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# taz.de -- Historikerstreit über DDR-Forschung: Die Aufarbeitung ist gescheit…
> Ilko-Sascha Kowalczuk kritisiert seine Forscherkollegen. Diesen Text über
> die DDR-Aufarbeitung wollten einige nicht veröffentlicht sehen.
Bild: Symbol des Kalten Krieges: Autoschlangen am Kontrollpunkt Helmstedt-Marie…
Es gibt Bücher, die liest man von vorn nach hinten und von hinten nach vorn
und weiß dennoch nicht, was sie wollen. Das Buch „Die DDR als Chance“
gehört nicht dazu. Die Absicht ist zu offenkundig.
Der Band enthält neben einer Einleitung des Herausgebers, Ulrich Mählert,
17 Essays von 21 Autoren und Autorinnen, die zum Establishment der
zeithistorischen Forschung gehören. Mählert selbst gehört der Stiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur an. Sie alle wollen nun erklären, was bei der
Erforschung der DDR besser gemacht werden sollte.
Gründe dafür gibt es wahrlich genügend. Niemand von den Autorinnen und
Autoren jedoch preist oder offeriert eine Position, ein wissenschaftliches
Paradigma, das man von ihnen so nicht erwartet hätte und von ihnen nicht
seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bestens kennen würde.
Am Beginn steht eine Art Bestandsaufnahme von Dierk Hoffmann, Michael
Schwartz und Hermann Wentker, allesamt vom Institut für Zeitgeschichte
(IfZ). Was hier als wissenschaftlicher Aufsatz firmiert, trägt seine
Herkunft als Diskussionspapier für den Vorstand der Stiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur stilistisch und intellektuell im Gepäck. Das
Papier ist weder ausgewogen noch umfassend, weder originell noch enthält es
innovative Überlegungen. Die Einlassungen der drei Forscher, die zu den
wenigen in diesem Band gehören, die empirisch zur DDR-Geschichte arbeiten
und regelmäßig eindrucksvolle Monografien vorlegen, gipfeln in vier
Empfehlungen, die vielleicht den intellektuellen Zustand der DDR-Forschung
spiegeln.
Sie schlagen vor: 1. „Gesprächsforen“ zu etablieren, „um Projektformen u…
Projektinhalte […] zu diskutieren und zu priorisieren“; 2. eine „gezielte
neue Welle von Forschungsförderung“ zu initiieren; 3. größere „Projekte …
‚Leuchttürme‘ in der Wissenschaftslandschaft“ einzurichten; sowie 4. die
„Etablierung oder Förderung von Foren für Vermittlung von DDR-Geschichte,
die sich wissenschaftlich basiert gezielt an professionelle Multiplikatoren
wie Lehrer oder Journalisten richten“.
Das ist also der Ertrag von drei hochspezialisierten Forschern, wenn sie
sich Gedanken über die „DDR als Chance“ machen. Um Missverständnisse
auszuklammern, hätte der Herausgeber übrigens sagen müssen: „DDR-Geschichte
als wissenschaftliche Chance“. Natürlich ist manches zutreffend, was die
drei Autoren sonst noch so schreiben. Aber es ist überwiegend auch so banal
und allgemein, so wenig inspirierend oder anregend, dass oft sogar auch das
Gegenteil ihrer Ausführungen richtig ist.
Die „Antworten“ der von der Stiftung eingeladenen Autoren auf diese
Empfehlungen stehen dahinter nicht zurück. Hier haben wir es allerdings nur
in Ausnahmefällen mit Forscherpersönlichkeiten zu tun, die sich in letzter
Zeit auf einer eigenen erarbeiteten empirischen Grundlage mit der DDR
beschäftigt hätten. Das könnte sogar zum Vorteil gereichen, wenn dabei mehr
herauskäme als allgemeines Geschwätz, professorales Oberseminargerede und
antragstaugliche Wissenschaftsprosa, die auf Fördergelder statt Erkenntnis
zielt.
Eigentlich fällt mir zu diesem Buch nur noch das Protestgedicht „Fisches
Nachtgesang“ von Christian Morgenstern als trefflicher Kommentar ein. Aber
das Buch verdient dennoch Beachtung. Denn damit scheint die Stiftung
Aufarbeitung eine Absicht zu verfolgen, die vielleicht nicht für alle
sofort auf der Hand liegt.
Die „Aufarbeitungslandschaft DDR“ erstarrt immer mehr.
Ermüdungserscheinungen und Langeweile sind unübersehbar. Immer neue
Kommissionen versuchen, die Aufarbeitungslandschaft neu zu ordnen. Bislang
geschah nichts. Tatsächlich aber ist der Tanker der Aufarbeitung, die
Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes (BStU), erheblich ins Schlingern geraten.
Die Stasi-Akten kommen demnächst ins Bundesarchiv. Was mit dem Rest der
Behörde geschehen soll, vor allem der kleinen Forschungsabteilung, ist
ungewiss. Es soll eine neue Institution gebildet werden für die nicht
einmal ein Dutzend fest angestellten Forscherinnen und Forscher.
## An den Unis eine Nischenexistenz
Das erscheint völlig unsinnig. Denn die außeruniversitäre zeithistorische
Forschung ist stark und breit aufgestellt, während die zeithistorische
DDR-Forschung an den Universitäten im Vergleich zur Forschung über Vietnam,
Aserbaidschan oder den Balkan eine Nischenexistenz führt.
Der nun in Bedrängnis geratenen Tanker erzeugt Strudel und lässt auch die
anderen geschichtspolitischen Akteure ins Schlingern geraten. Diese
versprechen sich allerdings vom Untergang des einzigen ostdeutschen
Revolutionsexportartikels so einiges für ihre eigene Zukunft.
Die mit Milliarden Steuergeldern finanzierten Institutionen sollten
tatsächlich neben vielen anderen Aufgaben eine genuin geschichtspolitische
Aufgabe erfüllen: Aus der Reeducation wurde kurzerhand eine „historical
education for present and future“ apostrophiert. Das erfolgte ganz im Sinne
des historischen Betrachtungsgegenstandes: statt „learning“ lieber
„education“, statt wissen lieber dozieren. Wenn man sich heute das
extremistisch, vorwiegend rechtsextremistisch infizierte Ostdeutschland
anschaut – NSU und Pegida sind nur die Leuchttürme der auf lange Zeit
verstrahlten Regionen, die im gesamten ehemaligen Ostblock nationalistische
und rechtsextreme Pendants und Bewegungen kennen –, dann kann man ja gar
nicht anders, als zu konstatieren, dass der geschichtspolitische Auftrag
der staatlich geförderten Aufarbeitung gescheitert ist. Da die
Geschichtspolitik gescheitert ist, soll nun von der Stiftung Aufarbeitung
ein anderes Terrain erobert werden: die Wissenschaft.
Die Stiftung will die wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR und dem
Kommunismus majorisieren. Statt die wissenschaftliche Insellage der
DDR-Forschung zu überwinden, kann die Stiftung gar nicht anders, als die
Insellage zu zementieren. Ihre bloße Existenz hat schon vor Jahren dazu
geführt, dass viele Wissenschaftsfördereinrichtungen DDR-Themen
unberücksichtigt lassen.
## Öffentliche Gelder für die gesellschaftliche Aufarbeitung
Die Stiftung dehnt unwidersprochen ihre Aufgabenbereiche immer weiter aus.
Nun, da die Stasi-Unterlagenbehörde nur noch als ein „lame duck“ erscheint,
ist angesichts der vielen Stiftungsabhängigen gar keine Kritik mehr an
ihrer Tätigkeit zu erwarten. Niemand scheint mehr da zu sein, der die
Stiftung an ihren eigentlichen gesetzlichen Auftrag erinnern könnte:
öffentliche Gelder für die „gesellschaftliche“ – nicht wissenschaftlich…
Aufarbeitung zu verteilen. Tatsächlich soll von der Geschichtspolitik also
der Schritt zur Geschichtswissenschaft getan werden.
Der Stiftungsherausgeber des Bandes hat das geschickt eingefädelt. Er
bittet die Mitglieder seines „Beirates Wissenschaft“ um Statements zu einem
„Gutachten“. Herauskommt dabei, dass altbekannte Platzhirsche ihre
hinlänglich bekannten Positionen vertreten. Was hat die Stiftung daran
gehindert, mal innovativ zu sein, und statt der Torwächter und
Platzanweiser, der Rentner oder Fast-Rentner mal jene zu fragen, um deren
Zukunft als Forscher und Forscherinnen es eigentlich geht? Warum sitzen in
Zukunftskommission und Zukunftsausschüssen immer nur die Alten? Warum
entscheiden jene über eine Zukunft, die nicht die ihre sein kann?
Die Autorenzusammenstellung des Bandes ist konventionell, zum Einschlafen
langweilig. Die Stiftung hat so wichtige Akteure auf ihrer Seite: wer
mitmacht, kann nicht kritisieren. Irgendwann scheint dann aufgefallen zu
sein, dass die honorigen Forscherpersönlichkeiten zwar zentrale
Funktionärsposten aufweisen, aber niemand von ihnen einen ostdeutschen
Hintergrund aufweist. Wer kann schon etwas dafür, dass kein ostdeutscher
Zeithistoriker mit irgendeiner Relevanz irgendwo irgendetwas zu sagen hat?
Mählert scheint den Notstand erkannt zu haben und lud als einzigen
ostdeutschen Historiker Matthias Middell aus Leipzig ein. Er versucht, die
DDR im Rahmen der Globalgeschichte zu verorten – keineswegs uninteressant,
aber Middell gehört genau zu jenem universitären Machtkartell, das die
Stiftung für sich zu gewinnen sucht. Das könnte man sogar hinnehmen, wenn
nicht zugleich jene Kritiker der DDR-Geschichtswissenschaft vor 1989, zu
denen nun Middell wahrlich nicht zählte, und der zeithistorischen Forschung
seit 1990 mit ostdeutscher Prägung ausgegrenzt bleiben würden.
## Ein durchsichtiges Unterfangen
Mit anderen Worten: Die wenigen, die den Forschungsgegenstand auch aus
eigener lebensweltlicher Erfahrung (darum geht es so vielen Autoren in
diesem Band!) noch kennen, bleiben außen vor – und zwar allein, weil sie
der Stiftung nicht nützlich sind. Und da auch andere Kritiker, etwa aus dem
SED-Forschungsverbund oder der Gedenkstätte Hohenschönhausen, nicht zu Wort
kommen und man somit ganz bewusst auf deren Expertise, Stellungnahmen und
deren Forschungsperspektiven verzichtet (die man nicht teilen mag, die man
aber debattieren sollte!), wird so das ganze Unterfangen durchsichtig und
intellektuell peinlich. Von der Geschichtspolitik zur Wissenschaft – und es
blieb bei Geschichtspolitik, muss man konstatieren.
Die Beiträge erweisen sich durchweg als Ansagen von Platzanweisern, die
sich ihrer Macht bewusst sind. Die Autoren preisen Ansätze, die nur
völligen Outsidern nicht als die Ansätze und aktuell laufenden
Forschungsprojekte des jeweiligen Autors bekannt sind. Ist es nicht
lächerlich, dass die Torwächter und Platzanweiser lamentieren, was alles zu
tun sei, anstatt es einfach zu tun?
Ich schlage Folgendes vor: In Zukunft unterbleiben solche von Steuergeldern
geförderten unnütze Bändchen. Dafür fangen wir mal an, stärker über
umgesetzte Projekte zu debattieren und überlassen es künftigen Historikern,
über unsere Zukunft zu forschen.
20 Apr 2016
## AUTOREN
Ilko-Sascha Kowalczuk
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