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# taz.de -- Investigativkonferenz in London: Gegenmacht jetzt!
> In London diskutieren an diesem Wochenende Hacker und Journalisten über
> die Zukunft der Aufklärung. Was sind die guten und klugen Erzählungen?
Bild: Laura Poitras Anwälte haben ihr abgeraten, nach London zu fliegen.
LONDON taz | Hat er oder hat er nicht? Es war nur ein kurzer Satz, aber er
gab Anlass zu wilden Spekulationen als Laura Poitras, die Filmemacherin und
Snowden-Vertraute in der vergangenen Woche darüber sprach: „Bislang wurde
nicht darüber berichtet“, [1][sagte sie dem Online Magazin] The Daily
Beast, „aber der Guardian hat in Hongkong einiges Material zerstört. In
einem Moment sind sie nervös geworden und haben Quellenmaterial
vernichtet.“
Der Guardian? In Hongkong? Material von Edward Snowden vernichtet, kurz
nachdem dieser das hoch brisante Material überhaupt erst herausgerückt
hatte? Das wäre ein Fall für die Geschichtsbücher, so wie ja ohnehin die
Chroniken der globalen Überwachung seit jenem Juni 2013 nahezu täglich
erweitert werden müssen. Gerade erst [2][berichtete das Onlinemagazin] The
Intercept, hinter dem der Journalist und Snowden-Vertraute Glenn Greenwald
steht, dass die NSA direkten [3][Zugriff auf Mobilfunknetze weltweit hat].
Was also meinte Laura Poitras genau?
Im halbdunklen Auditorium, hier im Londoner Barbican Centre, flimmert mit
gelblichem Stich nun ihr Bild von der Großleinwand. Auf einer Konferenz,
[4][dem Logan Symposium 2014], treffen sich seit Freitag prominente Hacker
und Journalisten, um über die Zukunft der Aufklärung zu beraten. Sie reden
über die Pressefreiheit, über den Schutz von Whistleblowern und darüber,
was angesagt ist, um die staatliche und private Überwachungsindustrie zu
bekämpfen.
Laura Poitas ist jetzt zugeschaltet. Sie selbst, sagt sie, kann nicht in
London sein, weil ihre Anwälte ihr abgeraten haben. Aufgrund der geltenden
Terrorgesetze in Großbritannien sei es für die Journalistin nicht sicher,
einzureisen. Andere Aktivisten werden das später auch sagen: Der
Krypto-Experte Jacob Appelbaum, die Juristin Sarah Harrison, die wochenlang
mit Snowden in der Transitzone eines russischen Flughafens ausharrte. Das
ist, Europa 2014, ein gut dokumentiertes Stück Pressefreiheit: Eine
Journalistin, die nicht frei reisen kann. Guten Tag, Leinwand.
## Sind Daten abhanden gekommen?
„Laura, was hat der Guardian in Hongkong getan?“ Sie druckst jetzt ein
bisschen, dann antwortet sie. Sie redet von der Nervosität der Kollegen als
sie dank Snowden plötzlich feststellten, dass ihr Heimatgeheimdienst, der
britischen GCHQ in seiner aggressiven Überwachungspolitik die Trendsetter
aus den USA, die NSA, wahrlich noch zu übertreffen schienen. Dann seien
Leute vom Guardian ausgeflippt, dann hätten sie etwas Material zerstört.
Was genau das heißt, sagt Laura Poitras noch immer nicht: Wurden Daten
gelöscht, wurde Hardware zertrümmert, wurden Papiere geschreddert? Vor
allem aber: Welche Daten? „Am Ende sind“, sagt Laura Poitras, „keine Daten
abhanden gekommen.“
Es gibt also, zusammengefasst, keinen historischen Aufreger. Für die
Geschichtsbücher sind solche Vorgänge aber dennoch interessant. Denn dass
die wahren Enthüller der Snowden-Dokumente, Poitras und Greenwald, ein
angespanntes Verhältnis zum Guardian haben, ist seit langem bekannt. Als
die beiden 2013 erstmals zu ihrem Informanten nach London flogen stellte
der Guardian, bei dem Greenwald später zeitweise publizierte, ihnen einen
Aufpasser zur Seite. Inzwischen hat Greenwald sich abgewendet, publiziert
nun mit seinem Intercept-Projekt selbständig. Und der Guardian, das
britische Vorzeigeblatt?
Journalisten aus ganz Europa blickten mit Respekt nach London, als die
Zeitung unter Greenwalds Einfluss 2013 aggressiv die Geheimdienstdokumente
publizierte. Doch in der engeren Whistleblower-Szene rund um Poitras,
Greenwald und Co hat sich die Distanz nur verstärkt. Als seinerzeit die
britische Regierung anrückte, um die Journalisten beim Guardian dazu zu
zwingen, im eigenen Keller unter staatlicher Aufsicht ihr Quellenmaterial
zu vernichten, habe der Guardian seine Kooperationspartner nicht
hinreichend gewarnt, heißt es. Wenn das stimmt, ist es ein Kapitalvergehen.
Kritiker werfen der Zeitung vor, viel zu freundlich zu berichten, seit
Greenwald nicht mehr zuliefert.
## Gegenerzählungen finden
Und genau darum geht es ja hier, an diesem Wochenende in London. Was ist
also die Verpflichtung aufrichtiger Journalisten im Überwachungszeitalter?
Vom Guardian selbst, so fällt auf, sitzt zumindest niemand auf den Podiem,
die das britische Centre for Investgative Journalism unter Einbeziehung von
Leuten aus dem Berliner Chaos Computer Club und der ebenfalls in Berlin
ansässigen Wau-Holland-Stiftung konzipiert hat, die ein wesentlicher – auch
finanzieller – Unterstützer von Wikileaks und Julian Assange ist.
Seymour Hersh, hier nennen sie ihn „Sy“, ist nun wirklich einer der Großen.
Der legendäre US-amerikanische Investigativjournalist sitzt da vorne in
seinem dunkelgrauen Anzug und seine ganze Körperhaltung markiert einen
Gegensatz: Sein Oberkörper ist etwas zusammengesunken, die Knie schlackern
lässig hin und her. Und dann spricht er in dieser Scharfsinnigkeit, die
sein Eigenstellungsmerkmal markiert. Er sagt dies und das, dann meint er:
„Es geht immer nur um die Gegenerzählung.“ Er, Sy, habe schon viele
Erzählungen gehört – denken wir nur an den Irak-Krieg, an all die
Lügenmärchen von Massenvernichtungswaffen und anderem. „Guter
Journalismus“, sagt Hersh, „muss die Gegenerzählungen finden.“
Aber so einfach ist das ja nicht: Was sind denn, in Zeiten globaler
Überwachung, die richtigen, die klugen Gegenerzählungen? Müssen es
anarchistische Selbstermächtigungen sein oder reformistische
Staatskritiken? Geht es vor allem um digitale Selbstverteidigung – oder um
offensive Angiffstrategien? Und wenn ja: Um welche?
Darum geht es hier in London, natürlich, immer irgendwie auch. Und weil
noch viele Antworten offen sind, dürfen Sie, liebe Leserin, lieber Leser,
natürlich mit diskutieren: Via Twitter unter dem Hashtag #LoganCIJ14, im
Kommentarbereich unter diesem Text und, wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit
ihren Kumpels zu Hause. Viel Spaß.
6 Dec 2014
## LINKS
[1] http://www.thedailybeast.com/articles/2014/12/01/laura-poitras-on-finding-e…
[2] http://firstlook.org/theintercept/)
[3] /Neue-Snowden-Enthuellung-/!150703/
[4] http://logancij.com
## AUTOREN
Martin Kaul
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