# taz.de -- Jacob Appelbaum beim Logan-Symposium: „Und jetzt betreibe ich Sel… | |
> „Arrogant“, „scheiße“, „verlogen“: Mit einem furiosen Anfall geh… | |
> Appelbaum in Berlin auf alte Kollegen los. Es ist eine persönliche | |
> Abrechnung. | |
Bild: Der oft als „Internetaktivist“ bezeichnete Jacob Appelbaum teilt beim… | |
BERLIN taz | Es dauert nur ein paar Minuten, dann scheint für Jacob | |
Appelbaum alles gesagt. Er sagt viel in diesen Minuten, nein eigentlich | |
sagt er wenig: Denn sein Auftritt beim Logan-Symposium in Berlin ist vor | |
allem eine Abrechnung, eine Verachtung. Seine Wutrede beginnt mit diesem | |
Satz: „Die größte Bedrohung für den Investigativjournalismus sind | |
Investigativjournalisten.“ | |
Seit dem Freitagmorgen kommen im Zentrum Berlins beim sogenannten | |
[1][Logan-Symposium], das unter anderem von der taz Panter Stiftung | |
unterstützt und [2][hier im Livestream übertragen wird], herausragende | |
Rechercheure aus aller Welt zusammen, um ihre Arbeiten vorzustellen. | |
Gerade dämmert wenige Stunden nach der Eröffnung schon alles vor sich hin, | |
nachdem viele Projekte gezeigt, aber wenige Debatten geführt worden sind, | |
als Jacob Appelbaum, einer der Popstars der Hackerszene, ans Mikrofon tritt | |
– und seinen Frust ablässt. | |
Es ist im Wesentlichen diesem Appelbaum zu verdanken, dass 2013 bekannt | |
wurde, wie US-Geheimdienste über Jahre hinweg das Mobiltelefon von Angela | |
Merkel abgehört hatten. Appelbaum lieferte damals die Belege und | |
veröffentlichte die Geschichte gemeinsam mit Journalisten des Spiegels – | |
doch obwohl er an dieser und anderen Geschichten als Autor mitwirkte, | |
kämpft er bis heute um seine Anerkennung als Journalist. | |
## Hacker, Cypherpunk, Enthüller | |
Und darum geht es also an diesem Morgen wieder, um die Tatsache, dass | |
andere Journalisten, die sogenannten etablierten, ihn noch immer als | |
„Internetaktivisten“ bezeichnen, so als sei er kein richtiger Journalist, | |
als gehöre er nicht dazu. | |
Hacker, Cypherpunk, Enthüller – es gibt einige Beschreibungen, die zu Jacob | |
Appelbaum passen, der zu den Programmierern des Anonymisierungsnetzwerks | |
Tor zählt und der sich zuletzt, unter anderem mit dem chinesischen Künstler | |
Ai Weiwei, vermehrt in der Kunstsszene umtat. | |
Schon damals, als Appelbaum wiederholt in der Autorenzeile des Spiegels | |
auftauchte, wurde in der Branche diskutiert: Wieviel Journalist muss einer | |
sein, um Journalist sein zu dürfen? So einigen in der ethisch rigiden | |
deutschen Presselandschaft genügte es nicht, dass Appelbaum klare Evidenzen | |
brachte und, wie es sich gehört, gegen die Übermächtigen ins Feld führte. | |
Er blieb für sie der „Internetaktivist“. Es ist in der Szene kein | |
Geheimnis, dass Appelbaum schon lange diesen Groll hegt. An diesem Freitag | |
also rechnet er ab: „Wer mich weiterhin einen Internetaktivisten nennt, der | |
fördert, dass für mich nicht der Schutz der Presse gilt, sondern dass ich | |
nach Anti-Terror-Gesetzen behandelt werden soll.“ | |
## „Die beschissenste Zeitung“ | |
Seine Sorgen sind begründet: Schon seit Jahren war der US-Bürger nicht mehr | |
in seiner Heimat – aus berechtigter Angst vor Verfolgung. In den USA drohen | |
ihm harte Strafen wegen Geheimnisverrats. Dass für ihn nicht der Schutz der | |
Presse gelten soll, sondern die Anti-Terror-Gesetze, macht einen | |
entscheidenden Unterschied. | |
Hier, an diesem Freitag, geht er in die Vollen. Er nennt die Namen der | |
Journalisten, die er verachtet. Und die Medien, die er verureilt. Der | |
britische Guardian ist für Appelbaum „die beschissenste Zeitung in | |
englischer Sprache“, für ihn ein lasches Medium, ängstlich, zitternd, | |
dauernd bemüht, die Gegenargumente des Staates mit einzubinden. | |
„Der Guardian hat seine Geschichtsschreibung der Regierung überlassen. So | |
etwas nenne ich nicht Journalismus, sondern Stenografie.“ Allerdings: Ganz | |
fair ist das nicht. Wer die Berichterstattung der Zeitung verfolgt hat, | |
muss auch einräumen: Es war der Guardian, der immerhin als eines der | |
aggressivsten Medien über die Geheimdienstaffäre berichtet hat. | |
Appelbaum fühlt sich vom Guardian, mit dem er früher zusammen gearbeitet | |
hat, betrogen. Einer der Gründe: Als der britische Geheimdienst GCHQ in | |
Folge der Snowden-Enthüllungen 2013 beim Guardian anrückte, um dort | |
Festplatten mit Snowden-Material zu zerstören, hätten Appelbaum und die | |
Snowden-Vertraute Laura Poitras daraus aus der Presse erfahren müssen. | |
Beide hatten zu diesem Zeitpunkt mit dem Guardian zusammengearbeitet. Für | |
Appelbaum ist das ein „politischer Akt des Betrugs“, es handele sich um | |
„arrogante britische Cunts“. | |
## Der Guardian als Lieblingsfeind | |
Der Konflikt hat eine lange Vorgeschichte und zahlreiche Verzweigungen. | |
Beim Logan-Symposium trifft sich in erster Linie der journalistische und | |
politische Sympathisantenkreis rund um die Veröffentlichungsplattform | |
Wikileaks und feiert sich und ihre Erfolge. | |
Schon als die Tagung erstmals Ende 2014 in London stattfand, gab es den | |
gleichen Lieblingsfeind: Immer wieder machten sich die Sprecher auf dem | |
Podium über die britische Zeitung Guardian lustig und verspotteten deren | |
Journalisten und deren früheren Chefredakteur Alan Rusbridger. | |
Nicht nur Appelbaum, sondern auch die Gruppe um Wikileaks-Gründer Julian | |
Assange verachtet den Guardian aufgrund verschiedener Vorkommnisse. | |
Insofern ist seine Wutrede an diesem Freitag nicht nur ein Plädoyer für | |
einen radikaleren, mutigeren Investigativjournalismus, sondern auch die | |
Fortsetzung einer anhaltenden Fehde. | |
Auch gegen den deutschen Spiegel, der beim Logan-Symposium als einer der | |
Hauptsponsoren auftritt, teilt Apelbaum aus – allerdings dezenter und | |
differenzierter. Schon 2014 hatte Appelbaum in der deutschen | |
Medienlandschaft für Debatten gesorgt als er den renommierten | |
Henri-Nannen-Preis entgegennahm und anschließend ankündigte, er werde den | |
Preis aus Protest gegen den Namensgeber einschmelzen lassen. | |
„Jetzt“, sagt er an diesem Freitag zum Abschluss, „wo ich journalistischen | |
Selbstmord betrieben habe, möchte ich Euch noch eine Empfehlung geben: | |
Nutzt verschlüsselte Kommunikation.“ | |
11 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://logancij.com/ | |
[2] /!161960 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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