# taz.de -- 100 Jahre Osteraufstand in Irland: Ein Bier auf die Republik | |
> Der legendäre Osteraufstand von 1916 wird in Irland totalvermarktet. Er | |
> schuf die Grundlage der heutigen politischen Ordnung. | |
Bild: Soldaten der historischen Finglas-Brigade erinnern in Kampfmontur an den … | |
DUBLIN taz | Es fehlt nur noch ein Themenpark à la Disneyland, in dem als | |
Rebellen verkleidete Schauspieler Irlands Osteraufstand von 1916 | |
nachspielen und sich zum Schluss hinrichten lassen. Ansonsten ist der Markt | |
ziemlich gesättigt. Es gibt Fußball-Trikots, Trainingshosen, Tassen, | |
Mützen, T-shirts, aufblasbare Hammer in den irischen Nationalfarben – alles | |
mit der gewinnbringenden Jahrhundertjubiläumszahl verziert. | |
Bei der britischen Kaufhauskette Heatons mit 54 Filialen in Irland ist die | |
„Easter Proclamation“, mit der damals die Republik ausgerufen wurde, zur | |
„Easter Choclamation“ mutiert – eine Tafel Schokolade, auf deren Verpacku… | |
die sieben Anführer des Osteraufstands und die Unabhängigkeitserklärung | |
abgedruckt sind. | |
James Connolly Heron, der Urenkel des Rebellenführers James Connolly, war | |
entsetzt: „Man könnte soviel mehr über die Rebellen sagen, als sie auf eine | |
Schokoverpackung zu reduzieren.“ Heatons argumentierte, die Schokolade sei | |
Bildungsmaterial, denn man könne mit ihrer Hilfe Kinder für irische | |
Geschichte interessieren, doch angesichts der Proteste nahm man die Süßware | |
lieber vom Markt. Matratzen-Mick, ein Betten-Discounter in Dublins Pearse | |
Street, hat ein Zitat des Rebellenführers Padraig Pearse, nach dem die | |
Straße benannt ist, ins Schaufenster geklebt: „Wenn man uns jetzt | |
niederstreckt, stehen wir wieder auf und führen den Kampf fort.“ | |
## Profitgier markiert das Gedenken | |
Natürlich mischt auch die Tourismusindustrie kräftig mit. Es gibt | |
Stadtrundfahrten „auf den Spuren der Rebellen“, Ausstellungen und | |
Videovorführungen. Dublins Hotels haben die Preise zu Ostern mehr als | |
vervierfacht, für ein relativ schlichtes Zimmer in der Innenstadt muss man | |
800 Euro pro Nacht hinblättern. Irlands Zentralbank hat eine | |
2-Euro-Gedenkmünze herausgegeben, die sie für sechs Euro verkauft. | |
Besonders perfide ist das Schaufenster der Allied Irish Bank, in der die | |
Hauptakteure der Rebellion und die Osterproklamation ausgestellt sind. Es | |
ist eine der Banken, die durch ihre maßlosen Spekulationen Irland an den | |
Rand des Bankrotts manövriert und, mit tatkräftiger Hilge der Regierung, | |
das Land der Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem | |
Währungsfonds und EU-Kommission ausgeliefert hat. | |
Durch ihre Geldgier haben sie die Unabhängigkeit, für die die Osterrebellen | |
gekämpft haben, praktisch wieder verspielt. Sind Connolly und seine | |
Mitstreiter also für Kühlschrankmagneten und anderen Tinnef gestorben? | |
Connolly war Gewerkschafter und Sozialist. In den Arbeitervierteln der | |
irischen Hauptstadt herrschten damals entsetzliche Zustände, die Menschen | |
hungerten, sanitäre Einrichtungen gab es nicht. Von 100 Kindern erlebten 62 | |
nicht ihren 10. Geburtstag. | |
## Deutschland schickt Waffen | |
Auf die Aussperrung 1913, mit der die Arbeitgeber die Ausbreitung der | |
Gewerkschaftsbewegung verhindern wollten, hatte Connolly mit der Gründung | |
der Irish Citizen Army reagiert, einer bewaffneten Gruppe zum Schutz der | |
Arbeiter und Streikenden. Diese Armee bereitete sich, gemeinsam mit zwei | |
anderen bewaffneten Gruppen, ab 1915 auf einen Aufstand vor, denn England | |
war wegen des Ersten Weltkriegs beschäftigt. | |
Die Rebellen versuchten mit Hilfe des ehemaligen britischen | |
Konsulatsbeamten Roger Casement, in Deutschland an Waffen zu kommen. Die | |
deutsche Regierung schickte die „Aud“ mit einer Waffenladung an Bord in den | |
Südwesten Irlands, doch der Plan war verraten worden. Die „Aud“ wurde | |
aufgebracht. Casement, der von einem deutschen U-Boot am Strand abgesetzt | |
worden war, wurde verhaftet und später hingerichtet. | |
Einer der militärischen Chefs blies daraufhin den Aufstand ab, doch die | |
anderen Rebellenführer hielten an dem Plan fest. Man wählte den | |
Ostermontag, weil an dem Tag die britischen Offiziere beim Pferderennen | |
weilten. Es war ein schlecht bewaffneter und schlecht organisierter Haufen | |
von rund 1.800 Aufständischen, der mehrere strategische Gebäude in der | |
Stadt besetzte, darunter das Hauptpostamt, wo Pearse die Republik ausrief | |
und sich und die anderen Anführer zur provisorischen Regierung erklärte. | |
Gegen die mit schweren Waffen anrückenden britischen Truppen hatten die | |
Rebellen jedoch keine Chance, nach fünf Tagen war die Sache vorbei. | |
## Die Todesurteile änderten alles | |
Damit hätte man den Aufstand wie die anderen Rebellionen in den | |
Jahrhunderten zuvor zu den Akten legen können, da auch die Bevölkerung | |
keine Sympathien für die Rebellen hegte, sie nach der Kapitulation sogar | |
bespuckte und mit Steinen bewarf. Die Todesurteile veränderten alles. Die | |
Kolonialmacht ließ die Anführer der Rebellen hinrichten. Connolly, der bei | |
den Kämpfen verwundet worden war, musste an einen Stuhl gebunden werden, | |
weil er vor dem Erschießungskommando nicht stehen konnte. | |
Darüber hinaus wurden willkürlich Leute verhaftet, vor allem Mitglieder der | |
1905 gegründeten Sinn Féin (“Wir selbst“), die sich zu einer radikalen | |
nationalistischen Volkspartei entwickelt hatte. Die Briten ließen sogar den | |
Bürgermeister von Cork ermorden, sein Nachfolger wurde in England | |
eingesperrt und starb im Hungerstreik. | |
Die Folge war, dass Sinn Féin im Dezember 1918 bei den Wahlen 73 von 105 | |
Mandaten gewann. 36 ihrer Abgeordneten saßen in englischen Gefängnissen. | |
Die Partei rief 1919 die Republik aus und löste damit einen zweijährigen | |
Unabhängigkeitskrieg aus. Die aus den verschiedenen paramilitärischen | |
Verbänden hervorgegangene Irisch-Republikanische Armee (IRA) wurde zum | |
bewaffneten Arm Sinn Féins und erhielt von Seiten der Bevölkerung jede | |
erdenkliche Unterstützung bei ihrem Guerillakrieg, so dass die britische | |
Regierung 1921 einen Friedensvertrag anbieten musste, der die Teilung der | |
Insel besiegelte. | |
## Parteien von damals existieren bis heute | |
Sinn Féin und IRA spalteten sich. Zwischen Gegnern und Befürwortern des | |
Vertrages entbrannte ein Bürgerkrieg, der mit der Niederlage der | |
Teilungsgegner um Éamon de Valera endete. De Valera war als einziger | |
Anführer des Osteraufstands wegen seiner US-Staatsbürgerschaft nicht | |
hingerichtet worden. Er gründete 1927 seine eigene Partei, die konservative | |
Fianna Fáil (“Soldaten des Schicksals“), wurde Premierminister und war | |
lange Jahre Präsident Irlands. | |
100 Jahre später melken die politischen Parteien den Osteraufstand, so gut | |
sie können. Die Parlamentswahlen vom Februar 2016 sind zwar vorbei, aber | |
sie haben keinen Gewinner hervorgebracht, so dass Irland – wie nach den | |
Wahlen 1918 – von einer provisorischen Regierung geleitet wird, bis sich | |
eine der beiden großen Parteien eine Mehrheit zusammengeschustert hat oder | |
man das Stimmvieh zur Nachbesserung zurück an die Wahlurne schickt. | |
## Die Geschichte der Dubliners | |
Dass mit der Teilung Irlands 1922 die Saat für den nordirischen Krieg | |
gelegt worden war, der 1969 wieder aufflammte, kehren diese Parteien | |
freilich unter den Teppich. Der gewaltsame Konflikt ist noch zu frisch in | |
Erinnerung, während man dem Osteraufstand einen folkloristischen Anstrich | |
verpasst hat. Dabei war auch er kein Kaffeekränzchen, es starben 485 | |
Menschen in jenen fünf Tagen. | |
Einer, der davon kam, war ein Junge namens Luke Kelly. Er wurde am | |
Bachelor´s Walk von einer Gewehrkugel getroffen, überlebte die schwere | |
Verletzung jedoch und heiratete später eine Mary. Den erst geborenen Sohn | |
tauften sie ebenfalls Luke Kelly, und der wurde einer der besten Musiker | |
Irlands und Mitbegründer der Dubliners. Berühmt ist seine Version von | |
„Foggy Dew“, einer Hymne für die Osterrebellen und ihren gerechten Kampf, | |
bei der auch konservative Politiker gerne mitsingen. | |
Bei soviel Heuchelei kann man eigentlich nur zum Alkohol greifen – auch das | |
im Geist von 1916. Die Wicklow Wolf Brewing Company hat ein Bier mit dem | |
Namen „Children of the Revolution“ auf den Markt gebracht. Damit sind aber | |
nicht die 40 Kinder gemeint, die während des Osteraufstands ums Leben | |
kamen. Das jüngste war Christina Caffrey, sie war 22 Monate alt, als sie im | |
Arm ihrer Mutter in der Church Street von einer Kugel getroffen wurde. Sie | |
wurde in einem anonymen Grab auf dem Friedhof von Glasnevin beerdigt. | |
Später legte man über der Grabstelle einen Fußweg. Er führt ausgerechnet zu | |
dem Denkmal für die getöteten republikanischen Kämpfer. | |
27 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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