzen.
Und wirklich, im Juni 1944, als Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes
kamen, um Berichte über die Massenmorde zu prüfen: Da glänzte
Theresienstadt mit der Aufführung von Hans Krásas vermeintlich
unpolitischer Oper „Brundibár“, in der Kinder einen Tyrannen besiegen. Auch
im NS-Propagandafilm „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen
Siedlungsgebiet“, auch bekannt als „Der Führer schenkt den Juden eine
Stadt“ kommt „Brundibár“ vor.
Und die Besucher ließen sich täuschen vom gespielten Idyll; kein Wort
darüber, dass alle Konzert- und Opernbesetzungen ständig geändert werden
mussten, weil Musiker ins KZ Auschwitz weitertransportiert wurden.
Verschwiegen wurde, dass auch die Komponisten kurz nach dem
Rot-Kreuz-Besuch mit dem „Künstlertransport“ nach Auschwitz deportiert und
fast alle ermordet wurden.
Das ist der deprimierende Teil der Geschichte. Der andere handelt davon,
dass es dort zunächst ein erstaunlich reges Konzertleben mit Klassik,
Salonmusik, einer Jazzcombo und einem „Studio für Neue Musik“ gab.
Viktor Ullmann durchlebte dort sogar seine kreativste Phase. Eine Mischung
aus Verzweiflung und trotziger Selbstbehauptung muss ihn getrieben haben,
dazu der Entschluss, dem Schrecken zumindest musikalische Macht
entgegenzusetzen. Man habe einen starken Kultur- und Lebenswillen gehabt
und „keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen gesessen“, schrieb Ullma…
in sein Tagebuch. Stattdessen lenkte man sich ab, wehrte sich gegen die
eigene innere Verödung, gegen den Hass auf die Besatzer. „Wir tauschten das
Leid des Alltags gegen den Traum vom freien Leben auf der anderen Seite des
Stacheldrahts“, hat „Brundibár“-Trompeter Paul Sandfort das genannt.
Dabei verharrten die Künstler auch stilistisch nicht in
tröstlich-rückwärtsgewandter Selbstvergewisserung. Im Gegenteil: Die
Komponisten dieser Generation blieben in Gefangenschaft so offen und
fortschrittlich wie zuvor: Nicht nur, das die „Jüdische Selbstverwaltung“
die Forderung der SS, im Getto nur Jüdisches zu spielen, ignorierte und
weiter Brahms, Beethoven, Wagner bot.
Auch kompositorisch ließ sich etwa Ullmann nicht abkoppeln von seiner
Mahler-, Schönberg-, Berg-Prägung, Krása nicht von Janáček. Anthroposoph
Ullmann kehrte die Forderung nach Jüdischem um und verstand das –
zusätzliche – Komponieren jiddischer Chöre als Erweiterung seines
Repertoires. Vielleicht auch als Rückbesinnung auf seine jüdischen Wurzeln,
die ihm nie etwas bedeutet hatten, aber das weiß niemand so genau.
Tatsache ist jedenfalls, das sich Ullmanns Theresienstädter Kammeroper „Der
Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“ sowohl anthroposophisch als
auch politisch deuten lässt. Ein Kaiser will darin alles Leben vernichten
und wird ausgerechnet vom Tod daran gehindert; am Ende steht eine
tröstliche Vision von Leben und Tod.
Uraufgeführt wurde die Oper erst 1975 in Amsterdam; 1987 brachte George
Tabori sie nach Berlin. Inzwischen steht das Stück gelegentlich auf den
Spielplänen: Man beginnt zu begreifen, was der Verlust dieser
Komponistengeneration bedeutet.
Auch Erwin Schulhoff zählt dazu, der nach der Besetzung der Sowjetunion, in
die er emigriert war, 1942 in einem bayerischen Lager für „Bürger anderer
Staaten“ starb. Schulhoff war einer der Flexibelsten und Radikalsten seiner
Generation, hatte Avantgarde mit Dada und Jazz verbunden, später im Stil
des Sozialistischen Realismus geschrieben, stetig Genregrenzen
überschreitend. Der Verlust dieser Komponisten sei riesig, schreiben auch
die Initiatoren des Hamburger „Online-Lexikons verfolgter Musiker und
Musikerinnen der NS-Zeit“.
Das versteht sich nicht nur numerisch; bis heute gibt es keine Liste aller
in KZ ermordeten Künstler. Es betrifft auch die mentale Aufarbeitung. Denn
zwar stehen inzwischen immer mal Werke verfemter, ermordeter oder
geflohener Komponisten auf den Spielplänen, oft tragen solche Programme
aber das wohlmeinende Label „Wiederentdeckung“. Das ist löblich und nötig
und beruhigt das schlechte Gewissen. Eine Würdigung der künstlerischen
Qualität auf Augenhöhe ist es nicht unbedingt.
„Überlebensmusik“ beim Musikfest Hamburg: 23., 24., 26. + 29.4.
25 Apr 2016
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Auschwitz
Deportation
Elbphilharmonie
Mecklenburg-Vorpommern
Gedenken
Neuengamme
Zeitgeschichte
Holocaust
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